Palim liegt nicht in Palästina

Ich habe nichts gegen Kulturschaffende. Einige meiner besten Freunde sind Kulturschaffende. Als Journalist bin ich wohl sogar selber einer. Und es gibt gute Gründe, den Kulturbetrieb nicht den Marktgesetzen zu unterwerfen. Es gibt aber auch einen guten Grund, es zu tun. So könnte man nämlich vielen Kulturschaffenden den Standesdünkel austreiben. Es gibt schließlich auch gute Gründe, alle anderen Bereiche nicht den Marktgesetzen zu unterwerfen. Aber nur bei der Kultur versteht der Deutsche keinen Spaß, denn er legt großen Wert darauf, einer Kulturnation anzugehören. Man muss das ganze Zeug ja nicht unbedingt lesen, hören oder sehen. Aber ist es nicht unerhört, dass in Sachen Kultur die Amerikaner bei den Exporten vorn liegen, obwohl sie gar keine Kultur haben? Also braucht die Kultur in Deutschland Hege und Pflege, Schutz und Lob. Das steigt nicht wenigen Kulturschaffenden zu Kopf, sie glauben an ihre Unentbehrlichkeit für den Standort und fühlen sich zu geistiger Führung berufen. Dann schreiben sie offene Briefe oder Prosagedichte. Das kann in manchen Fällen, etwa um mit prominenten Namen die Freilassung eines politischen Gefangenen zu erwirken, sinnvoll sein. Meist wird aber nur das gesunde Volksempfinden in den Rang eines Kulturguts erhoben.
Didi Hallervorden begnügt sich noch mit einer »offenen Stellungnahme« und Facebook-Postings: »In Tel Aviv grölen Orthodoxe: ›Macht Gaza dem Erdboden gleich!‹ (2014) Das erinnert mich verzweifelt an: ›Lasst uns Deutschland vom jüdischen Gift befreien!‹ (1938).« Ein »Offener Brief Kulturschaffender in Deutschland zum Krieg in Gaza« hingegen wendet sich gleich an die Abgeordneten und die Bundesregierung, um in vergleichsweise gemäßigter Form, aber mit der üblichen Ignoranz und Kenntnislosigkeit Israel an allem die Schuld zu geben. Denn »als Kulturschaffende in Deutschland können wir dazu nicht schweigen«. Da möchte man fast – natürlich nur fast – Stalinist werden und die Unterzeichner in die Fischmehlfabrik schicken, denn wenn sie nichts mehr mit Kultur zu schaffen hätten, würden sie ja offenbar schweigen. Unterzeichnen kann man den Brief weiterhin, Ende des Gaza-Kriegs hin oder her, aber explizit nur »als Kulturschaffender«. Wo kämen wir auch hin, wenn sich jeder Prolet zu dieser Angelegenheit äußern würde? »Offener Brief von Klempnern in Deutschland zum Krieg in Gaza« – das wäre mal was Neues. Immerhin wird das Kulturschaffen sehr großzügig ausgelegt, sogar Dieter Dehm durfte unterschreiben. Dennoch fragt man sich, warum Menschen, die Trompete blasen oder Drehbücher schreiben, glauben, sie könnten in politischen Debatten eine größere moralische Autorität in Anspruch nehmen als Menschen, die Kranke pflegen oder Autos zusammenschrauben.