Der Parteitag des Front National

Le Pen mit Sponsoring von Putin

Während die Demonstration gegen den rechtsextremen Front National in Lyon zum Debakel geriet, spuckte Marine Le Pen auf dem Parteitag große Töne.

Kann man im Jahr 2014 ungehindert gegen einen Kongress des rechtsextremen Front National (FN) demonstrieren? Die Antwort schien selbstverständlich, doch im Nachhinein erweist sich die Frage als angebracht. Am Samstag kam die Protestdemonstration, zu der die »Frankreichweite Koordination gegen die extreme Rechte« (Conex) aus Anlass des FN-Parteitags in Lyon aufgerufen hatte, nicht an ihr Ziel. Kurz nach Überschreiten der Rhône wurde die Demonstration bei einem Polizeieinsatz in zwei, kurz darauf in drei Teile zerlegt.
Dies war dadurch erheblich erleichert worden, dass die Demonstrierenden nicht sehr zahlreich waren. Zwischen 2 000 und 3 000 Menschen waren insgesamt zusammengekommen, etwas höher liegende Veranstalterangaben sind geschönt.

Dass der Protest in Lyon vergleichsweise schwach ausfiel, hat auch mit mehr oder minder zufälligen Faktoren zu tun. Die französische KP, noch immer mitgliederstärkste Kraft links von der regierenden Sozialdemokratie, hielt am selben Wochenende in der Lyoner Vorstadt Vénissieux ihr Pressefest ab – den regionalen Ableger der bekannten Fête de l’Humanité, die Zehntausende Menschen anzieht. Zwar waren eine Delegation von KP-Stadtverordneten und Parteijugend bei der Demonstration mit dabei, aber in geringer Zahl, und auch der Ordnerdienst von linken Organisationen und Gewerkschaften blieb relativ schwach.
Dies verstärkte die Auswirkung eines weiteren Problems. Seit über einem Jahr, seit den Demonstrationen nach dem Tod des jungen Antifaschisten Clément Méric, werden Demonstrationen gegen die extreme Rechte teils von einer bestimmten Szene dominiert. Dieses Milieu, das als »autonom« bezeichnet wird – sich aber deutlich von dem unterscheidet, was in Deutschland so genannt wird, erheblich gewaltaffiner und randständiger ist –, nutzt Demonstrationen für seine Zwecke. Es kommt zu Hammerangriffen auf Geldautomaten, Schauflächen für Werbeplakate, Schaufenster und Schnellrestaurants.
In Lyon stellte dieses Milieu zwischen einem Viertel und einem Drittel der Demonstranten. Faktisch hatte die Polizei den »Autonomen« beste Voraussetzungen zum Agieren gegeben. Auf der Hälfte der Route waren mobile Absperrgitter, die sich leicht anheben und wegtragen lassen, platziert worden. Diese wurden alsbald benutzt, um auf Schaufenster und Geldautomaten loszugehen.
Die Polizei hatte anscheinend nur auf diese Gelegenheit gewartet und deckte daraufhin den gesamten Protestzug mit Tränengas ein. Dieser wurde dadurch in der Mitte getrennt. Ein Teil des Demonstrationszugs, bestehend aus den Blöcken der linken Basisgewerkschaften SUD, der »Neuen Antikapitalistischen Partei« und der Anarchosyndikalisten, wurde von der Polizei ein­gekesselt. Lucile, eine SUD-Gewerkschafterin, die am Ordnerdienst beteiligt war, meinte dazu: »Nicht alle, aber nach unseren Beobachtungen zehn bis 15 Prozent der Kapuzenträger bestanden aus Leuten, die wir auf der feindlichen Seite verorten.«
Tendenziell bestätigt wird diese Vermutung auch dadurch, dass am Montag und Dienstag detaillierte Videos von Zerstörungsaktionen auf rechtsextremen Websites wie Novopress und Fdesouche auftauchten, die offenbar aus nächster Nähe gefilmt wurden.

Auf dem Parteitag selbst herrschte Triumph­gefühl. Marine Le Pen schleuderte den etablierten Politikern, allen voran Staatspräsident François Hollande und dem am Samstag gewählten Vorsitzenden der konservativen UMP, Nicolas Sarkozy, entgegen: »Sie sind gescheitert, bei allem, und bei der Präsidentschaftwahl 2017 kämpfen sie um den zweiten Platz – hinter mir!«
Auf dem Spiel stand nicht viel, da die Parteivorsitzende ohne Konkurrenz antrat und mit 100 Prozent der Stimmen wiedergewählt wurde. Allerdings offenbarte die Auszählung, dass die rechtsextreme Partei in den vergangenen Monaten einmal mehr gelogen hatte, als sie ihre Mitgliederzahl mit offiziell 83 000 angab. Aus den Angaben der Parteiführung zur Stimmenzahl bei der innerparteilichen Urabstimmung zur Wiederwahl der Vorsitzenden und zur Wahlbeteiligung ergibt sich einerund halb so hohe Zahl – etwa 42 000 Parteigänger.
Gewählt wurde auch das »Zentralkomitee« des FN, ein Gremium von 100 Mitgliedern. Beschlüsse fasst es kaum, aber die Wahlergebnisse unter der Mitgliedschaft stellen einen Test für die Popularität einzelner Führungspersonen dar. Da auf FN-Kongressen nicht kontrovers debattiert wird und alle politischen und ideologischen Richtungsentscheidungen ohne Diskussion getroffen werden, ist man darauf angewiesen, das Gewicht der innerparteilichen Strömungen anhand von Personalentscheidungen abzulesen.
Polarisiert hatte sich die Wahl zwischen der 24jährigen Abgeordneten Marion Maréchal-Le Pen, der Nichte der Vorsitzenden und Enkelin von Parteigründer Jean-Marie Le Pen, und dem 33jährigen Vizevorsitzenden Florian Philippot. Dieser gilt vielen als Technokrat. Allerdings steht Philippot seit zwei Jahren auch für einen Kurs, der vor allem auf sozial- und wirtschaftspolitische Themen abstellt und darauf zielt, die poli­tische Linke zu marginalisieren, indem man ihr Terrain besetzt und sich als entscheidende Opposition gegen den Neoliberalismus geriert. Philippot plädierte aus diesen Gründen etwa gegen eine Teilnahme an den reaktionären Demonstrationen gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, um alle Kräfte auf die Selbstdarstellung als soziale Protestpartei zu konzentrieren. Marion Maréchal-Le Pen und ihr Umfeld hingegen sind der Auffassung, es sei nun genug mit einer von ihnen als »faktisch links« betrachteten Profilierung. Auch Unternehmerinteressen, vor allem »mittelständische«, müssten wieder viel stärker berücksichtigt werden, und die rechten Proteste gegen die Homoehe hätten explizit unterstützt werden müssen.
Vordergründig handelte es sich bei der Wahl zwischen den Protagonisten zwar um keine Richtungsentscheidung. Und Marion Maréchal-Le Pen bekundete gegenüber Journalisten unter anderem dieser Zeitung, sie stehe für keine Richtung und werde gewählt, »weil ich jung und weiblich bin, und der Name Le Pen hilft mir dabei«. Hinter den Kulissen stehen die Namen dennoch für alle erkennbar für unterschiedliche Ausrichtungen. Nachdem Marion Maréchal-Le Pen mit 80 Prozent der abgegebenen Mitgliederstimmen auf den ersten und Philippot mit 69 Prozent auf den vierten Platz kam, blieb allerdings eine deutliche Zuspitzung aus. Viele hatten damit gerechnet, dass Philippot viel schlechter abschneiden könnte. Insofern können beide Strömungen ihr Werk ungehindert fortsetzen.

Außenpolitisch wurde auf dem Parteitag vor allem das enge Bündnis mit den Machthabern in Russland klar zur Schau gestellt. Eine Woche vor Eröffnung des Parteitags hatte die Internetzeitung Mediapart enthüllt, eine russische Bank habe dem französischen FN einen Kredit über neun Millionen Euro gewährt. Dabei handelt es sich um alles andere als ein unpolitisches Kreditgeschäft, denn Mediapart zufolge hatte Marine Le Pen es im Februar mit Wladimir Putin persönlich ausgehandelt. Auf dem Kongress versuchte man nicht, die engen Kontakte zum Kreml zu verbergen. Mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der Duma, Andrej Issajew, und mit Andrej Klimow, dem Vorsitzenden der Oberhauskommission für internationale Angelegenheiten, waren zwei Spitzenvertreter aus Russland zum Parteitag in Lyon angereist. Beide gehören Putins Partei »Einiges Russland« an.