Intrigen und Streit in der Linkspartei

Reformismus in der Krise

Denunziation, Intrigen, Demütigungen – und keiner wills gewesen sein. In der Linkspartei tobt ein heftiger Streit, der vor allem zu Lasten des sogenannten Reformerflügels ausgetragen wird.

Kaum sechs Wochen sind seit der Wiederwahl der hochgelobten Vorsitzenden der Linkspartei, Katja Kipping und Bernd Riexinger, vergangen. Ihnen gebühre das Verdienst, der parteiinternen Selbstzerfleischung Einhalt geboten zu haben, hieß es in den Kommentaren, die auf den Berliner Parteitag folgten – ein mittlerweile korrekturbedürftiges Fazit. Denn vor allem zwischen Kipping und den sich übervorteilt fühlenden Reformern tobt nun ein gewaltiger Streit. Diese erheben seit dem Parteitag schwere Vorwürfe. In der Partei herrsche ein »Klima der Angst und Denunziation«, schrieb die Bundestagsabgeord­nete der »Linken«, Halina Wawzyniak, vergangene Woche im Magazin Cicero.

Grund für die alarmistischen Worte der Abgeordneten, die dem Reformerflügel um Dietmar Bartsch zugerechnet werden kann, ist ein an den Spiegel weitergereichtes Strategiepapier, das aus der Parteizentrale kommen soll. In dem aus der Zeit vor der Bundestagswahl stammenden Schreiben geht es um fraktionsinternen Personalentscheidungen nach der Wahl. Missliebige Genossen werden darin als »personelle No-Gos« oder auch als »überflüssig« bezeichnet. Im Falle eines Scheiterns bei der Wahl sollten »Versorgungsfälle« nicht wieder als Mitarbeiter angestellt werden. Die Fraktion dürfe nicht zur »Resterampe der Rausgeschmissenen« werden. Zu den »personellen No-Gos« gehört neben dem Rostocker Sozialsenator Steffen Bockhahn und dem ehemaligen Fraktionsmitarbeiter Mark Seibert, beide ebenfalls Reformer, auch Wawzyniak. Sie zog nach Bekanntwerden des an die Methoden einer Kaderpartei erinnernden Dossiers ihre Konsequenzen und trat von ihrem Posten als stellvertretende parlamentarische Geschäftsführerin zurück. In Ihrem Blog schrieb sie von einem »Bruch der innerparteilichen Kultur«.
Der Spiegel machte unter dem Titel »Katja die Grobe« vor allem Kipping für das ominöse Schreiben verantwortlich – allerdings ohne konkrete Beweise. Die Parteivorsitzende kündigte daraufhin rechtliche Schritte an. Dem Sender N-TV sag­te sie, sie kenne das Geheimpapier erst, seit es der Tagesspiegel online zugänglich gemacht habe. Zudem komme das Dossier, wenn man sich die darin gefällten Urteile ansehe, »aus einer ganz anderen Strömung«, womit sie den in der Partei als links geltenden ehemaligen WASG-Flügel meinte. In der Tat überraschen mache Personalien in dem Schreiben. Unter »zu schützenden Personen« ist unter anderem Oliver Nöll aufgeführt, ein ehemaliger Wahlkampfleiter Oskar Lafontaines. Dies dürfte einer der Gründe sein, warum, wie die Welt schreibt, viele in der Partei annehmen, das Papier stamme von Riexinger, der in der Parteiführung für den westdeutschen Flügel steht. Doch der streitet ebenfalls ab, das Dossier jemals gesehen zu haben.
Dass sich die öffentliche Kritik vor allem gegen Kipping richtet, liegt vor allem daran, dass sie eine große Angriffsfläche bietet. Auf dem Parteitag in Göttingen, auf dem sie 2012 gemeinsam mit Riexinger zur Vorsitzenden gewählt wurde, empfahl sich die Gründerin der »Emanzipatorischen Linken« als Vertreterin eines neuen Tonfalls und offenen Umgangs in der Partei. Deshalb besteht derzeit ein gewisser Reiz, ihr das Etikett der an Machiavelli geschulten Machtpolitikern anzuheften. Im Spiegel ist sogar von einer geplanten Entmachtung Gregor Gysis die Rede, wofür sich Kipping mit der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht verbündet haben soll. Die jüngst auf dem Berliner Parteitag beschlossene Fraktionsdoppelspitze ab 2015, die Gysis Einfluss vermindert, sei Teil dieses von langer Hand geplanten Streichs.

Vor dem Berliner Parteitag kursierte in den Reihen der Parteiführung zudem ein weiteres, ebenfalls vom Spiegel zitiertes Strategiepapier, das durchaus Kippings Handschrift trägt. Minutiös wurde darin die letztlich auch erfolgreiche Abwahl des Bundesschatzmeisters Raju Sharma geplant, der zu den Reformern gehört. Dass sich die Parteiführung für oder gegen Mitarbeiter ausspricht, ist dabei nicht beanstandenswert. Allerdings verbreitete die Parteiführung auf der Veranstaltung die Kunde von einem nicht näher erläuterten Konflikt mit Sharma, was unter Parteigenossen schließlich zu Spekulationen führte, der Bundesschatzmeister habe eventuell Geld unterschlagen. Kipping sagte mittlerweile dazu, man habe Sharma zugunsten seines weiteren Berufswegs vor der medialen Verbreitung ihrer Kritik schützen wollen und sei daher in Andeutungen verblieben.
Das war auf dem Parteitag jedoch nicht die einzige Demütigung. Die um das »Forum Demokratischer Sozialismus« (FDS) organisierten Reformer hätten es gerne gesehen, wenn der Europaexperte Dominic Heilig zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt worden wäre. Dafür soll es zuvor auch zustimmende Signale der Parteiführung gegeben haben. Doch eine Fürsprache der Vorsitzenden blieb aus. »Dass beide Vorsitzende für Dominics Wahl scheinbar nichts getan haben, verstehen wir so, dass unsere verstärkte Mitarbeit in der engeren Parteispitze in Wirklichkeit nicht gewollt war«, konstatierten die FDS-Vorsitzenden Stefan Liebich und Luise Neuhaus-Wartenberg frustriert in einer öffentlichen Erklärung.
Der Berliner Parteitag reiht sich damit in eine ganze Serie von Niederlagen des Reformerflügels ein, der derzeit über eine – wenn auch unwahrscheinliche – Auflösung des FDS nachdenkt. Über ihre Perspektiven will die Strömung Ende Juni diskutieren. Für den sukzessiven Machtverlust seit dem Göttinger Parteitag 2012 machen viele Reformer die zu keinem Flügel gehörende und als Vertreterin des sogenannten »dritten Weges« geltende Kipping verantwortlich. Bündnisse mit den Reformern soll die innerparteilich vor allem für Feminismus und das bedingungslose Grundeinkommen eintretende Politikerin die vergangenen Jahre konsequent verschmäht haben. Wie es um das Verhältnis zur Vorsitzenden steht, zeigt vor allem ein vor einigen Monaten bekannt gewordenes Liederbuch mit dem Titel »Bartschismo o muerte! Lieder für fröhliche Bartschisten«. In umgedichteten Schlagern wird Kipping als Hexe verspottet.

Angesichts der von den »Bartschisten« betriebenen medialen Offensive – neben Spiegel und Cicero berichtete auch das ZDF ausführlich aus der Perspektive der Reformer – sah sich die Parteiführung nun gezwungen zu reagieren. Von nun all soll es einen »Ehrenkodex« für das Verfassen parteiinterner Papiere geben. Zudem lädt man die Betroffenen zum Gespräch. Ob das den Konflikt befrieden wird, ist fraglich. Aus dem Umfeld der Reformer hört man, es seien zwei weitere kompromittierende Geheimpapiere in Umlauf. Eine Weitergabe an die Medien ist nicht ausgeschlossen.

Geändert am 23. Juni 2014. In der vorherigen Version hieß es, Mark Seibert gelte als Verfasser des umstrittenen Liderbuches »Bartschismo o muerte! Lieder für fröhliche Bartschisten«. Mark Seibert ist jedoch nicht der Verfasser.