Blutige Karriere

Auch wenn er jetzt bescheiden um Freistellung von seinem Amt bittet – ein Engel ist Ángel Aguirre Rivero wohl kaum. Am Donnerstag voriger Woche kündigte der Gouverneur des mexikanischen Bundesstaats Guerrero an, zurückzutreten. Damit reagierte der 58jährige auf Vorwürfe, er tue nicht genug, um die Ereignisse vom 26. September aufzuklären. Vor einem Monat verschwanden 43 Studenten der Hochschule Ayotzinapa nach Protesten in Iguala, sie wurden mutmaßlich von Sicherheitskräften und Mitgliedern des Kartells Guerreros Unidos ermordet (Jungle World 42/2014). Seitdem demonstrieren Angehörige, Studierende und Menschenrechtsaktivisten, mitunter mit Straßensperren und Besetzungen, für die Aufklärung des Verbrechens und gegen die Komplizenschaft von lokaler Regierung und organisierter Kriminalität. Am 13. Oktober zündeten Protestierende Aguirres Regierungssitz in Chilpancingo an. Mittlerweile liegt ein Haftbefehl gegen Igualas Bürgermeister José Luis Abarca vor, der den Angriff auf die Ayotzinapa-Studenten angeordnet haben und enge Kontakte zum Kartell unterhalten soll. Wie Aguirre ist Abarca Politiker der Partei der Demokratischen Revolution (PRD).
Doch das eine oder andere Massaker hat Aguirres Karriere bislang kaum geschadet. Schon früher, noch als Mitglied der Partei der Institutionellen Revolution (PRI), die Mexiko über 70 Jahre lang regierte und die mit Enrique Peña Nieto, einem Freund Aguirres, seit 2012 wieder den Präsidenten stellt, hatte er seit 1979 hohe politische Ämter inne. Er war stellvertretender Gouverneur Guerreros, als die Armee 1998 in El Charco eine Versammlung von Landarbeitern angriff und elf Menschen ermordete. In den ersten 16 Monaten seiner damaligen Amtszeit dokumentierte der PRD der Zeitung La Jornada zufolge fast 100 Fälle von Menschenrechtsverletzungen, 60 Mitglieder der Partei sollen ermordet worden sein. Das hinderte die linke Partei nicht daran, Aguirre im August 2010 als Kandidaten für den Gouverneursposten von Guerrero aufzustellen, er war einige Tage zuvor vom PRI zum PRD gewechselt, weil er sich so größere Chancen erhoffte. Der Plan ging auf. Unter ihm als Gouverneur wurden im Dezember 2011 bereits einmal demonstrierende Ayotzinapa-Studenten ermordet: Jorge Alexis Herrera Pino und Gabriel Echeverría de Jesús. Aufgeklärt wurden die Morde bislang nicht. Immerhin steht Aguirre für Kontinuität – egal in wessen Auftrag er gerade regiert.