Hello Ello! Was steckt hinter dem neuen Hype der sozialen Netzwerke?

In your Facebook!

Der neue Hype in den sozialen Netzwerken heißt »Ello«. Die Plattform will eine Konkurrenz zu Facebook und Twitter sein. Das Geschäftsmodell des Projekts wirft jedoch viele Fragen auf.

Unabhängig, größtmöglichen Wert auf Datenschutz legend, frei von Anzeigen – so wünschen sich die meisten Nutzer das ideale soziale Netzwerk im Internet. In den vergangenen Wochen sah es so aus, als könne dieser Wunsch in Erfüllung gehen: Mit Ello (das Wort soll Hello französisch ausgesprochen bedeuten) ging ein neues werbefreies Independent-Projekt online, das vor allem Twitter Konkurrenz machen will. Der Start in die Betaphase verlief allerdings ziemlich holprig, fanden zumindest diejenigen, die eine der begehrten Einladungen erhalten hatten. Womit eine der größten Anfangsschwierigkeiten für neue soziale Medien auch gleich erklärt ist: Wann immer sich ein Projekt an die Öffentlichkeit wagt, wird es umgehend schlechtgeredet, weil die neuen User enttäuscht sind, dass nicht gleich alles perfekt läuft. In Ruhe abzuwarten, wie sich eine Plattform entwickelt, ist erfahrungsgemäß nicht das, was die freiwilligen Betatester am besten können – und so hat es bislang auch noch kein selbsternannter Facebook- oder Twitter-Konkurrent geschafft, eine wirkliche Alternative aufzubauen.
Dem Ärger darüber, dass viele der gewohnten Funktionen bei Ello dann doch noch nicht vorhanden waren, folgte jedoch ein plötzlicher Aufschwung, den es so weder bei Diaspora noch bei Google+ noch bei anderen neuen sozialen Medien gegeben hatte. Der Grund dafür war ein einfacher: Facebook geht seit kurzem aggressiv gegen Accounts vor, die nach Meinung des Unternehmens nicht unter Klarnamen angelegt wurden, und löscht sie rigoros.

Das brachte dem Branchenführer vor allem Ärger mit der LGBT-Community ein, die nicht hinnehmen will, dass die Künstlernamen bekannter Drag Queens von Facebook nicht akzeptiert und entsprechende Accounts einfach gesperrt wurden. Ello-Gründer Paul Budnitz machte sich die Wut vieler Leute zunutze. Man lade die LGBT-Community herzlich ein, sagte er – und konnte alsbald stolz verkünden, dass man 4 000 Neuanmeldungen pro Stunde verzeichne. Später war sogar von mehr als 30 000 Anmeldungen pro Stunde die Rede. Und wie immer, wenn ein Hype vorliegt, finden sich Leute, die versuchen, damit Geld zu machen: Auf Ebay tauchten Mitte der Woche prompt Händler auf, die die angeblich begehrten Ello-Einladungen anboten – zwischen fünf und 150 Dollar sollte ein solcher Invite kosten.
Das ist zumindest insofern erstaunlich, als die Einladungen zu neuen sozialen Netzwerken normalerweise nur ein paar Tage lang äußerst begehrt sind, bis das wie Kettenbriefe funktionierende Invite-System, das vor einigen Jahren von Google für Gmail eingeführt worden war und seither aus unerfindlichen Gründen als absolutes Muss gilt, an seine Grenzen gekommen ist. Sprich: Bis jeder User mehr Einladungen verteilen darf, als er Freunde hat, die sich gern einladen lassen wollen, und Meldungen wie »Ich hab übrigens noch Invites, möchte jemand« in den sozialen Netzwerken nicht mehr als großzügiges Angebot, sondern als Witz gepostet werden.

Dem Ello-Hype folgte allerdings bald großer Ärger. Im Gegensatz zu Facebook war es nämlich bei der neuen Plattform noch nicht möglich, aufdringliche User zu blocken. Eine Drag Queen schrieb enttäuscht: »Unter meinem wirklichen Namen bei Facebook zu sein, ist für mich ein weit geringeres Problem, als keine Option zu haben, Belästigungen zu melden oder Leute auszufiltern.« Ello reagierte prompt und führte neue Privacy-Funktionen sowie einen Block-Button ein, aber auch Facebook erklärte, bereits mit der LGBT-Community im Gespräch zu sein und auf ihre Wünsche stärker eingehen zu wollen.
Lange konnte sich der Twitter-Konkurrent allerdings nicht über die vielen neuen User freuen, denn es stellte sich heraus, dass die Ello-Macher in der Selbstdarstellung ihrer Plattform als unabhängiges Projekt einen wesentlichen Punkt nicht erwähnten. An Ello arbeiten keine Idealisten, die auf adäquate Bezahlung verzichten. 435 000 Dollar erhielt das Projekt, das eher eine Firma ist, von Freshtracks Capital, einem in Vermont ansässigen Risikokapitalgeber – und auch das wurde nur publik, weil Freshtracks dies auf seiner Website verkündete.
Nun interessiert die wenigsten Nutzer sozialer Medien, wie die Plattform, auf der sie aktiv sind, überhaupt Geld verdient. Während die Kosten nicht unerheblich sind – Server und Personal, das sich um den laufenden Betrieb kümmert und neue Features entwickelt, müssen bezahlt werden –, sind die Einnahmemöglichkeiten begrenzt. Werbung schalten, Userdaten verkaufen, die Firma verkaufen – viele Optionen bleiben nicht, und jede einzelne ist bestens dazu geeignet, der Kundschaft schlechte Laune zu bereiten.
Twitter machte beispielsweise jahrelang Verluste, trotz Millionen von Usern weltweit und jeder Menge kostenloser Reklame durch die Einbindung von Tweets zu aktuellen Ereignissen auf Online-Zeitungsseiten. Mittlerweile werden bezahlte Anzeige in die Timelines eingeschoben, was zu nicht unerheblichem Missmut bei den Nutzern führt, die sich dann in schöner Regelmäßigkeit auf neue Konkurrenzprodukte stürzen, die versprechen, unabhängig und werbefrei zu sein und größtmöglichen Wert auf Datenschutz zu legen.
Wie unabhängig aber kann ein Projekt sein, das Geld von einem Venture-Unternehmen angenommen hat, fragte sich unter anderem Aran Balkan, Autor des »ind.ie.Manifestos«, in dem von Konzernen unabhängige Technologien gefordert werden. Balkan, zu Beginn ein begeisterter Unterstützer von Ello, schrieb in seinem Blog: »Ein Unternehmen, das Venture-Kapital angenommen hat, hat sich bereits verkauft.« Balkan trifft damit einen für Ello sehr wunden Punkt: Teil eines jeden Business-Plans, der Ventures zwingend vorgelegt werden muss, um überhaupt als mög­licher Geldempfänger in Frage zu kommen, ist die Exit-Strategie, die den Investoren Gewinn bringen soll.
Dabei kommt es auf mehrere Faktoren an, unter anderem die Besitzverhältnisse, die Marktkonditionen und die Performance des Unternehmens – im schlimmsten Fall wird die Firma bei anhaltender Erfolglosigkeit einfach aufgelöst. Andere Exit-Strategien bestehen darin, dass Gründer oder Angestellte ihre Firma von den ursprünglichen Investoren kaufen oder dass sie verkauft wird. Twitter entschied sich dagegen zum Börsengang, eine gute Möglichkeit für erfolgreiche Unternehmen, frisches Geld zu bekommen.
Was die Macher von Ello im Erfolgsfall vorhaben, ist nicht bekannt. Ob sie erfolgreich sein werden, steht ohnehin in den Sternen. Dabei ist nicht jede Empörung über das Unternehmen auch gerechtfertigt. Eine voriges Wochenende als Beleg für die unlauteren Absichten von Ello verbreitete Passage aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, in der es um die Weitergabe von Userdaten an Dritte unter bestimmten Umständen geht, ist keineswegs eine heimtückische Ankündigung des Nutzerdatenverkaufs, sondern das, wozu man gesetzlich gezwungen ist, wenn beispielsweise eine richterliche Anordnung vorliegt.
Bleibt das Problem der Finanzierung. Der einzige Weg, das Modell des Venture-Kapitals zu ­bekämpfen, meint Balkan, bestehe darin, keines seiner Produkte zu unterstützen. Das Ziel sei es, ein Start-up so lange am Leben zu erhalten, bis genug Leute die Plattform benutzen, »und dann ist es zu spät, wenn wir Teil dieser Plattform sind, haben wir ihren Wert kreiert«.