Die Querelen bei den Montagsdemonstrationen

I don’t like Mondays

Bei den Organisatoren der Montagsdemos geht es drunter und drüber. Nicht anders sieht es bei den Debatten über die Montagsquerfront aus.

Unabhängig und dezentral, gestaltet von den Bürgern an Ort und Stelle – so sehen die Montagsdemonstranten ihre Veranstaltungen gerne selbst. Am Wochenende zeigte sich jedoch, dass die mittlerweile in mehr als 40 deutschen Städten wöchentlich abgehaltenen Veranstaltungen wohl doch eher eine Art zentral verwaltetes Friedens-Franchising sind. In einer »Stellungnahme, betrifft Orga Erfurt« erklärte die »Hauptorga Mahnwachen«, dass man sich von den bisherigen Organisatoren der Erfurter Demo distanzieren müsse, da man eine »parteilose Bewegung aus der Mitte der Bevölkerung« sei, die »im Interesse ­aller Ethnien, Religionen und Gesellschaftsschichten gemeinsam für Frieden, eine freie Presse und ein Wirtschaftssystem ohne Fiat-Money und Zinseszins eintreten« wolle.
»Ab 26. Mai weht frischer Wind in Erfurt«, versprachen die neu eingesetzten Erfurter Demo-Organisatoren auf ihrer neuen Facebook-Seite umgehend und erklärten, es sei »höchste Zeit« gewesen, »die Reißleine zu ziehen und die schlechten Äpfel von den guten zu trennen«; in der bisherigen Organisationsgruppe seien nämlich »aktive Mitglieder der Partei ›Die Linke‹ sowie der ›Piratenpartei‹« gewesen. »Wir solidarisieren uns mit Lars Mährholz, dem Initiator der Montagsdemos in Berlin, sowie mit allen anderen unabhängigen und überparteilichen Organisatoren der aktuell in Deutschland und Westeuropa stattfindenden Montagsdemonstrationen.«

Auf der Facebook-Seite »Anonymous-Kollektiv«, auf der kürzlich das Bild einer Tea-Party-Versammlung von 2009 als Beleg für die starke Beteiligung an gegenwärtigen Protesten dienen sollte, hatte man eine etwas weiter gehende Erklärung für die Absetzung der Erfurter Organisatoren: Der Verfassungsschutz sei »seit geraumer Zeit« dabei, die Montagsdemonstrationen zu unterwandern, es gelte, »wachsam zu sein«. Erst vor kurzem hätten »engagierte Erfurter Bürger eine vom Verfassungsschutz gesteuerte Montagsdemo-Organisatonsgruppe aus der Stadt gejagt«.
Im Übrigen verweise man auf die Erklärung von Ralf Schurig, der Website des »Kollektivs« zufolge Mitglied der zentralen Berliner Organisationsgruppe. Der in Aachen bis vor kurzem im Bereich »Kristalle und Energiearbeit« als Schamane Tätige war im April im »Opa-Blog« eines »antisemitischen Fehltritts« beschuldigt worden, nachdem er einen Beitrag der Website »Deutschland im Würgegriff« weiterverbreitet hatte, in dem es unter der Überschrift »Aufgedeckt: Im Auftrag Israels arbeitende Gruppe von Facebook-Denunzianten enttarnt« über Kritiker geheißen hatte: »Diese Leute, ausgestattet mit dem Intellekt einer Scheibe Brot, erdreisten sich ernsterdings, uns, das Volk der Dichter und Denker, zu bevormunden und zu spalten.«
Ebenfalls im April hatte das Blog »Montagsquerfrontwatch« unter der Überschrift »Ralf Schurig – Schamane, Lebensberater … und Holocaustverharmloser?« Zitate von Schurig veröffentlicht, der kurz zuvor bei der Berliner Demo als Redner aufgetreten war. Demnach hatte er im Jahr 2012 unter dem Titel »Antisemitismus in Deutschland« geschrieben, der Zionismus sei »keine Religion und auch keineswegs ein alter Glaube. Es ist eine Denkweise, die alle Menschen außer den Juden als Untermenschen betrachtet. Kommt ­Ihnen das bekannt vor? Nein, die Nazis waren nicht die ersten, die so dachten. Die Zionisten dachten es schon ein paar Jahrzehnte davor.« Außerdem schrieb Schurig demnach im gleichen Text: »Wenn es danach geht, dass man gegen die Pläne Israels ist, die Welt in einen gewaltigen Atomkrieg zu stürzen, ist der Feind meines Feindes mein Freund. Insofern bin auch ich auf Seiten der Hizbollah und der Hamas.«
In der vom »Anonymous-Kollektiv« verlinkten langen und nicht immer stringenten Erklärung schrieb Schurig am Sonntag, die Montagsdemos seien nunmehr in der »Phase 2« angekommen, »sie bekämpfen dich«. (Der letzte Halbsatz bezieht sich auf ein immer wieder irrtümlich Mahatma Gandhi zugeschriebenes Zitat, »Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du«, das aber in Wirklichkeit aus einer Grußadresse an die vereinigten Arbeiter der Bekleidungsindustrie Amerikas von einem US-Gewerkschafter namens Nicholas Klein stammt). »Der ›Verfassungsschutz‹«, schreibt Schuring, habe seine Privatarmee aktiviert.« Ihn persönlich überrasche es nicht, »dass auch in der ›Antifa‹ entsprechend seit Jahren V-Leute aktiv sind und die fehlgeleiteten Schafe indoktriniert (sic), scharf macht und auf Reizwörter hin trainiert, blind los zu schlagen«. Dies geschehe oft »über den über Jahrzehnte indoktrinierten Deutschen-Selbsthass und die entsprechende Antisemitismus-Unterstellung«. Gleichwohl sollten die Montagsdemonstranten »bitte nicht« den Fehler begehen, »deswegen Groll gegen die echte Antifa zu entwickeln! Sie ist in diesem Spiel genau so Opfer wie wir.« Denn: »Die Störer auf vielen Mahnwachen outen sich jedoch als Menschen mit faschistischer und antideutscher Gesinnung und einem starken Hang zu Provokation und Gewaltbereitschaft. Das ist nicht die Antifa!«

Was genau das alles mit der alten und der neuen Erfurter Organisationsgruppe zu tun haben könnte, man ahnt es nicht wirklich – dafür machte die gleich mit einem ihrer ersten Postings klar, wie der künftige frische Wind in Erfurt aussehen wird. Für die erste Veranstaltung unter neuer Verwaltung kündigte man für kommenden Montag den Auftritt von Jürgen Elsässer an. Dass ausgerechnet die von der Berliner Gruppe eingesetzte Erfurter Gruppe umgehend eine Rede von Elsässer ins Programm nimmt, wird nicht allen Unterzeichnern des Appells »Für eine solidarische Auseinandersetzung mit den Montagsmahnwachen« gefallen. Die »Linke«-Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko, Sabine Leidig und Heike Hänsel sowie unter anderem Professor Peter Grottian (im Appell als »Wissenschaftlicher Beirat Attac« firmierend; Attac legt allerdings Wert darauf, dass bei den Montagsdemos Aktive nicht im Namen der Organisation sprechen, wie Pressesprecherin Frauke Distelrath gegenüber Jungle World betonte) hatten darin erklärt, die Einschätzung, dass es sich bei den Montagsmahnwachen um eine neurechte Bewegung handele, nicht zu teilen: »Unabhängig von der Problematik einzelner Akteure oder Gruppen, macht man es sich zu einfach, die Bewegung selbst mit einem exkommunizierenden Bannstrahl zu versehen.« In einzelnen Städten habe »die Bewegung mittlerweile einen klaren Trennstrich nach rechts gezogen«, daher rufe man »alle linken Kräfte und die klassische Friedensbewegung« auf, an Ort und Stelle »Kontakt, Debatte und Kooperation mit allen Leuten zu suchen, die sich aus oben genannter Motivation an den Mahnwachen beteiligen«.
Aparterweise hatte Heike Hänsel allerdings noch am Montag in einem Interview erklärt: »Was Berlin betrifft, weiß ich von dem Beschluss, sich von Jürgen Elsässer zu distanzieren.«
Wirklich viel Freude dürfte auch Andrej Hunko an den auf seiner Facebook-Seite eingegangenen Reaktionen auf den Appell nicht haben, denn auch dort äußerten sich Linke mehrfach empört über die geplante Teilnahme Elsässers. Während man auf den Seiten der Montagsdemonstranten den großen Durchbruch feierte und davon ausging, dass die zuletzt unter sinkenden Teilnehmerzahlen leidenden Veranstaltungen nun massenhaften Zulauf finden würden, zeigten sich Adressaten des Aufrufs nicht sehr begeistert von der Idee, Seite an Seite mit Verschwörungstheoretikern, Rechts-links-Gleichsetzern und Antisemiten für den Weltfrieden zu demonstrieren. Ein Facebook-User fasste auf der Hunko-Facebook-Seite seine Sicht der Dinge so zusammen: »Wisst ihr, als ich mich das erste Mal mit den ›Antideutschen‹ auseinandergesetzt habe, fand ich sie ziemlich bescheuert. Aber langsam verstehe ich, was deren Problem ist … Für manche Linke scheint wirklich jeder Mistgabel tragende Antisemit, der zum Volkssturm bläst, potentieller Bündnispartner zu sein. Solange er nur gegen ›die da oben‹ ist, versteht sich. Sorry, Leute: Ich mache da nicht mit. Es bleibt dabei: Nie wieder!«