Es ist kompliziert – das Verhältnis der Linkspartei zu Israel

Beendet das Sterben!

Die Debatte über das Verhältnis zu Israel wird seit vielen Jahren in der Linkspartei, früher PDS, geführt. Nach den Ausschreitungen bei einer linken Gaza-Solidaritätskundgebung in Essen ist der Streit neu entflammt, aber die internen Kritiker scheinen sich mit Appellen gegen Antisemitismus und Antizionismus zu begnügen. Vielleicht auch, weil sie ihren Stand in der Partei richtig einschätzen.
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Am 16. Juli zeigten die Abgeordneten der europäischen Linksparteien Flagge: Sie hielten während einer Plenarsitzung im Europaparlament Schilder mit der palästinensischen Fahne hoch, auf denen verschiedene Parolen zu lesen waren, unter anderem »End Gaza Blockade« und »End Occupation of Palestine«. Selbstverständlich war nicht ein einziges Schild mit der israelischen Fahne dabei, oder eine Losung, die ein Ende der Raketenangriffe der Hamas forderte. Mit der Aktion wollten die Europäischen Linken gegen den israelischen Militäreinsatz in protestieren. Worin der Zusammenhang von einer Kritik an der vermeintlichen »Blockade Gazas« – was immer damit gemeint sein soll – und an der »Besatzung Palästinas« – womit ja nur die Westbank gemeint sein kann – mit dem derzeitigen Krieg im Gaza-Streifen besteht, bleibt wohl das Geheimnis der Abgeordneten der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordischen Grünen Linken (GUE/NGL), deren Vorsitzende seit 2012 die Deutsche Gabriele Zimmer (Die Linke) ist.
Die irische Europaabgeordnete Martina Anderson von Sinn Féin, die ebenfalls der GUE/NGL-Fraktion angehört, ergriff außerdem auf einer kleinen Kundgebung vor dem Parlament in Straßburg über Megaphon das Wort. Sie erklärte: »Zu lange haben die Uno und die internationale Gemeinschaft der Blockade Gazas zugeschaut, sowie dem Bau einer Apartheidsmauer, der Errichtung von Straßenblockaden und der Einführung getrennter Busse.« Es geht bei den antiisraelischen Protesten also nicht nur gegen den gegenwärtigen Militäreinsatz, sondern irgendwie gegen alle Bösartigkeiten, die man der israelischen Seite sowieso gerne unterstellt. Die Hamas scheint sich hingegen wenig zu Schulden kommen zu lassen. Von den zwölf Forderungen eines einen Tag zuvor formulierten Entschließungsantrags der Europäischen Linken richtet sich nur eine an die Terrororganisation: Die Hamas möge damit aufhören, Raketen auf Israel zu schießen.
Dafür fordern die Verfasser des Papiers, Uno-Friedenstruppen zu entsenden, um »ein Ende des Tötens und Leidens des palästinensischen Volkes seit 2007 im Gaza-Streifen« zu erreichen. Warum gerade 2007, das Jahr des Bürgerkriegs zwischen Hamas und Fatah? Man weiß es nicht. Die damalige Parteivorsitzende Gabriele Zimmer hatte solches bereits 2002 auf dem Bundesparteitag in Rostock gefordert und die Bundestagsfraktion verabschiedete damals einen entsprechenden Antrag. Interessant dabei ist, dass Uno-Blauhelme ansonsten von der Linkspartei höchst kritisch beurteilt und zumeist als »sogenannte Friedensmissionen« getadelt und abgelehnt werden. Der verteidigungspolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Alexander Neu, schrieb erst Ende Juni in einem Gastbeitrag für die Zeit, er lehne Peacekeeping-Einsätze der Uno grundsätzlich ab. Die »Linke« werde solchen Missionen nur dann »nach einer Einzelfallprüfung gegebenenfalls zustimmen«, wenn zuvor »eine grundlegende Demokratisierung der UN zu Gunsten der Vollversammlung und zu Lasten des Sicherheitsrates« stattgefunden habe. All solche Bedenken scheinen jedoch nicht zu gelten, wenn sich die Uno gegen Israel instrumentalisieren lässt.

Im Kreis der linken Parteien Europas – und sicher nicht nur dort – ist die deutsche Linkspartei mit ihrem Antizionismus also gut aufgehoben. Immerhin hört man bei der Partei »Die Linke« zuweilen auch Widerspruch. Möglicherweise ist es sogar so, dass nur in der deutschen Linkspartei überhaupt eine kritische Debatte über das Verhältnis zum Nahost-Konflikt stattfindet. Immer wieder legen Mitglieder und Funktionäre Protest ein, etwa 2006, als ein Vertreter der Hamas von der Partei zu einem »repräsentativen Treffen von Friedenskräften« nach Berlin eingeladen wurde. Eine Protestnote mit der Überschrift »Hamas raus aus den Köpfen!« (in Anlehnung an ein altes Wahlplakat, »Nazis raus aus den Köpfen!«) wurde von etwas mehr als 30 zumeist weniger prominenten Mitgliedern aus Sachsen unterzeichnet. Nicht das allerdings, sondern die Tatsache, dass ihm als Mitglied einer Terrororganisation die Einreise nach Deutschland verweigert wurde, war der Grund, warum der Sprecher der Hamas nicht zur Konferenz erschien.
2006 war es auch, als die heutige Parteivorsitzende Katja Kipping ein umfangreiches Papier verfasste, in dem sie forderte, den »Antizionismus zu verwerfen« und eine grundsätzliche Kritik am Antiimperialismus zu formulieren. Das Existenzrecht Israels müsse »bedingungslos anerkannt« werden. Mit dem Papier intervenierte Kipping damals ganz gezielt in die Debatte und kritisierte die antiisraelischen Tendenzen in der Partei.
Heute ist sie Parteivorsitzende und von ihr ist kaum etwas zu vernehmen. Lediglich eine möglichst neutral gehaltene gemeinsame Erklärung mit dem Co-Vorsitzenden Bernd Riexinger und dem Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi unter der putzigen Überschrift »Beendet das Schießen und Sterben!« gab es. Darin formuliert das Führungstrio jedoch nur Sätze, die wohl alle in der Partei unterschreiben würden, etwa: »Demonstrationen gegen eskalierende Gewalt sind richtig. Gemeinsames Agieren mit Antisemiten, mit Menschen, die ›gegen die Juden‹ offen oder unterschwellig agitieren, und mit Menschen, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, kommt für uns nicht in Frage.« Zu Hamas und israelischer Regierung wahrt man Äquidistanz: »Es ist die Hamas, die Israel mit ihren Raketen beschießt und es ist die israelische Regierung, die die Militäroffensive gestartet hat. Auf beiden Seiten profitieren Hardliner von der Verstetigung des Konflikts.«

Sehr viel deutlicher formulierte der neue Sprecher des Reformerflügels, Dominic Heilig, seine Kritik an der von der Linksparteijugend organisierten antiisraelischen Demonstration in Essen, zu der vor drei Wochen zahlreiche Antisemiten erschienen, die versuchten, eine proisraelische Kundgebung anzugreifen. Auf seiner Facebook-Seite schrieb er: »Vom Hitlergruß über Hakenkreuze, Flaschenwürfe, Plakate wie ›Stoppt den Juden-Terror‹ bis hin zu Rufen wie ›Kindermörder Israel‹ – die Demonstration in Essen in bewegten Bildern. Ein Linke-MdB hatte den Aufzug zuvor, von dem diese ›friedliebenden Bürger‹ kamen, als Anmelder durchgeführt. Und ein Landesvorsitzender in NRW behauptet weiterhin, es hätte keine ›Vorfälle‹ gegeben! Alles so unglaublich, unfassbar.« Jan Korte, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion, stellte die rhetorische Frage: »Warum muss eigentlich erst Israel an einem Konflikt beteiligt sein, damit Menschen auf die Straße gehen oder wie wild Pamphlete und Presseerklärungen verfassen?« Und Petra Pau, Vizepräsidentin des Bundestags, twitterte: »Friedens-Demos, auf denen Hass gegen Juden gepredigt wird, sind Kriegs-Demos, also niemals links. #Antisemitismus«.
In der Linkpartei gibt es mit dem BAK Shalom sogar eine explizit israelsolidarische Organisation. Rund 150 Mitglieder hat sie, und Landesverbände in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Hessen, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Bremen, Sachsen-Anhalt und Berlin. 2007 wurde der Bundesarbeitskreis gegründet, doch seitdem hat sich nicht viel zum Positiven geändert. BAK-Mitglied Stefan Kunath sieht das allerdings nicht so pessimistisch. »Wir hatten nicht die illusorische Erwartung, dass wir innerhalb weniger Jahre den Antizionismus in der ›Linken‹ überwinden könnten. Das sind lange – parteipolitische – Prozesse, die unsere Kritiker nur schwer nachvollziehen können. Wir sehen unsere Arbeit als ein zartes Pflänzchen, das wir durch jede Menge Bildungsangebote gießen müssen«, sagte er der Jungle World. In der Partei habe sich einiges entwickelt: »Wir haben mittlerweile klare Beschlüsse der Partei und der Bundestagsfraktion gegen Antizionismus. Im Parteiprogramm steht das Existenzrecht Israels außer Frage.«
Kunath widerspricht dem Eindruck, dass der Antizionismus in der Partei den Diskurs vorgebe. Allerdings werde er »von einer Minderheit lautstark propagiert und das zu Lasten und Schaden der Gesamtpartei. Dabei unterscheiden sich der Stand der Debatte von Landesverband und Landesverband in der Partei sehr stark.« Dass der Antizionismus dennoch virulent ist in der Partei, liege »an der Geschichte der West-Linken sowie der Geschichte der DDR. Das trägt sich bis heute teilweise weiter.« Die Geschichte der Ost-Linken unterscheide sich insofern von der der West-Linken, »als dass in der DDR ein staatlich verordneter Antizionismus herrschte. Gleichzeitig haben wir aber in den letzten Jahren festgestellt, dass die Genossinnen und Genossen im Osten wesentlich eher dazu bereit waren, über diese Vergangenheit kritisch zu reflektieren, als das im Westen der Fall ist. Man hat das Gefühl, dass im Westen der Antizionismus teilweise als Kitt herhalten muss, um Landesverbände zusammenzuhalten.«

Liest man die Leserbriefe in der parteinahen Tageszeitung Neues Deutschland, die meist einen guten Überblick darüber geben, wie an der ostdeutschen Basis gedacht wird, hat man allerdings nicht unbedingt den Eindruck, dass es im Osten weniger israelfeindlich zugeht. Kunaths These, dass es sich bei den Antizionisten in der Partei nur um eine Minderheit handele, ist jedenfalls gewagt. Wäre dem so, würden Verstöße gegen Parteibeschlüsse vermutlich konsequenter geahndet. Tatsächlich haben aber weder die Einladung an den Hamas-Terroristen, noch die Aufrufe zum Boykott israelischer Waren, noch die Teilnahme dreier Politiker der »Linken« an der Gaza-Soli-Flottille 2010 zusammen mit Islamisten und türkischen Faschisten, und auch nicht der von der Linken angezettelte antisemitische Krawall in Essen Konsequenzen gehabt. Auch der Auftritt des Bundestagsabgeordneten Diether Dehm bei der neurechten Montagsmahnwache blieb, trotz eindeutiger Beschlusslage des Bundesvorstands, solches zu unterlassen, folgenlos.
Die Verantwortung für dieses Laissez-faire gegenüber dem Antizionismus und Antisemitismus sieht Kunath bei der Partreiführung: »Auf einer Veranstaltung der ›Linken‹ Berlin Neukölln am 28. Juli wurden die Raketen der Hamas als ungefährlich sowie die Israelis als die ›Nazis von heute‹ bezeichnet. Zudem wird der Zionismus regelmäßig mit Rassismus gleichgesetzt und in NRW spricht der Landesvorsitzende davon, dass der Antisemitismusvorwurf nur vom Vorgehen Israels in Gaza ablenken soll. Die Antwort darauf muss sein, dass es noch mehr Bildungsangebote zum Thema in der Partei gibt und Antizionisten beziehungsweise Antisemiten aus der Partei gedrängt werden. Wir arbeiten aber ehrenamtlich und können uns nicht um alles kümmern, die Ressourcen dafür liegen bei der Partei.« An Bekenntnissen mangele es dabei nicht, sagt Kunath, »aber diese müssen in die Tat umgesetzt werden. Wie hat Elvis Presley gesungen: ›A little less conversation, a little more action‹.« Es sind jedoch nach wie vor eher die Antizionisten in der Partei, die diesem Rat zu folgen scheinen.