Die Rekommunalisierung der Hamburger Energienetze verläuft schleppend 

Der Fernwärme so fern

Vor einem Jahr stimmte eine Mehrheit der Hamburger Bürger für die Rekommunalisierung der Energienetze. Noch sind nicht alle Netze wieder in öffentlicher Hand.

Es sei gelungen, »energie- und kommunalpolitischen Einfluss wieder in die Stadt zurückzuholen«. Diese erste, positive Zwischenbilanz zogen die drei offiziellen Vertrauenspersonen der Initiative »Unser Hamburg – Unser Netz«, Manfred Braasch vom Bund für Umwelt und Naturschutz, Theo Christiansen vom Evangelischen Kirchenkreis Hamburg-Ost und Günter Hörmann von der Verbraucherzentrale Hamburg, kürzlich in einer gemeinsamen Erklärung – ein Jahr, nachdem sich die Hamburger Bürger in einem Volksentscheid für die Rekommunalisierung der Energienetze ausgesprochen hatten. Tatsächlich hatte die allein regierende SPD, nachdem sie sich mit ihrer Kampagne gegen die Rekommunalisierung nicht durchgesetzt hatte, umgehend die Flucht nach vorn angetreten. Der Fraktionsvorsitzende Andreas Dressel versprach eine zügige Verwirklichung des Volksentscheids, die beschlossene Rekommunalisierung werde »Punkt für Punkt umgesetzt«.

Die Beteiligung beim Volksentscheid vor einem Jahr war hoch, eine knappe, aber eindeutige Mehrheit von 50,9 Prozent stimmte für die vollständige Rekommunalisierung der Energienetze. Die Stadt sollte das Gas- und das Stromnetz sowie die Fernwärmeversorgung von den beiden Konzernen Vattenfall und Eon zurückkaufen und wieder zu 100 Prozent in öffentlichen Besitz bringen. Anders als in Hamburg scheiterte in Berlin zwei Monate später ein Volksentscheid zur Rekommunalisierung der Energienetze an der zu geringen Beteiligung. In Berlin votierte zwar eine Mehrheit von 83 Prozent für den Rückkauf des Stromnetzes, aber das nötige Quorum von 30 Prozent aller Wahlberechtigten wurde nicht erreicht, am Ende fehlten 22 000 Stimmen.
Die Befürworter des Volksentscheids in Hamburg hatten dagegen mit einigem Geschick erreicht, dass die Abstimmung auf den Tag der Bundestagswahl gelegt wurde. So kam es zu einem interessanten Nebenwahlkampf, in dem sich unter Federführung des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz (SPD) eine ganz große Koalition von SPD, CDU, FDP, DGB und sämtlichen Kapitalverbänden bis hin zur mächtigen Handelskammer gegen die Rekommunalisierung aussprach. In einer Angstkampagne wurde das Schreckensszenario entworfen, die Stadt müsse nach einer Entscheidung für die Rekommunalisierung zwei Milliarden Euro an neuen Schulden aufnehmen, um die Konzerne auszubezahlen.
Die Initiative »Unser Hamburg – Unser Netz«, ein Bündnis aus Umweltverbänden und Bürgerinitiativen sowie Engagierten aus Kirchen und Basisgewerkschaftern, konnte sich jedoch mit dem Argument durchsetzen, rekommunalisierte Energienetze eröffneten der Stadt, die nicht profit­orientiert wirtschaften müsse, größere Möglichkeiten bei der Entscheidung für bestimmte Energiequellen und der Preisgestaltung. Auffällig war, dass in den Stadtteilen mit einer ärmeren Bevölkerung eine Mehrheit für die Rekommunalisierung stimmte, während in den Vierteln des hanseatischen Bürgertums gegen öffentliches Eigentum votiert wurde.

Walter Scheuerl, parteiloser Abgeordneter der CDU-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, unterstellte in einer Parlamentsdebatte Empfängern von Sozialleistungen, ihr Kreuz beim Volksentscheid unüberlegt gemacht zu haben: »Die Zahlen veranschaulichen, dass es in den Stadtteilen mit hohem Ja-Stimmen-Anteil für manche Abstimmende nahe gelegen haben mag, ungeprüft ihr Kreuz bei Ja zu machen.« Scheuerl berief sich auf die statistische Auswertung, aus der hervorging, dass besonders viele Stimmen für den Kauf der Energienetze dort abgegeben wurden, wo der Anteil der Sozialhilfeempfänger an der Bevölkerung hoch ist. Er machte so einem Ärger über das Ergebnis Luft, der in den Monaten nach dem Volksentscheid in der Stadt auch an anderen Orten spürbar war.
Dieser Ärger konnte freilich nichts am Ergebnis der Abstimmung ändern. Und so gilt die optimistische Sicht der drei Vertrauenspersonen der Initiative »Unser Hamburg – Unser Netz« in jedem Fall für das Stromnetz: Es befindet sich mittlerweile zu 100 Prozent in städtischer Hand. Die Konzession für den Netzbetrieb in den kommenden 20 Jahren wird voraussichtlich noch dieses Jahr an das städtische Unternehmen vergeben. Die Behauptung der Gegner des Volksentscheids, es werde eine »Prozesslawine« mit unsicherem Ausgang auf die Stadt zukommen, hat sich nicht bewahrheitet. Das Stromnetz wirft zudem unerwartete Gewinne ab. Die Prognose für 2014 wurde kürzlich auf 26,6 Millionen Euro nach oben korrigiert. Für konzernkritische Initiativen ist dies nicht überraschend, schließlich hat Vattenfall nicht freiwillig auf den Besitz des Stromnetzes verzichtet. Nun geht der Gewinn allerdings an die städtische Stromnetz AG.
Beim Gasnetz ist die Lage nicht so gut. Eon Hanse, weiterhin im Besitz des Netzes, sperrt sich, die Übernahmeverhandlungen laufen immer noch. Der Wert des Gasnetzes wurde 2011 auf etwa 320 Millionen Euro taxiert, der entsprechende Konzessionsvertrag läuft bis Ende 2018. Der Stadt steht aber ein Sonderkündigungsrecht für 2016 zu. Trotz der Probleme gehen die Initiatoren des Volksentscheids derzeit davon aus, dass es zu einer Einigung in ihrem Sinne kommen wird.
»Ein Fragezeichen in Bezug auf die Umsetzung des Volksentscheides stellt sich allerdings noch bei der Fernwärme«, geben die Vertrauenspersonen von »Unser Hamburg – Unser Netz« zu bedenken. »Der Senat hat sich für eine vertragliche Regelung entschieden, die vorsieht, die Übernahme des Vattenfall-Fernwärmenetzes einschließlich der Erzeugungsanlagen erst 2019 zu vollziehen.« Ob die Zusage des Hamburger Senats zur Übernahme der Fernwärme durch die Stadt glaubwürdig ist, muss sich tatsächlich erst noch zeigen. Schließlich geht es um eine »Cash Cow«: Zum Fernwärmenetz gehören auch die Heizkraftwerke. Anders als beim Strom kann technisch nur Vattenfall das Netz nutzen – ein Monopol. Ein Mieter könne gar nicht wechseln, ein Wohn­eigentümer nur mit hohen Investitionen für eine eigene Heizungsanlage, schrieb die Linkspartei, die den Volksentscheid neben den Grünen ebenfalls unterstützt hatte, in einer Erklärung zum Jahrestag der Abstimmung. Die Kunden von Vattenfall seien also »dem Konzern und seiner Preispolitik ausgeliefert« – bis 2019.

Aus dem Bündnis »Unser Hamburg – Unser Netz« heraus gründete sich Anfang 2014 der »Hamburger Energietisch« (HET). Er teilte Ende September mit: »Der Hamburger Energietisch bezweifelt den Umsetzungswillen des Senats im Bereich der Energienetze, insbesondere aber der Fernwärme.« Dabei berief er sich auf eine Aussage der Umweltsenatorin Jutta Blankau (SPD): »2018 entscheiden wir, ob wir kaufen oder nicht.«
Deshalb begann der HET damit, in großen Mengen Flugblätter zu verteilen mit der Forderung: »Der Volksentscheid darf nicht verzögert oder untergraben werden!« Das Bündnis plädiert mit Nachdruck »für die vollständige, politische und praktische Umsetzung des erfolgreichen Volksentscheids, zusammen mit ›Unser Hamburg – Unser Netz‹«. Ob sie eine Verwirklichung des Volksentscheids anstreben, wollen Mitglieder des HET im Bürgerschaftswahlkampf die Kandidierenden fragen. In Hamburg wird am 15. Februar 2015 gewählt.