Crazy Crossgolfer

Parcours mit Zebras

Crossgolf erfreut sich wachsender Beliebtheit. In Köln fand am 3. Mai die mehr oder weniger offizielle Europameisterschaft statt.

Als der Ball im Blumenkasten landet, ist der Jubel groß. »Nur drei Schläge«, freut sich Benjamin Schwegler, »damit kann man doch arbeiten«. Der Stuttgarter klatscht mit seinen beiden Mitspielern ab, aber auch die Gegner aus Belgien gratulieren. Sie kommen anschließend ebenfalls mit dem dritten Versuch ins Ziel. »Dann haben sich die sechs Jahre Training ja doch gelohnt«, lacht Marie Lesueur aus Brüssel, bevor sie sich ein neues Bier öffnet. »Ein Turnierbier«, sagt sie, »das Wort habe ich eben von den Deutschen gelernt.«
Eine Sportart, bei der man in einen Pflanzenbehälter treffen muss und Alkohol trinken darf, kann keine gewöhnliche sein. Und tatsächlich ist das, was sich am 3. Mai im Kölner Rheinauhafen zuträgt, ein so ausgefallenes wie spektakuläres Ereignis: 78 Teilnehmer aus acht Ländern tragen den European Urban Golf Cup (EUGC) aus, die – mehr oder weniger offizielle – Europameisterschaft im Crossgolf. Schläger und Bälle erinnern bei diesem noch sehr jungen Trendsport zwar an das klassische Golf, ansonsten jedoch ist so ziemlich alles anders: Gespielt wird nicht auf gepflegten Grünflächen, sondern einfach überall dort, wo es möglich ist – auf der Straße, in Hinterhöfen, in U-Bahn-Stationen oder einfach querfeldein. Weder gibt es einheitliche Regeln noch ein Handicap, der Organisationsgrad ist bislang vergleichsweise gering und auf Etikette wird genauso dankend verzichtet wie auf geschlossene, elitäre Gemeinschaften.
Die Gestaltung der Crossgolf-Bahnen obliegt dem jeweiligen Veranstalter. Beim Turnier in Köln muss der Ball mal über ein Hafenbecken hinweg in einen Rettungsreifen geschlagen werden, mal dient das Loch im Gemäuer eines Steintores als Ziel, mal ist ein eigens aufgestelltes Spielzeugzebra aus Plastik zu treffen. »Wir haben den Wettkampf über ein halbes Jahr lang vorbereitet und bei den Bahnen darauf geachtet, dass möglichst niemand unter- oder überfordert wird«, erklärt Gerrit Jöskowiak, einer der Organisatoren des Turniers. Seit September 2013 haben er und seine Mitstreiter einen geeigneten Austragungsort und Sponsoren gesucht, Werbung gemacht, T-Shirts drucken lassen und Anmeldungen entgegengenommen. Der European Urban Golf Cup findet zum zweiten Mal statt. Bei der Premiere vor einem Jahr in Paris waren französische und deutsche Crossgolfer noch unter sich, nun sind auch Teilnehmer aus England, Irland, Belgien, Tschechien, der Schweiz und den Niederlanden dabei.
Für die siegreiche Nation wird es später einen Pokal und für den besten Einzelspieler außerdem einen von einem Sponsor gestifteten Sachpreis geben. Doch bei allem sportlichen Ehrgeiz steht der Spaß an der Sache im Vordergrund. Als sich die Teilnehmer gegen Mittag bei strahlendem Sonnenschein zum Auftakt vor dem Deutschen Sport- und Olympiamuseum zusammenfinden, ist die Stimmung gelöst und von Vorfreude geprägt. Die meisten Spieler tragen die T-Shirts mit dem EUGC-Logo; aus welchem Land sie kommen, verrät eine dezente Flagge auf der Rückseite des Leibchens. Der Geruch von Cannabis liegt in der Luft. »I can smell the dutch team«, scherzt Phil Beard aus London, der vor allem die Atmosphäre genießen und sich Anregungen holen möchte, um Crossgolf ­in England populärer zu machen. Auch dem Schweizer Remo Isler geht es nicht so sehr ums Gewinnen, sondern darum, »Gleichgesinnte aus anderen Ländern kennenzulernen und sinnvoll Zeit zu verschwenden«. Zu Hause trifft er sich einmal pro Woche mit rund 20 Leuten, um seinem Hobby nachzugehen.
Unterdessen erläutert Markus Dietz den Teilnehmern auf Englisch die Turnierregeln. Der 26jährige Elektroingenieur war bei der Geburt des EUGC in Paris als Spieler dabei und gehört nun zu den Organisatoren. Außerdem fungiert der passionierte Fußballschiedsrichter im Rheinauhafen als Hauptreferee. Der Parcours besteht aus 13 Bahnen, die Teilnehmer sind in 26 Teams mit je drei Spielern aufgeteilt. Deutschland, Belgien, Frankreich, Tschechien und die Schweiz stellen jeweils vier Mannschaften, England, Irland und die Niederlande zwei. Die Spielvarianten auf den Bahnen sind unterschiedlich: Es gibt den »Modus Individual«, bei dem einfach die Schläge addiert werden, die jeder einzelne Spieler bis zum Erreichen des Ziels braucht. Beim »Modus Greensome« entscheidet ein Team nach dem ersten Schlag jedes Spielers, mit welchem Ball es die Bahn danach abwechselnd zu Ende spielen will. Und beim »Modus Scramble« legt eine Mannschaft nach jedem Schlag der Spieler fest, mit welchem Ball alle Teammitglieder den nächsten Schlag ausführen.
»Weil es keine national oder gar international verbindlichen Regeln gibt, entstehen natürlich viele Spielräume«, erklärt Dietz, »aber genau dieser Freiraum ist vielen Crossgolfern wichtig.« Er erleichtere den Zugang zu diesem Sport, weil er die Hürden niedrig und Hierarchien flach halte. Überhaupt scheinen die Crossgolfspieler einer rigiden Verregelung und Organisation kritisch gegenüberzustehen: Zwar gibt es mittlerweile eine Reihe von Vereinen, doch als sich zu Beginn des Jahres 2013 der Deutsche X-Golf Verband e. V. gründete und den Anspruch erhob, eine Dachorganisation mit verbindlicher Struktur und Satzung zu sein, gingen zahlreiche Crossgolfer auf Distanz und verweigerten die Anerkennung. Vor vollendete Tatsachen wollte man sich nicht stellen lassen.
Und so kommen Wettkämpfe vor allem durch Koordination im Internet zustande, der EUGC in Köln genauso wie die großen Sommerturniere, die Peter Schaible seit fünf Jahren in Aid­lingen-Dachtel im Landkreis Böblingen, mittlerweile gemeinsam mit dem Crossgolf-Verein Golf Fellas aus Stuttgart, organisiert. In Köln ist Schaible als Zuschauer und man merkt, wie bekannt er in der Szene ist. Wenn man ihn fragt, worin die maßgeblichen Unterschiede zum regulären Golf bestehen, kommt die Antwort schnell: »Es ist alles lockerer, man braucht keine Platzreife, es kostet kaum etwas. Und jeder kann teilnehmen.« Zudem sei der sportliche Erfolg nicht der einzige Antrieb: »Wichtig ist auch der Happening-Charakter – und die Party hinterher.«
Eine Spielerin ist in Köln in aller Munde, nämlich Jette Schulze aus Düsseldorf. Mit gerade einmal elf Jahren ist sie die jüngste Teilnehme­rin. Dass sie seit ihrem dritten Lebensjahr auch reguläres Golf spielt, merkt man ihren geübten, souverän wirkenden Bewegungen an. Am Ende des Turniers bekommt sie den Preis als beste Einzelspielerin und wird von den anderen Teilnehmern frenetisch bejubelt. Die Nationenwertung gewinnen die Deutschen vor den Engländern und Franzosen. Bis vier Uhr morgens wird anschließend in einer Lokalität im Rheinauhafen gefeiert. »Es war großartig, und wir wollen das Turnier unbedingt fortsetzen«, resümiert Organisator Markus Dietz. Und sein Mitstreiter Gerrit Jöskowiak geht noch weiter: »Vielleicht bekommen wir ja sogar eine Weltmeisterschaft auf die Beine gestellt. Das wärs doch.«