Die Wahlergebnisse in Tunesien

Die Quittung

Bei den tunesischen Parlamentswahlen erlitten die Islamisten eine Niederlage.

Es ist ein harter Schlag für die islamistische Partei al-Nahda. Bei den tunesischen Parlamentswahlen vom Sonntag erhielt sie nach vorläufigen Ergebnissen, die am Montag von al-Nahda selbst – nicht der Wahlbehörde ISIE – verbreitet wurden, lediglich 31 Prozent der Stimmen. Bei den ersten Wahlen nach dem Sturz des autoritären Präsidenten Zine al-Abidine Ben Ali, im November 2011, hatte al-Nahda noch mit 37 Prozent unangefochten den ersten Platz belegt. Nun hat ihr größter Gegner, die Partei Nidaa Tounès, die erst vor zwei Jahren gegründet wurde, sie mit 38 Prozent der Stimmen weit überflügelt.
Die Wahlen wurden mit zwei Jahren Verspätung abgehalten. Die verfassunggebende Versammlung (ANC) war nicht in der Lage gewesen, sich in der vereinbarten Frist von einem Jahr nach den Wahlen von 2011 auf eine neue Verfassung zu einigen, um sodann Parlamentswahlen zu organisieren. Vor allem al-Nahda war dafür verantwortlich. Entgegen ihrer vorherigen Propaganda versuchten die Islamisten, ihre reaktionären Ideen in der Verfassung festzuschreiben: »Komplementarität« statt Gleichheit von Frauen und Männern, die Sharia als Rechtsquelle, die religiöse Institution Zeitouna als Wächter über den Gesetzgebungsprozess – solche und andere Forderungen vereitelten jeden Kompromiss mit der eher säkularen Opposition. Die gewollte Verzögerung komplettierte die Strategie al-Nahdas, die Institutionen des Staats mit eigenen Leuten zu besetzen. Erst als 2013 zwei linke Politiker von Islamisten ermordet wurden, Hunderttausende auf der Straße gegen den islamistischen Terror protestierten und der mächtige Gewerkschaftsverband UGTT erklärte, für ihn existiere die – von al-Nahda dominierte – Regierung nicht mehr, war der Weg für eine neue Verfassung, die Einsetzung einer »Technokratenregierung« und Wahlen frei.
Nun haben die Islamisten die Quittung für ihre Politik erhalten, die auf die Islamisierung von Staat und Gesellschaft zielt. Da Tunesien der säkularste Staat der sogenannten arabischen Welt mit der bedeutendsten Frauen- und Gewerkschaftsbewegung ist, wurden die tunesischen Islamisten nicht durch einen Putsch wie in Ägypten von der Macht entfernt; vielmehr sorgte der gesellschaftliche Druck mangels einer revolutionären Bewegung für eine institutionelle Lösung.
Aber die Wahlbeteiligung war gering. Vor allem junge Leute blieben der Wahl fern; die Jugendarbeitslosigkeit liegt offiziell bei 33 Prozent. Symptomatisch ist die Aussage von Moudhafer Laabidi, der 2008 auf einer Gewerkschaftsdemonstration verhaftet und anschließend gefoltert und ein Jahr lang inhaftiert wurde. Für den jungen Mann ist es sinnlos, sich an einer Wahl zu beteiligen, die, wie er sagt, »Kriminelle und Korrupte des ancien régime ebenso wie islamistische Terroristen versammelt, die sich zusammenschließen werden, um die Diktatur wieder zu etablieren«. Denn dem Wahlsieger Nidaa Tounès werfen viele vor, ehemaligen Anhängern Ben Alis zum politischen Comeback zu verhelfen.
Am Montag sagte Mohsen Marzouk, ein ehemaliger Linker und hochrangiger Politiker von Nidaa Tounès, seine Partei sei bereit, sich mit politischen Formationen zu verbünden, die eine ähnliche Ideologie vertreten, und fügte hinzu: »Im Augenblick betrachten wir al-Nahda nicht als eine Partei, mit der es möglich ist, ein Bündnis zu schließen.« Die Regierungsbildung dürfte sich schwierig gestalten.