Im falschen Stück

In früheren Jahrhunderten sprach man ohne jede Ironie vom »Kriegstheater«, eine Schlacht war eine Inszenierung von Feldherren, der man als Zuschauer beiwohnen konnte. So wie Johann Wolfgang von Goethe, der mit seinem Herzog Karl August von Sachsen-Weimar 1792 der Kanonade von Valmy zuschaute. 30 Jahre später behauptete er, damals zu einigen ­Offizieren gesagt zu haben: »Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.« Das militärisch unbedeutende Scharmützel gilt als symbolisch, weil die zögerlichen Verteidiger des ancien régime ihren Vorteil nicht nutzten, sondern sich zurückzogen – im Rückblick ein Beweis dafür, dass Adel und Monarchie den neuen Verhältnissen nicht mehr gewachsen waren.
Kommt dem »Kriegstheater« von Kobanê unter anderen Vorzeichen eine vergleichbare Bedeutung zu? Wenn die Jihadisten in Sichtweite der Grenze zu einem Mitgliedsstaat der Nato, die über mehr als zwei Drittel der globalen Militärmacht verfügt, siegen sollten, schaffen sie ein Symbol. Dass mehr als 200 Jahre nach der Französischen Revolution minimale Standards der Zivilisation gegen die antibürgerliche Konterrevolution verteidigt werden müssen, ist bitter genug. Kaum fassbar ist die zögerliche Haltung beim Vorgehen gegen die 20 000 unterbelichteten Fanatiker des »Islamischen Staats«. Man nimmt sich viel Zeit – die Vorbereitung der Befreiung Mossuls könne ein Jahr dauern, schätzt US-General John Allen – und überlässt den Kampf in Kobanê weitgehend den »sozialistischen« Organisationen PKK, YPG und PYD, die noch auf den Terrorlisten geführt werden und mit denen man sich nicht offiziell verbünden mag, während die Zusammenarbeit mit antidemokratischen Kräften wie den Golfmonarchien fortgesetzt wird. Die westliche Bourgeoisie ist nicht mehr in der Lage, ihre Interessen durchzusetzen oder auch nur zu erkennen. Das sollte auch Linken Sorge bereiten, die derzeit das »Kriegstheater« nur durch mehr oder weniger gelungene Zwischen­rufe begleiten können, während jeder Warlord, Diktator und rechtsextreme Bandenführer sich ermutigt fühlt, nun sein eigenes Stück auf die Bühne zu bringen. Eine sozialistische Erneuerung wird von der syrisch-kurdischen Selbstverwaltung in Rojava nicht ausgehen. Tatsächlich sind PKK, PYD und YPG eher jakobinisch als sozialistisch und eben deshalb eine unverzichtbare Ergänzung der zögerlichen bourgeoisen Kräfte in der Koalition gegen den IS. Ein jahrzehntelanger Bürgerkrieg kann nur noch abgewendet werden, wenn alle in der Region zusammen­arbeiten, die halbwegs bei Verstand sind, in militärischer Hinsicht also die Free Syrian Army, PKK, PYD und YPG, die Peshmerga der irakisch-kurdischen Parteien KDP und Puk sowie kleinere Gruppen wie die neu entstandenen yezidischen Milizen.