Berlin Beatet Bestes. Folge 262.

Mehr Minderheit geht nicht

Berlin Beatet Bestes. Folge 262. Berlinska Dróha/Čorna Krušwa: Čorna Dróha (2014).

Da grübele ich eben noch und grübele, die Deadline für diese Kolumne rückt immer näher und noch immer fällt mir nicht ein, über welche Platte ich diese Woche schreiben soll. Plötzlich klingelt es an der Tür. »Ich bin’s, Paul! Kann ich kurz rauf kommen? Ich hab was für dich«, sagt er durch die Gegensprechanlage, springt die Treppen hoch und reicht mir auch schon eine Platte durch die Tür. Manchmal muss ich eben nur lange genug warten, dann kommt die Idee von selbst zu mir nach Hause. Paul ist ein Teil des Duos Berlinska Dróha, Uta ist der andere. Zusammen mit der Berliner Punkband Čorna Krušwa haben sie im Berliner Schaltraum-Studio eine Fünf-Song-Mini-LP aufgenommen, komplett analog. Nach zwei CDs des Duos erscheint diese Veröffentlichung, die ich nun als Testpressung in den Händen halte, nur auf Vinyl und als digitaler Download.
Berlinska Dróha sind eigentlich die perfekte Band für »Berlin Beatet Bestes«. Sie vereinigen mehr Minderheiten als jede andere Punkband. Sie sind ostdeutsch, sorbisch, anarchistisch und akustisch. Dabei sind Paul und Uta – völlig unpunkig – äußerst versierte Instrumentalisten, also richtige Musiker. Während der Sound von Berlinska Dróha im Allgemeinen eher filigran ist, präsentieren sie sich auf diesem Album, unterstützt von Čorna Krušwa, deutlich druckvoller. Es ist ihre bislang poppigste, aber auch punkrockigste Platte. Bei »Zacin durje« ist es, als sänge Poly Styrene sorbisch, »Crisis« ist eine richtig punkige New-Wave-Nummer, »Jenož tebje dla« ein Rocksteady-Ausflug, »Steinherz« ist Punk mit Geige und Klavier und mit »Druck« erinnert ein Song an die ruhigeren Momente von Ton Steine Scherben. Die Platte klingt im besten Sinn nach 1979, als Punk noch alles sein konnte, auch Geige und Klavier, und die Hälfte der Musiker, die anfingen, Punk zu machen, lange Haare und Bärte trugen. Viele dieser Bands hielten der strengen Punk-Kritik, wie sie damals zum Beispiel in Sounds geäußert wurde, nicht stand. Heute klingt jedoch nichts langweiliger als all die Klone von The Clash, die von der Kritik akzeptiert wurden. Die hohe musikalische Qualität von »Čorna Dróha« erinnert an Rockbands der siebziger Jahre, die sich an den neuen Klängen aus London und New York orientierten. Die »echten« Punks versuchten das Gegenteil, indem sie genau diesen Sound zerstören wollten. 35 Jahre später versöhnen Berlinska Dróha und Čorna Krušwa diese zwei Welten.
Diese Kolumne widmet sich für gewöhnlich Musik, die durch die Maschen herkömmlicher Genres und Stile fällt. Nicht immer ist diese Musik »gut« – ein ohnehin zweifelhafter Begriff, um den es mir nicht geht. Ich stelle hier seit Jahren ausdrücklich Platten vor, für die es woanders keinen Platz gibt. Wenn die Musik dann ausnahmsweise sowohl seltsam als auch sehr gut ist, glaubt mir vielleicht niemand mehr. Aber trotzdem: Diese Platte ist gut. Überzeugt euch selbst, wenn Berlinska Dróha am 25. Oktober im Schokoladen in Berlin spielen.
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.