Hiwa Bahrami im Gespräch über den Kampf gegen Isis in Irakisch-Kurdistan

»Humanitäre Hilfe ist zu wenig«

Im kurdischen Autonomiegebiet des Nord­irak kämpfen derzeit verschiedene Truppen gegen den Vormarsch der islamistischen Terrororganisation »Islamischer Staat im Irak und Syrien« (Isis, siehe Seite 12). Die Jungle World sprach telefonisch mit Hiwa Bahrami über die Bedeutung des Konflikts für die Region und dessen Folgen. Er ist Repräsentant der Democratic Party of Iranian Kurdistan (PDKI) in Deutschland und Österreich. Die PDKI ist mit ihren Truppen an den Kämpfen gegen Isis im Nordirak beteiligt.

Welche Rolle spielen die Truppen der PDKI derzeit?
Ich befinde mich im Nordirak, im irakischen Kurdistan in der Nähe von Erbil, was eine halbe Stunde mit dem Auto von der vordersten Front entfernt liegt. Wir von der PDKI haben vorige Woche, als Isis Richtung Erbil marschiert ist, bekannt­gegeben, dass wir bereit sind, unsere Truppen dorthin zu schicken, damit sie mit den Peshmerga gegen Isis kämpfen. Man hat uns von Anfang an mitgeteilt, dass das nicht notwendig sei, aber am Freitagabend vergangener Woche wurden wir doch von der Regionalregierung gebeten, unsere Truppen zu schicken. Wir haben das getan und unsere Einheiten kämpfen an vorderster Front.
Es befinden sich auch iranische Truppen in der Nähe unserer kämpfenden Truppen. Der Iran hat in den letzten Tagen sehr viel Druck auf die kurdische Regionalregierung ausgeübt, dass wir unsere Truppen zurückziehen sollen. Dafür gibt es auch Gründe. Das iranische Regime hat in seiner Propaganda behauptet, dass unsere Partei am Boden liege, dass wir nicht mehr kämpfen könnten – und wir haben sie überrascht. Aber wir werden uns weiterhin an diesen Kämpfen beteiligen. Es ist unsere Pflicht, die kurdischen Gebiete zu verteidigen und den Terrorismus zu bekämpfen.
Dennoch ist es eine seltsame Situation, neben dem iranischen Regime den gleichen Gegner zu bekämpfen.
Ja, aber der Iran hat ja Truppen der Revolutionsgarden in den Irak geschickt, um die irakische Zentralregierung zu verteidigen, nicht die Kurden im Irak. Deshalb sind die iranischen Truppen auch nicht an den Kämpfen beteiligt. Der Iran unterstützt nur die irakische Armee. Hätte der Iran in den vergangenen zwei Wochen auch die kurdischen Peshmerga unterstützt, hätte es Isis wahrscheinlich nicht geschafft, so viele kurdische Gebiete einzunehmen. Es befinden sich keine iranischen Truppen auf kurdischer Seite, nur in der Nähe, bei Kirkuk. Aber in den vergangenen Tagen hieß es auch, dass wir aufpassen müssten, nicht an vorderster Front mit iranischen al-Quds-Brigaden in einen Konflikt zu geraten. Wir müssen uns nicht nur vor Isis, sondern auch vor den iranischen Truppen in Acht nehmen.
Haben die Luftschläge der USA eine Wende im Konflikt mit Isis gebracht?
Natürlich war die Situation direkt davor noch viel gefährlicher als heute. Man hat am Anfang nicht mit der Stärke von Isis gerechnet, aber Isis ist militärisch doch sehr gut ausgerüstet. Zudem sind es nicht nur die radikalen Islamisten, die für Isis kämpfen, sondern auch zahlreiche ehemalige Mitglieder der Ba’ath-Partei und ehemalige irakische Armeeangehörige. Diese sind natürlich militärisch ausgebildet und können deshalb auch mit den Waffen umgehen, die sie vor einem Monat in Mossul von der irakischen Armee erbeutet haben. Isis kämpft mehr oder weniger wie eine Armee. Die kurdischen Peshmerga waren gefährdet, nachdem Isis mit sehr viel Artillerie und anderen Waffen vorgerückt ist, womit die Peshmerga wahrscheinlich gar nicht gerechnet hatten. Zu dem Zeitpunkt hätte es auch nicht mehr viel genutzt, nur Truppen zu schicken, weil ohne eigene Artillerie nicht viel erreichbar gewesen wäre. Die Bombardierung der Isis-Artilleriestellungen durch die USA hat die Situation doch sehr verändert und die Peshmerga sind auf dem Vormarsch.
Wird Isis nach Ihrer Einschätzung aus dem Irak zurückgedrängt werden oder sind Teile des Irak auf absehbare Zeit verloren?
Nach meinen Informationen werden nach den US-amerikanischen Luftangriffen auf Isis kurdische Bodentruppen versuchen, Mossul anzugreifen. Das kann in den nächsten Tagen geschehen, wenn es so läuft wie geplant. Wenn es gelingt, Isis mit einer Großoffensive aus Mossul zu vertreiben, rechnet man damit, dass Isis sich wieder nach Syrien zurückzieht.
Wie entwickelt sich gerade die militärische Situation?
Am Sonntag konnten die Kurden zwei Kleinstädte 50 Kilometer nördlich von Mossul zurückerobern, aber am Montag gab es 30 Kilometer von der iranischen Grenze entfernt wieder viele Kämpfe und Isis hat eine weitere kurdische Stadt eingenommen. Die Situation ist also nach wie vor kritisch.
Wenn es gelingt, Isis aus dem Irak zu vertreiben, könnte das eine positive Auswirkung auf die innenpolitische Situation im Irak haben, etwa im Hinblick auf mehr Föderalismus?
Meiner Meinung nach hat die irakische Regierung jetzt zumindest bemerkt, dass die Kurden militärisch viel mehr Widerstand gegen Isis leisten konnten als die irakische Armee. Wenn Isis vertrieben wird, wird es zwischen dem irakischen Parlament beziehungsweise einem neuen Ministerpräsidenten und der kurdischen Regionalregierung zum Dialog kommen. Man hat jetzt wenigstens wieder Kontakt und ich schätze es so ein, dass eine irakische Regierung mit kurdischer Beteiligung gebildet werden wird. Das wird aber nicht lange funktionieren, denke ich.
Nach dem Angriff durch Isis sind viele Araber in die kurdischen Gebiete gekommen und haben Zuflucht gesucht, aber ich habe auch in Erbil erlebt, wie die Kurden gegen die Araber demons­trieren. Die Regionalregierung hat Stellung bezogen, dass die Araber so lange wie nötig Unterstützung erhalten, aber die Öffentlichkeit möchte keine Araber hier haben. Diese könnten ja auch zu Isis gehören und früher oder später zu einer Bedrohung für die kurdischen Städte ­werden.
Der Konflikt mit Isis hat also eher die Spaltung im Irak vorangetrieben als zu einer neuen irakischen Einheit zu führen?
Die Stimmung im irakischen Kurdistan ist nach wie vor so, dass die Menschen eine Abspaltung vom Irak wollen. Das wird nicht in den nächsten Monaten geschehen, aber wenn man mit den Politikern hier Gespräche führt, ist allen klar, dass es nicht lange dauern wird, bis es zu einer Spaltung im Irak kommt. Viele meinen auch, dass man aus Sicherheitsgründen die Grenzen zu den arabischen Regionen im Irak dichter machen sollte.
Wie ist die Position Ihrer Partei, der PDKI, zu einer Unabhängigkeit der irakisch-kurdischen Gebiete?
Wir haben uns schon vor einem Monat zur Unabhängigkeit Kurdistans klar geäußert: Wir sind bereit, ein unabhängiges Kurdistan hier zu unterstützen, sowohl politisch als auch militärisch.
Was können Sie zum designierten neuen irakischen Ministerpräsidenten Haider al-Abadi sagen? Ist auch er wie Nouri al-Maliki ein Verbündeter des iranischen Regimes?
Zu al-Abadi kann ich nicht viel sagen. Aber es war klar, dass Nouri al-Maliki nicht irakischer Ministerpräsident bleiben wird, obwohl der Iran hinter ihm stand. Die Kurden waren strikt dagegen. Da al-Abadi auch ein Schiit ist und zur Koalition al-Malikis gehört, wird es auf jeden Fall keinen großen Widerstand seitens des Iran geben, denn grundsätzlich kann niemand irakischer Ministerpräsident werden, wenn der Iran dagegen ist. Das heißt, das iranische Regime hat bestimmt seine Zustimmung gegeben, weil es in den vergangenen Wochen erkennen musste, dass es mit Maliki nicht weitermachen kann.
Es gibt in Deutschland und Europa eine Debatte um Waffenlieferungen an die kurdischen Kämpfer. Die deutsche Bundesregierung will keine Waffen liefern.
Die derzeitige Position der Bundesrepublik Deutschland entspricht natürlich nicht dem, was die Kurden sich wünschen. Die deutsche ­Regierung hat in der Vergangenheit immer wieder das Gleiche getan wie heute und die Kurden haben nicht mit ihrer Unterstützung gerechnet. Aber das gilt auch für Österreich, dessen Regierung sich ebenfalls distanziert geäußert hat.
Welche Art der internationalen Unterstützung wünschen Sie sich?
Hier findet ein Kampf zwischen der demokratischen kurdischen Regierung und islamischen Terroristen statt. Natürlich erwarten wir von demokratischen Staaten Unterstützung, in erster Linie politischer, aber wenn möglich auch militärischer Art. Wir sind hier in eine bedrängte Si­tuation geraten, weil man nicht damit gerechnet hat, gegen eine sehr gut ausgerüstete Organisa­tion zu kämpfen statt nur gegen Terroristen. Deshalb ist jede politische wie militärische Unterstützung aus Europa sehr wichtig. Man versucht immer wieder, nur humanitär zu helfen, aber das ist zu wenig. Die Kurden können die humanitäre Hilfe in ihren Gebieten sehr gut allein meistern, auch die arabischen Flüchtlinge werden gut betreut. Europa muss sich politisch an der Seite der Kurden in ihrem Kampf gegen Isis positionieren und auch militärisch helfen. Am Montag sind Waffen aus den USA in Erbil eingetroffen, sie sind eine große Hilfe für die Peshmerga.
In Deutschland war die Befürchtung zu hören, dass Waffen für die Kurden bald in einem separatistischen Bürgerkrieg eingesetzt werden könnten.
Das ist für mich eine Ausrede, weil die Kurden nicht vorhaben, gegen den Irak zu kämpfen. Die Entscheidung zu kämpfen lag auch nicht bei den Kurden. Wir wurden angegriffen und was wir bis heute tun, ist reine Verteidigung. Die Kurden haben nicht versucht, arabische Gebiete einzunehmen, sondern kämpfen auf kurdischen Gebieten gegen Isis.
In Berlin haben am Sonntag Menschen mit Fahnen von Isis und Hamas eine Demonstration gestört, bei der gegen Isis protestiert wurde, in anderen Städten kam es zu islamistischen Angriffen auf ähnliche Demonstrationen.
Hamas ist meiner Meinung nach eine Terror­organisation, die Isis als Verbündeten in der Region sieht und auch versucht, ihn zu unterstützen. Demonstrationen von Kurden oder irakischen Christen gegen Isis wurden auch in Österreich und anderen Ländern von Menschen mit Fahnen von Isis, Hamas oder auch der Hizbollah gestört. Letztlich sind das mehr oder weniger identische radikalislamische Organisationen.
Wie hat man in den kurdischen Gebieten den Gaza-Krieg zwischen Israel und Hamas wahrgenommen und kommentiert?
Die offizielle Seite hat sich meines Wissens nach nicht dazu geäußert. Allerdings sind die kurdische Öffentlichkeit im Irak und auch die kurdischen Gemeinden in Europa großteils für Israel. Man war der Meinung, dass Israel ein Recht auf Verteidigung hat und dass Hamas nicht nur diesmal der Angreifer war. Ich möchte nochmals betonen, dass die Sympathie der Kurden für ­Israel sehr groß ist, auch in Irakisch-Kurdistan.
Wird das den Kurden von islamistischer Seite übelgenommen?
Ja, natürlich, nicht nur von islamistischen Organisationen, sonder besonders auch vom Iran. Der Iran möchte keine proisraelische Öffentlichkeit in der Region und in den vergangenen Jahren hat das iranische Regime immer eine Annäherung zwischen den Kurden und Israel befürchtet. Aber diese Annäherung hat bereits stattgefunden, auch wenn die öffentlichen Stellen und die Parteien sich nicht dazu äußern. Das Meinungsbild in den Medien ist jedoch so, dass das iranische Regime nichts dagegen unternehmen kann. Natürlich gibt es auch unter Kurden islamistische Strömungen, die für Hamas sind, aber das sind nicht einmal fünf Prozent der kurdischen Bevölkerung.