Die Abwicklung der Atomenergie

Wenn Konzerne stiften gehen

Die großen deutschen Energiekonzerne haben vorgeschlagen, den Abbau der Atom­meiler und die Entsorgung des Atommülls über eine öffentlich-rechtliche Stiftung zu finanzieren.

Der Energiekonzern RWE ermittelt regelmäßig mit einem »Reputationsindex«, wie es um sein Ansehen steht. Im vorigen Jahr war sein Wert ein klein bisschen besser als der der regionalen Versorger, heißt es im aktuellen Corporate-Responsibility-Bericht mit dem salbungsvollen Titel »Vertrauen verdienen«. Das ist sicher auch dem immensen Reklameaufwand geschuldet. Soll der »Reputa­tionsindex« von RWE 2014 nicht abstürzen, muss der Konzern wohl noch mehr in Imagewerbung investieren. Für die anderen beiden deutschen großen Energiekonzerne gilt das gleiche. Denn mit ihrem Vorschlag, sich ihrer atomaren Risiken mittels einer Stiftung zu entledigen, nähren die Unternehmen Zweifel, dass sie überhaupt zu einem sicheren AKW-Abbau in der Lage sind.

Die drei größten deutschen Energiekonzerne RWE, Eon und EnBW wollen ihr Atomgeschäft vergesellschaften, um nicht davon in den Abgrund gezogen zu werden. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima sind in Deutschland acht AKW stillgelegt worden, weitere neun sollen bis 2022 folgen. Zu den Eignern stillgelegter AKW gehört auch der schwedische Energiekonzern Vattenfall. Der hat, wie das Handelsblatt berichtet, bereits eine Lösung gefunden, um sich von seinen atomaren Altlasten in Deutschland zu befreien: »Vattenfall stiehlt sich aus Atom-Risiko«, titelte die Wirtschaftszeitung. Der Konzern hat dem Blatt zufolge so umgebaut, dass die Haftung für das deutsche Atomgeschäft nur noch die deutsche Konzerngesellschaft belastet und nicht mehr auf das ganze Unternehmen durchschlagen kann – wobei Gewinne natürlich immer weitergegeben wurden. Werden der Abbau der hiesigen Atomkraftwerke und die Lagerung ihres Mülls für Vattenfall zu teuer, kann sich der Konzern zumindest theoretisch aus Deutschland zurückziehen.
So leicht ist das für deutsche Atomkraftbetreiber nicht. Sie brauchen eine andere Lösung, wenn sie die Entsorgungskosten für die eigenen radioaktiven Altlasten nicht selbst tragen wollen. Ihre Idee: Die gesamte Atomwirtschaft in Deutschland soll künftig von einer öffentlich-rechtlichen Stiftung betrieben werden. Bis 2022 soll die Stiftung für den Betrieb der noch laufenden AKW zuständig sein, danach für den Abbau der Meiler und die Entsorgung. Die damit verbundenen Kostenrisiken wären die Energiekonzerne damit los. Für den Freikauf haben sie eine klare Preisvorstellung. Sie bieten offenbar an, die für Abbau und Endlagerung gebildeten Rückstellungen in die Stiftung einzubringen. Dabei soll es sich um rund 35 Milli­arden Euro handeln. Wie teuer die Abwicklung der Atomenergie wird, weiß niemand – schon weil es bislang kein Endlager für radioaktive Abfälle gibt. Viele Schätzungen gehen aber davon aus, dass sie weit über den gebotenen 35 Milliarden Euro liegen wird. An Subventionen hat die Atomwirtschaft rund 200 Milliarden Euro eingesteckt. Dem Spiegel zufolge sollen die Manager der Energiekonzerne der Bundesregierung schon vor Wochen den Stiftungsvorschlag unterbreitet haben. Dabei haben sie sich ein perfides Druckmittel ausgedacht. Die Manager wollen bei Gesprächen über eine Stiftung diverse Klagen als Verhandlungsmasse ins Spiel bringen, die sie wegen des Atomausstiegs angestrengt haben. Dabei könnte es um Schadenersatzforderungen von bis zu 15 Milliarden Euro gehen – wobei völlig offen ist, ob überhaupt jemals ein einziger Euro Entschädigung gezahlt wird.

Die öffentliche Reaktion nach Bekanntwerden des Vorstoßes fiel vernichtend aus. »Die Gefahr ist groß, dass die herrschende Politik erneut bereit ist, das Geld der Allgemeinheit an die Raubtierkapitalisten zu verschleudern«, sagte Sahra Wagenknecht (Linkspartei). Der nordrhein-westfälische Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) hält die Kopplung von Stiftungsvorschlag und Klageverzicht für »schlichte Erpressung«. »Erst Milliarden-Subventionen für den Ausbau der Atomenergie zu erhalten und dann die Kosten der Abwicklung und der Endlagerung auf die Gesellschaft übertragen zu wollen, ist unverschämt und unseriös«, sagte er. Auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) wählte klare Worte: »Die uneingeschränkte Verantwortung für den sicheren Auslaufbetrieb, die Stilllegung, den Rückbau und die Zwischenlagerung des Atommülls liegt bei den Energieunternehmen. Diese haben uneingeschränkt sämtliche Kosten der Stilllegung, des Rückbaus sowie der Endlagerung zu tragen.« Doch nach der ersten Empörung werden andere Stimmen laut. Darunter sind einige, die wie Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) oder EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) der Energiewirtschaft nahestehen.
Aber es sind auch manche dabei, die nicht im Verdacht stehen, die Gewinne der Energiekonzerne sichern zu wollen, wie die frühere nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn (Grüne). »Ich mache mir Sorgen, dass früher oder später ein großer Energieversorger pleite geht und dann auch die Rückstellungen nicht mehr für den Rückbau der Atomkraftwerke zur Verfügung stehen«, sagte sie. Diese Sorge ist berechtigt. Die drei wichtigsten AKW-Betreiber würden mit ihrem Vorschlag eingestehen, »dass die Atomkraft auch ökonomisch nicht zu beherrschen ist«, stellte das Manager Magazin fest. Die Konzerne hätten zu lange ignoriert, dass ihr Geschäftsmodell der Stromgewinnung aus Großanlagen überholt sei, ob sie den Sprung in die Welt der erneuerbaren Energien schafften, sei fraglich. Noch ließen sich die Rückstellungen mobilisieren – was in ein paar Jahren schon anders aussehen könnte, denn die Rückstellungen liegen nicht auf einem Konto, sondern sind in Vermögenswerten gebunden, etwa in Kohlekraftwerkanlagen. Die Anlagen verlieren dramatisch an Wert.Ein Gutes immerhin hat der Vorstoß der Energiekonzerne: Er lenkt den Blick darauf, wie die Abwicklung der Atomenergie finanziert werden soll. Die Bundesregierung sollte eine Lösung für die Insolvenzsicherung der Rückstellungen finden. Modelle dafür gibt es genug. Bei der Sicherung von Betriebsrenten für Beschäftigte oder bei Bauprojekten verlangt der Staat auch von Unternehmen Garantien, dass Zusagen eingehalten werden. Umweltverbände, Grüne und SPD fordern schon lange die Einrichtung eines Fonds, in dem Kapital für die Atomabwicklung gesammelt wird. Auch Experten wie Michael Sailer vom Öko-Institut sprechen sich für einen solchen Fonds aus. Sie wollen aber, dass die AKW und deren Müll im Besitz der Energiekonzerne bleiben und diese damit weiter für die Risiken verantwortlich sind. Das lehnen die Unternehmen ab, sie hoffen offenbar, eine Lösung wie für die »Ewigkeitskosten« des Steinkohlebergbaus durchzusetzen – eine Branche, die ebenfalls mit ungeheuren Summen subventioniert wurde.

2018 wird die staatliche Subvention der Steinkohleförderung eingestellt. Dann wird wahrscheinlich die letzte Zeche schließen. Aber wie bei der Atomkraft bleiben die Folgen auf unabsehbare Zeiten bestehen und entfalten ohne Gegensteuerung eine gewaltige Zerstörungskraft. Die unterirdische Kohleförderung war und ist nur möglich, weil ungeheure Wassermengen weggepumpt werden. So lange das Ruhrgebiet von Menschen besiedelt ist, muss für ein riesiges Gelände Grundwasser abgepumpt werden. Diese »Ewigkeitskosten« trägt die RAG-Stiftung, in die viele Milliarden an Steuergeldern geflossen sind. Das zeigt: Ökologische Langzeitprobleme in den Geschäftsbereich einer Stiftung zu verlagern, kann lohnend sein – zumindest für politische Altlasten. Auf wohldotierten Vorstandsposten untergekommen sind dort der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Werner Müller und Nordrhein-Westfalens früherer Finanzminister Helmut Linssen (CDU).