Benjamin Lear im Gespräch über die Rechten in Großbritannien

»Die Linke würde von einer antinationalen Kritik profitieren«

Die Vernetzung der europäischen Rechten für die Europawahlen (22. bis 25. Mai) läuft auf Hochtouren. Eine der entscheidenden Kräfte ist die britische United Kingdom Independence Party (UKIP). Sie würde derzeit etwa 30 Prozent der Stimmen bekommen und rechnet sich Chancen aus, stärk­ste Kraft in Großbritannien zu werden. Die Jungle World sprach mit Benjamin Lear vom antiautoritären kommunistischen Netzwerk »Plan C« über die Lage der britischen Rechten, den Erfolg der UKIP und über neue Herausforderungen für die britische Linke.

Wie ist der derzeitige Zustand der Rechten in Großbritannien?
Die neofaschistische British National Party (BNP) ist nahezu am Ende; im vorigen Jahr gab es einige Spaltungen, die Basis bricht zusammen und der Vorsitzende Nick Griffin ist pleite. Nachdem sie bei den Protesten nach der Ermordung des Soldaten Lee Rigby durch Islamisten vergangenes Jahr eine zentrale Rolle spielten, verliert die English Defence League (EDL) und deren Umfeld ebenfalls an Bedeutung. Der ehemalige EDL-Chef Tommy Robinson ist ausgetreten, weil er keine Kontrolle über »rechtsextreme Elemente« innerhalb der Organisation mehr hatte. Mittlerweile sitzt er wegen Hypothekenbetrugs im Gefängnis und gesellt sich damit zu sämtlichen anderen EDL-Kadern. Ohne diese Führungsriege ist die EDL sehr anfällig für interne Konflikte und Spaltungen. Somit ist die traditionelle rechtsextreme Szene geprägt von in sich zerstrittenen kleinen Gruppen, die nicht in der Lage zu großen Mobilisierungen sind.
Während dies sehr positive Nachrichten sind, wird die UKIP immer erfolgreicher. Bei den vergangenen Kommunalwahlen hat sie sich gut geschlagen und einige Analysten sehen sie gar als stärkste britische Kraft bei den anstehenden Europawahlen. Die UKIP sichert sich aber nicht nur eigene Sitze im Parlament, sondern zieht durch ihren Einfluss die Konservativen politisch nach rechts, indem sie ein politisches Klima schafft, das die Ängste der Menschen herausfordert und sie zu ihren Gunsten manipuliert. Als Beispiel neben der Europa-Frage ist hier Migration zu nennen.
Wie erklärt sich der derzeitige Erfolg der UKIP?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Obwohl viele ihrer politischen Forderungen irrelevant bis lächerlich sind – sie verlangt zum Beispiel, dass die U-Bahn-Linie »Circle Line« in London tatsächlich in einem Kreis verläuft –, erhält sie einen Großteil der Stimmen. Das liegt zum einen daran, dass sie sich selbst attestiert, die »normalen Bürger« zu vertreten. Nach einer Reihe von Korruptionsskandalen, in die auch die politische Elite Großbritanniens verwickelt war, und angesichts der zunehmenden Plan- und Perspektivlosigkeit der großen Parteien sind die Wählerinnen und Wähler verärgert. Es lässt sich von einer Krise der politischen Repräsentation sprechen, die zwar schon seit längerer Zeit besteht, aber seit 2008 und der Austeritätspolitik eine neue Dimension gewonnen hat. Die UKIP sieht sich unter anderem auch als Vertretung dieses Protests gegen das politische Establishment.
Allerdings stützt sich der Erfolg der UKIP nicht nur auf die Krise der politischen Repräsentation. Sie reiht sich ein in nord- und mitteleuropäische politische Organisationen, die das Ressentiment von Menschen bedienen, die den ökonomischen und politischen Machtverlust der eigenen Nation fürchten. Ihre »Lösungen« bestehen in einer nationalistischen Rückorientierung (gegen Europa, restriktive Migrationsgesetze) und ultraneoliberalen Politik. Das Ziel der UKIP, Großbritannien »wieder einflussreicher zu machen«, stößt bei vielen auf Resonanz, die sich um die schwindende geopolitische Bedeutung Großbritanniens sorgen. Im Gegensatz zur BNP vertritt die UKIP einen moderateren und akzeptableren Nationalismus.
In einer Ära der stark personenorientierten Politik ist letztlich auch der UKIP-Vorsitzende Nigel Farage ein wichtiger Faktor für den Erfolg seiner Partei. Er gilt als »charismatischer Anführer«, der sich immer wieder als einfacher Mann des Volkes inszeniert. Bilder von ihm, wie er vor Pubs Bier trinkt und raucht, wie auch TV-Ausschnitte, die zeigen, wie er die etablierten politischen Parteien verbal angreift, stoßen bei vielen auf Resonanz. Abgesehen von Farage besteht die Partei hauptsächlich aus exzentrischen und anstößigen Figuren mit wenig politischem Profil.
Welchem Widerstand sieht sich die britische Rechte seitens der sogenannten Zivilgesellschaft und der Linken ausgesetzt?
Die auf der Straße aktive rechtsextreme Szene wurde mehr oder weniger zurückgedrängt; vor ­allem dank einer stärkeren autonomen Antifa-Vernetzung (AFN), die die ineffektiv werdenden Methoden der kriselnden trotzkistischen Socialist Workers Party (SWP) über Bord warf.
Gegen eine nationalistische, rechtspopulistische Partei mit rechtlicher und gesellschaftlicher Anerkennung braucht es allerdings ganz klar andere Taktiken als gegen Neonazis und rechte Hooligans. Diese Aufgabe gestaltet sich schwer. Momentan erfährt die UKIP hauptsächlich von der linksliberalen Zivilgesellschaft sowie durch vereinzelte Kampagnen Widerstand. Liberale und linke Zeitungen decken regelmäßig neue Skandale über die UKIP auf, Wahlplakate und -stände der Rechtspopulisten werden beschädigt. Derzeit läuft eine erfolgreiche Kampagne, den UKIP-Zentralen ihr Wahlmaterial zurückzusenden – auf deren Kosten. Farages Reisen nach Schottland enden in der Regel damit, dass er von wütenden Gruppen vertrieben wird. Und dennoch: Jenseits der politischen Parteien, die die UKIP lediglich als populistisch und unvernünftig beschimpfen, gibt es nur wenig kollektive poli­tische Kritik an der Partei.
Nach meinem Kenntnisstand konzentriert sich das AFN auf Aktivitäten gegen EDL-Splitterorganisationen und der Rest der organisierten Linken befindet sich in schwierigen Prozessen der Neuorganisation oder gibt sich ein ganz anderes Programm. Tatsächlich findet die Europawahl nur wenig Raum in Diskussionen der britischen Linken. Selbstverständlich kann die ganze Verantwortung, gegen die UKIP vorzugehen, nicht allein bei der AFN liegen.
Die UKIP ist also keine neofaschistische Partei, und dennoch eine große Gefahr von rechts. Wie könnte die Linke diesem Phänomen angemessen begegnen?
Die UKIP ist ganz klar keine neofaschistische Partei, doch das kann – wie einige Teile der britischen Linken es tun – nicht als Vorwand genommen werden, passiv zu bleiben. Ähnlich wie damals bei der EDL entstehen mit dem Aufstieg der UKIP neue taktische Herausforderungen, die aber auch politischer Natur sind. Meiner Meinung nach würde die Linke von der Entwicklung einer antinationalen Kritik profitieren. Diese Perspektive würde ihr zur Unterscheidung zwischen heutigen rechtsextremen und populistischen rechten Parteien verhelfen. Solch eine Kritik ist notwendig, um die hiesige politische Situation besser ana­lysieren und darauf reagieren zu können. Vergangenen Monat organisierte »Plan C« eine kleine Infotour von Genossinnen und Genossen vom deutschen Bündnis » … ums Ganze!«, wo unter anderem das Thema Antinationalismus diskutiert wurde. Das kam hier gut an. Wir hoffen, genau auf dieser Entwicklung in Zukunft aufbauen zu können.
Eines der zentralen Themen der UKIP ist eine harsche Kritik an Europa. Dennoch sind ihre Vertreter ziemlich aktiv hinsichtlich der Vernetzung mit Gleichgesinnten, wie der Alternative für Deutschland und dem Front National. Wie ernst muss man diese europäische Vernetzung der Rechten nehmen?
Trotz diverser politischer Meinungsverschiedenheiten beginnt die Rechte offensichtlich, transnationale Beziehungen aufgrund politischer Gemeinsamkeiten aufzubauen. Farage ist Vorsitzender von »Europa der Freiheit und der Demokratie«, einer Fraktion im Europäischen Parlament, in der auch die ultrarechte Lega Nord aus Italien organisiert ist. Der französische Front National und die niederländische »Partij voor de Vrijheid« umwerben die UKIP für ein rechtes Bündnis, das das Parlament ernsthaft spalten könnte. Im Januar sprach der Vorsitzende der ungarischen Jobbik mit Unterstützern in London und einige BNP-Kader knüpfen Kontakte zu im Süden Englands lebenden polnischen Neofaschisten. Wir sollten diese Aktivitäten ernst nehmen und unsere eigene Organisation ebenfalls weiterentwickeln – auch über nationale Grenzen hinaus. »Plan C« ist Teil der Plattform »Beyond Europe – antiauthoritarian platform against capitalism«, in der außerdem aus Deutschland das » … ums Ganze!«-Bündnis und zwei Gruppen aus Griechenland organisiert sind. Im vorigen Monat nahmen wir an einer europaweiten Antifa-Konferenz in Athen teil. Das war aufgrund der Teilnehmerzahl von mehreren hundert Menschen ermutigend, aber auch aufgrund der Tatsache, sich mit vielen Genossinnen und Genossen aus Europa, speziell aus dem Osten, austauschen und vernetzen zu können.

Eine längere Version des Interviews auf Englisch erscheint auf: beyondeurope.net