Tattoos? Nein!

Gegen den Tattoo-Fetisch

Grundsätzlich ist kaum etwas gegen Tattoos einzuwenden. Wenn nicht die verblassenden Farben und die zweifelhaften Mo­tive wären.

Im Grunde ist es mit den Tattoos wie mit selbstgeänderten, cooler klingenden Vornamen, Brustvergrößerungen (oder -verkleinerungen), Piercings und allem anderen Ego-Aufbrezelzubehör: Soll halt jeder machen, was er will.
Andererseits haben Tattoos durchaus Ballonmützen-Potential (Ballonmützen sind diese gern in ausgesprochen scheußlichen, nicht zueinander passenden Farben daherkommenden Dinger, die noch nie in der Geschichte des modernen Hippie-Zubehörs irgendjemandem gestanden haben und außerdem immer, immer so getragen werden, dass sie die Aussicht auf Bands, niedliche Tierbabys oder auch einfach nur leidlich anguckbare Gegend versperren, weswegen sie nach der Revolution auch verboten werden, aber das ist ein anderes Thema). Und das ist schlecht.
Eigentlich sind tätowierte Menschen ja ziemlich komfortabel: Je nachdem, was sie für Symbole auf ihrer Haut verewigt haben, muss man sich gar nicht erst die Mühe machen, sie kennenzulernen. Und man hat was zu gucken, wenn einem langweilig ist. Theoretisch, denn praktisch ist das, was man zu sehen bekommt, ziemlich häufig nicht besonders ansprechend. Wer je miterlebt hat, wie in einer Westberliner Absturzkneipe zwei schwer Betrunkene einander stolz Stück für Stück ihre Tattoos zeigen, die im Großen und Ganzen aus perspektivisch nicht sehr überzeugenden Kreuzen auf Hügeln sowie Darstellungen von Schiffen und Ankern bestehen, für die man bereits im Kunstuntericht der 5. Klasse bestenfalls ein Mangelhaft bekommen würde, der weiß, wie unschön es ist, wenn dazu nicht geeignete Personen in den Besitz von Tätorwiermaschinen kommen.

Nun könnte es einem natürlich auch egal sein, ob Leute mit hässlichen Bildern auf Brust, Rück­en, Armen, Beinen herumlaufen, aber im vorliegenden Fall handelte es sich überdies um sehr aggressive schwer Betrunkene, die furchtbar ungern von allen anderen in der Kneipe ignoriert werden wollten. Klar, das waren jetzt nun zwei fiese Ausnahmen, normalerweise erwarten Tattoo-Inhaber gar nicht, dass alle ihre Mitmenschen ihre Bildchen hübsch finden. Aber vielleicht können sie sich auch gar nicht vorstellen, dass man sich unwillkürlich jede Menge Fragen stellt, sobald man jemandem mit einem frisch gestochenen Kunstwerk erblickt, wie zum Beispiel: Ahnt diese Person eigentlich, wie furchtbar dieses Dings in ungefähr 20 Jahren aussehen wird, wenn aus dem, sagen wir: Segelschiff durch den normalen Hautalterungsprozess ein verschrumpelter, runz­liger Kahn werden wird? Oder: Kann eigentlich nie mal jemand daran denken, wie so ein Tattoo aussehen wird, wenn es verblasst?

Womit wir beim Grund sind, warum ich kein Tattoo habe (und keine Piercings und keine Löcher, wo sie nicht hingehören, und was es nicht noch alles gibt): Mir gefallen diese Tätowierfarben einfach nicht, und zwar nicht, wenn das Ganze frisch ist, und schon gar nicht, wenn sie verblichen sind und aussehen, als wären sie grad aus einem historischen Matritzen-Gerät gezogen worden. Außerdem kann ich mir kein Motiv vorstellen, das mich nicht nach spätestens einem halben Jahr langweilen würde – und die Vorstellung, sich im Spiegel zu betrachten und ganz fürchterlich angeödet zu sein von einem nicht abwaschbaren Bildchen, das nur mit super viel Aufwand wieder zu entfernen wäre, ist nicht angenehm. Und dann sind da noch die konkreten Motive: Die Welt ist schon voll genug mit Menschen, die sich irgendeinen Unsinn in einer Sprache, die sie nicht verstehen, haben tätowieren lassen, exotische Schriftzeichen fallen also weg, wenn man nicht darauf steht, aus Versehen »Blumenkohl im Angebot« oder Ähnliches statt Sinnsprüchen über das Sein an sich spazieren zu tragen.
Aber vielleicht ginge ein Bild von einem hübschen Obst? Theoretisch ja, andererseits: warum? Damit es mit mir zusammen verwelken kann? Also nein, kein Obst. Und auch keine Abbildungen von geliebten Menschen, die man vielleicht schon in wenigen Monaten hasst – und die außerdem wahrscheinlich gar nicht auf Oberarmen oder sonstwo zur Schau gestellt werden wollen. Bleiben Schiffchen, Kreuze auf Hügeln oder abstrakte Muster, also Scheußlichkeiten, die zu Hau­se nicht an der Wand hängen dürften, was sie nicht zum Hautschmuck qualifiziert.
Aber hej, Politbotschaften vielleicht? Nein. Und auch keine roten Sterne, die irgendwann ja doch bloß nur noch sonnenbrandrötlich und außerdem von blauen, knotigen Adern und Falten durchzogen sein werden. Wobei es natürlich in Einzelfällen schon sehr schade ist, dass sich mancher nicht vor Jahren seine damalige Überzeugung hat tätowieren lassen, am besten noch mitten im Gesicht und nun entsprechend mit »Antideutsch forever« oder »I stand with Israel« verziert auf Montagsdemos versuchen müsste, die Massen zu agitieren.