Die Debatte über Maßnahmen gegen Muslime in Groß­britannien

Not in my front yard

Die britische Regierung debattiert über Maßnahmen gegen britische Muslime, die sich am Jihad im Nahen Osten beteiligen.

Den Schätzungen der britischen Regierung zufolge sind etwa 500 junge britische Männer – und einige Frauen – dem Ruf des »Islamischen Staates« (IS) gefolgt, sich am Kampf gegen die »Ungläubigen« im Irak und in Syrien zu beteiligen. Insgesamt werden bis zu 1 500 britische Jihadisten in der Region vermutet. Öffentliche Aufmerksamkeit erregte insbesondere die Verbreitung eines Videos von der Ermordung des entführten US-Journalisten James Foley, in dem ein vermummter Jihadist mit eindeutig britischem Akzent auftaucht. Derzeit wird noch ermittelt, wer dieses vermummte Mitglied des IS ist, doch die britische Regierung muss generell entscheiden, wie mit den sogenannten »Terror-Touristen« umgegangen werden soll.
Vor diesem Vorfall war bereits die Terrorwarnung für Großbritannien hochgestuft worden, da befürchtet wird, dass Jihadisten, die die britische Staatsbürgerschaft besitzen, zurückkehren, um Terroranschläge zu verüben. Nach dem Mord an Foley geriet die britische Regierung unter Druck, Maßnahmen gegen die Bedrohung durch heimkehrende Jihadisten zu treffen. Was das für Maßnahmen sein sollen, wird derzeit debattiert.
Einige Konservative fordern Gesetzesänderungen, die es ermöglichen, britischen Staatsbürgern, die sich dem IS im Irak und in Syrien anschließen, die Einreise zu verweigern. Die Debatte angestoßen hatte David Davis, ein konservativer Parlamentarier, der in einem Artikel in der Zeitung Mail on Sunday forderte, britischen ­Jihadisten die Staatsbürgerschaft abzuerkennen werden sollte, da diese eindeutig gegenüber einem anderen Staat loyal seien. Diese Ansicht vertrat auch der Präsident der Metropolitan Police, Bernard Hogan-Howe, der außerdem gerne strengere Kontrollen von Terrorverdächtigen sähe, einschließlich der Möglichkeit, ihnen den Wohnort vorzuschreiben.

Auch Boris Johnson, der konservative Bürgermeister von London, nahm die Gelegenheit wahr, sich zu diesem Thema zu äußern. In seiner wöchentlichen Kolumne in der Zeitung Telegraph riet er dazu, Reisende nach Syrien oder in den Irak grundsätzlich unter Terrorverdacht zu stellen, wenn sie keinen »guten Grund« für ihre Reise angeben könnten. Johnson will sich in seiner Partei profilieren, er wird als möglicher Nachfolger David Camerons für den Parteivorsitz gehandelt. Auch andere Tories grenzen sich von Premierminister Cameron und Innenministerin Theresa May ab, deren Vorschläge ihnen als unzureichend gelten. May hat verschiedene Schritte zur Bekämpfung des »Terror-Tourismus« und der daraus erwachsenden Gefahren angekündigt, unter anderem die Ausweitung bereits bestehender Antiterrormaßnahmen, etwa das Verbot weiterer ­islamistischer Vereinigungen. Auch sie schloss Gesetzesänderungen nicht aus, betonte aber, dass Briten, die in Großbritannien geboren wurden, die Staatsbürgerschaft nicht aberkannt werden könne.
Die Debatte in der konservativen Partei ist auch eine Reaktion auf den Druck von rechts. Bei den Wahlen im kommenden Jahr könnten die Konservativen Stimmen an die rechte United Kingdom Independence Party (Ukip) verlieren. In einer Rede am Freitag voriger Woche sagte Cameron, dass die Regierung zu kompromisslosen Maßnahmen bereit sei, um die Terrorgefahr durch Jihadisten mit britischem Pass einzudämmen. Er schloss auch ein militärisches Vorgehen gegen den IS nicht aus.

Die Vorschläge der Tories ernteten allerdings heftige Kritik, sogar in konservativen Medien. Ein Gesetz, das die Aberkennung der britischen Staatsbürgerschaft erlaubt, wird als unzumutbar gesehen. Bereits die bestehenden Antiterrormaßnahmen werden vielfach als problematische Freiheitsbeschränkung betrachtet. Geltenden Gesetzen folgend können etwa Jihadisten, die nach Großbritannien zurückkehren, unter ständiger Beobachtung gehalten und gegebenenfalls in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden. In seiner Rede vor dem Parlament kündigte Cameron am Montag an, diese Maßnahmen zu verschärfen. Zudem soll die bisher dem Innenministerium vorbehaltenen Befugnis, Pässe von Verdächtigen einzuziehen, »zeitweise« der Polizei übertragen werden.
Diskutiert werden fast ausschließlich administrative Schritte gegen Verdächtige. Strenge Antiterrorgesetze auf der einen Seite finden auf der anderen jedoch keine Entsprechung in Maßnahmen, die das Verbreiten von islamistischen Ideologien erschweren oder verhindern. Hassprediger in Moscheen und islamistische Organisationen können weitgehend ungehindert das Kalifat oder die Sharia für Großbritannien fordern. Wie Haras Rafiq von der Quilliam Foundation betont, nutzten die Muslimbrüder und Hizb al-Tahrir diese günstigen Bedingungen seit Jahren. Er vermisst eine »Strategie, um ihre Ideen zu bekämpfen«. Junge Muslime müssten befähigt werden, die salafistische Argumentation zu kontern.
Allerdings scheint die Entscheidung für den ­Jihad bei vielen Rekruten nicht in erster Linie auf religiöser Motivation zu beruhen. So bestellten Yusuf Sarwar und Mohammed Ahmed im vorigen Jahr zur Vorbereitung auf den Jihad bei Amazon die Bücher »Islam for Dummies« und »Koran for Dummies«. Religion sei oft nur ein »emotionales Vehikel«, urteilt etwa der Anthropologe Scott Atran, die Teilnahme am Jihad werde als »erregend, ruhmreich und cool« empfunden. Wenig abschreckend dürfte für britische Muslime, die sich dem IS anschließen wollen, die Androhung einer Ausbürgerung aus Großbritannien sein. Attraktiv für sie ist nicht eine bestimmte Staatsbürgerschaft, sondern der Glaube an ein scheinbar kohärentes Narrativ, das nationale Grenzen aufhebt.