Repression in Ägypten

Mit voller Kraft zurück

In Ägypten geht die Regierung von Präsident Abd al-Fattah al-Sisi äußerst repressiv gegen islamistische sowie linke und liberale Gegner vor. Der Rückhalt des Regimes in der Bevölkerung schwindet.

Zwischen 2 000 und 3 000 Demonstrierende fanden sich am 29. November auf dem Tahrir-Platz in Kairo ein, um gegen den Freispruch des ehemaligen ägyptischen Diktators Hosni Mubarak, seiner Söhne Alaa und Gamal sowie der wichtigsten Größen seines Sicherheitsapparats zu demons­trieren. Die Polizei löste den Protest nach einiger Zeit gewaltsam auf, wobei zwei Menschen ums Leben kamen. Es war der größte öffentliche Protest gegen das Regime von Präsident Abd al-Fattah al-Sisi seit einiger Zeit, doch im Vergleich zu den kraftvollen Protesten, die Ägypten zuvor gegen den Militärrat (SCAF) und den islamistischen ehemaligen Präsidenten Mohammed Mursi gesehen hat, war er nur ein blasser Abglanz.
Eine Woche später, als linke und islamistische Gruppen ein weiteres Mal zu Protesten gegen den Freispruch aufriefen, sperrte das Militär den Platz vorsorglich ab. Auch die nahegelegene Metrostation »Nasser« wurde abgeriegelt, um den Zugang zur Kairoer Innenstadt zu erschweren. Die Metrostation »Sadat« unterhalb des Tahrir-Platzes ist schon seit der Machtübernahme des Militärs im Sommer vergangenen Jahres außer Betrieb. Damit sind auch die Straßenverkäufer in der Umgebung verschwunden. Der große Platz im Zentrum Kairos, das Zentrum vergangener Proteste und der symbolträchtigste Ort der arabischen Aufstände, ist zu einem – für Kairoer Verhältnisse – fast stillen Verkehrskreisel geworden.

Die Repression der Regierung unter Führung des ehemaligen Generals al-Sisi trifft alle oppositionellen Lager. Gegenüber den Islamisten verfolgt die höchst politisch motivierte Justiz eine brutale Form der Abschreckung. In Massenprozessen gefällte Todesurteile gegen mutmaßliche Mitglieder oder Sympathisanten der Muslimbruderschaft, wie zuletzt am 2. Dezember gegen 188 Menschen, sollen die Islamisten in Schach halten. Seit dem ersten Prozess wegen mutmaßlicher Angriffe auf Polizisten oder staatliche Einrichtungen verhängte die Justiz insgesamt 1 200 Todesurteile, 200 davon wurden auch in zweiter Instanz bestätigt.
Zu mittlerweile Hunderten von Toten kam es seit dem Sommer 2013 auch bei Demonstrationen der Islamisten, die sich in der National Coalition for the Support of Legitimacy (NASL) zusammengeschlossen haben und nach wie vor gegen die Machtübernahme des Militärs demons­trieren. Die Sicherheitskräfte folgen der staatlichen Maßgabe, »Terroristen zu bekämpfen« und setzen bei diesen Demonstrationen scharfe Munition wesentlich ungehemmter ein als noch vor der Machtübernahme des Militärs. Dies hat den Charakter der islamistischen Proteste verändert. Großdemonstrationen an zentralen Orten finden nicht mehr statt, stattdessen formieren sich nach den Freitagsgebeten zahlreiche kleine Protestmärsche in den Wohnvierteln. Auf einigen dieser islamistischen Kleinkundgebungen wurden in den vergangenen Wochen Slogans für Solidarität mit dem Islamischen Staat (IS) gerufen – was Regierung und Sicherheitsapparat wiederum in ihrer Darstellung bestärkt, den Terrorismus im Land zu bekämpfen.
Die linken und liberalen Demonstrierenden bekommen eine abgeschwächtere Variante staatlicher Repression in Form des »Protestgesetzes« zu spüren. Das im vergangenen November per Dekret vom damaligen Interimspräsidenten Adly Mansour erlassene Gesetz erlaubt den staatlichen Autoritäten, Demonstrationen zu verbieten oder aufzulösen, sobald »glaubhafte Anhaltspunkte bestehen, dass die öffentliche Sicherheit bedroht ist«.
Dutzende Demonstranten wurden wegen Verstoßes gegen dieses Gesetz bereits verhaftet und meist zu Haftstrafen zwischen zwei und drei Jahren verurteilt. Darunter sind auch einige der bekanntesten Bürgerrechtsaktivisten des Landes, wie Alaa Abd al-Fattah und dessen Schwester Sanaa Seif. Erst vergangene Woche wurden im südägyptischen Luxor erneut zahlreiche Demonstrierende, die gegen den Freispruch Mubaraks auf die Straße gingen, wegen Verstoßes ­gegen das Protestgesetz inhaftiert. Ein mit ihnen befreundeter Aktivist vermutet eher eine gezielte als eine willkürliche Festnahme. Seine verhafteten Freunde seien schon länger Mitglieder einer Regimekritischen linken Gruppe und dürften den Autoritäten bekannt sein, sagte er der Jungle World. Über die Facebook-Seite »Freedom to our comrades in Luxor« versuchen andere Mitglieder der Gruppe nun, Solidaritätsaktionen für die Inhaftierten zu organisieren.

Nach einem Anschlag im Nordsinai, bei dem Ende Oktober 30 ägyptische Soldaten ums Leben kamen, wurde auch die Militärgerichtsbarkeit ­erheblich erweitert – per Dekret al-Sisis. Ägypten verfügt derzeit über kein Parlament, Neuwahlen sind erst für Februar und März kommenden Jahres angesetzt. So kann Präsident al-Sisi per Prä­sidentenverfügung Gesetze erlassen. Die erweiterten Befugnisse der Militärgerichtsbarkeit sehen vor, dass Zivilisten nicht mehr nur bei Angriffen auf das Millitär und dessen Einrichtungen durch Militärgerichte verurteilt werden können, sondern auch bei einer Reihe weiterer Vergehen. Dazu zählen alle Fälle, die »vitale Einrichtungen des Landes« betreffen, etwa Brücken, Bahnhöfe, Straßen oder Gaspipelines. Auch die »Sabotage von Bildungseinrichtungen« fällt nunmehr unter die Zuständigkeit der Militärgerichte – ein Mittel, um die Proteste an den Universitäten des Landes zu unterbinden. Seit der Machtübernahme der Armee kam es dort immer wieder zu Demonstrationen und Boykottversuchen. Diese wurden meist von islamistischen Studentengruppen organisiert, doch auch linksliberale Studierende wurden Opfer der repressiven Maßnahmen des Sicherheitsapparats. Während landesweiter Studierendenproteste Ende Oktober stürmte die Armee den Campus der Universität in Mansoura im Nildelta, zahlreiche Studierende wurden in der Folge verhaftet oder vom Universitätsbetrieb ausgeschlossen.
Die neue Welle autoritärer Verfügungen betrifft jedoch nicht nur die politischen Opponenten der Regierung al-Sisis, sondern reicht bis weit in den zivilen Bereich hinein. So wurde ägyptischen Beamten untersagt, am Arbeitsplatz über Politik zu sprechen. Derselbe Erlass sieht auch vor, dass die Beförderung von Beamten nun schon nach drei statt bisher acht Jahren Dienstzeit möglich sein soll.

Der Erlass spiegelt die Strategie der Regierung al-Sisis wider: Anhaltende politische und zivilgesellschaftliche Repression bei einer graduellen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage. Ob die Rechnung der Regierung aufgehen wird, ist fraglich. Sicher scheint jedoch, dass der sozioökonomische Druck nicht an ihr vorbeigehen wird. In den Augen mancher Ägypterinnen und Ägypter ist al-Sisis Position bei weitem nicht so sicher, wie dies von außen scheint. Mohammed Abd al-Salam, der in Kairo für die Menschenrechtsorganisation Association for Freedom of Thought and Expression (AFTE) arbeitet, vermutet: »Die Ägypter haben al-Sisi einen Vetrauensvorschuss gegeben, weil sie sich nach Stabilität sehnen. Er verkörpert für viele Ägypter das Image des starken Staatsmannes, auf den sie ihre Hoffnung nach Stabilität projizieren.« Doch ohne eine spürbare Verbesserung der wirtschaftlichen Lage zahlreicher Ägypter könne die Unterstützung für al-Sisi über kurz oder lang erodieren, so Abd al-Salam zur Jungle World. »Die Preise steigen nach wie vor, auf den Straßen und Zugstrecken kommt es regelmäßig zu desaströsen Unfällen und der Staat ist nicht in der Lage, Schulen oder Krankenhäuser zu sanieren. Wer dieser Tage die Gespräche in den Minibussen Kairos oder Alexandrias mitverfolgt, hört kaum mehr ein gutes Wort über al-Sisi.«