Sex und Politik in Italien

Sexy, erfolgreich, nicht gleichberechtigt

Macht und Sex: In Italien wird über die Geschlechterregime unter Ministerpräsident Matteo Renzi und seinem Vorgänger Silvio Berlusconi diskutiert.

Anfang September berichtete die britische Zeitung Telegraph von Vorwürfen gegen Italiens jungen Ministerpräsidenten Matteo Renzi, er ähnele seinem alten Amtsvorgänger und suche sich wie Silvio Berlusconi seine Ministerinnen nach Jugend und Schönheit aus. Der Vorwurf kam aus den Reihen seiner eigenen Demokratischen Partei (PD). Die ehemalige Familienminis­terin Rosy Bindi polemisierte gegen ihren Parteivorsitzenden, der seinen politischen Aufstieg dem Versprechen verdankt, die alte PD-Führung zu »verschrotten«, und sich mit jungen Frauen umgibt, die Berlusconis Schönheitsideal gerecht werden dürften. In der Vergangenheit hatte der ehemalige Ministerpräsident Bindi wiederholt als Personifikation der hässlichen Emanze verspottet. Tatsächlich bestimmt das Klischee vom italienischen »Verführer« und seinen »sexy Ministerinnen« die Berichterstattung, seit Renzi im Frühjahr sein Kabinett vorstellte. Bild publizierte damals ein retuschiertes Foto, auf dem die Ministerin für Verfassungsreformen, Maria Elena Boschi, sich über einen Schreibtisch beugt und dem Anschein nach einen String-Tanga aufblitzen lässt.

Wie einst Berlusconis »Sexskandale« vornehmlich mit voyeuristischer Lust betrachtet oder mit moralischem Eifer verurteilt wurden, ohne die politische Bedeutung des von ihm installierten Austauschsystems aus Geld, Macht und Sex zu begreifen, so wird heute das immer gleiche Klischee von den »schönen Italienerinnen« (re)produziert, ohne die Rolle der Frauen in Renzis Regierung genauer zu reflektieren.
Ein Vergleich zwischen dem alten und neuen Geschlechterregime sollte sich nicht allein auf Renzi als politischen Nachfolger Berlusconis beschränken, schließlich wurden auch seine jungen Ministerinnen in den Jahren des Berlusconismus sozialisiert. Anzuknüpfen wäre vielmehr an die feministischen Analysen, die den gesellschafts- und geschlechtspolitischen Charakter von Berlusconis vermeintlich privaten Affären entlarvten, um neben den Kontinuitäten auch die feinen Unterschiede zwischen Berlusconi und Renzi sichtbar werden zu lassen.
Ida Dominijanni gehörte zu jenen feministischen Kommentatorinnen, die Berlusconis »Sex­skandale« von Beginn an als postpatriarchale »Inszenierung obsoleter Geschlechterrollen« deuteten, mit der die reale Destabilisierung der traditionellen männlichen und weiblichen Geschlechtsidentitäten maskiert werden sollte (Jungle World 38/2009). Die Rolle des virilen Frauenhelden basierte auf einer mit Hilfe der ästhetischen Chirurgie und Pharmaindustrie rekonstruierten Männlichkeit. Die gegen Berlusconi eingeleiteten Gerichtsverfahren machten der Fiktion schließlich ein Ende, nicht aber der Sehnsucht nach dem starken Mann. Renzis Popularität fußt maßgeblich auf einer ihm zugesprochenen jugendlichen Kraft und Dynamik. Doch passend zu der europäischen Austeritätspolitik darf die neue Männlichkeit nicht mehr als überschwängliche Lust zur Schau gestellt werden, für den »Retter der Nation« geziemt sich eher das Remake des verantwortlichen Familienvaters.
Entscheidend sind die Rollen, die die Frauen in der postpatriarchalen Maskerade übernehmen. Denn weder begnügten sich Berlusconis »Bunga-Bunga-Mädchen« mit der Rolle des passiven Lustobjekts, noch verstehen sich Renzis Ministerinnen als schöne Accessoires des smarten Regierungschefs. Die neue Weiblichkeit präsentiert sich als eine Mischung aus antifeministischem Ressentiment und neoliberaler Ideologie. Alessandra Moretti, Europaabgeordnete der Demokraten, erklärte die Einstellung der jüngeren Politikerinnen zuletzt in einem Interview. »Unser Stil ist ladylike: Wir müssen und wir wollen schön, erfolgreich, intelligent und elegant sein.« Mit einem Seitenhieb auf ihre parteiinterne Gegnerin setzte sie hinzu, Bindis Stil habe die Schönheit der Frauen beleidigt. Zum Glück hätten sich nun die Zeiten geändert.

In der glücklichen neuen Zeit genügt eine liberale Katholikin wie Bindi, um die Wut gegen das Phantasma eines ebenso gefürchteten wie verachteten Feminismus auszulösen. Seit Renzi sein Kabinett geschlechterparitätisch besetzt hat, gilt die Gleichstellung ohnehin als erreicht, das gleichnamige Ministerium wurde nicht mehr besetzt. Die Vorstellung von Freiheit beschränkt sich allgemein auf die neoliberale Freiheit zum Selbstunternehmertum. Die emanzipative Forderung der Frauenbewegung »Mein Körper gehört mir« wurde längst systemkonform umgedeutet in den individualistischen Anspruch, über den eigenen Körper als »Ressource« frei verfügen zu dürfen. Ein schöner Körper kann als »Humankapital« auf dem (politischen) Markt gewinnbringend investiert werden. Die Inszenierung traditioneller Weiblichkeit wird als Selbstbestimmung erfahren. Die Frauen verstehen sich als progressiv, vermeiden aber in Wirklichkeit jeden Konflikt mit dem anderen Geschlecht und fügen sich in die Rolle der »besseren Hälfte«.
Und doch zeigt sich auf Seiten der Frauen ein interessanter Unterschied im Wechsel von Berlusconis zu Renzis Geschlechterregime. Für Berlusconis Frauen war die Sexarbeit eine Möglichkeit zum sozialen Aufstieg, sie boten ihren Körper im Tausch für einen Job in seinem Medienimperium oder für eine Karriere in seiner Partei. Der Handel flog erst auf, als einige Frauen, die nicht bekamen, was vorher vereinbart worden war, ihn öffentlich bloßstellten. Renzis Frauen kommen dagegen aus der bildungsbürgerlichen Mittelschicht, die seinerzeit im Namen der »Würde« der Frau den moralistischen Protest gegen Berlusconi anführte, seine »Begleiterinnen« wahlweise als Opfer bedauerte oder als Huren verachtete. Diese jungen Akademikerinnen haben das neoliberale Leistungsprinzip verinnerlicht, sie erachten die politische Karriere als Erfüllung aller meritokra­tischen Versprechen. Gleichzeitig fügen sie sich ganz selbstverständlich in neokonservative Weiblichkeitsmuster. Die für die öffentliche Verwaltung zuständige Ministerin Marianna Madia repräsentiert die erfolgreiche berufstätige Mutter. Die Geburt ihres zweiten Kindes wurde von Renzi persönlich bekanntgegeben, verbunden mit der Einladung, das Baby in die Kabinettssitzungen mitzubringen. Agnese Landini, Renzis Ehefrau, wird dagegen in der Presse gelobt, weil sie ihren Job aufgegeben hat und sich ganz der Erziehung der drei Kinder widmet. Boschi, die anfänglich als schöne »Madonna« des Kabinetts verklärt wurde, wird mittlerweile eher als einsamer Single bemitleidet.

Nur selten scheinen sich die jungen Politikerinnen der fortgesetzten Benachteiligung von Frauen und der sexistischen Realität bewusst zu werden. Meist nur in Momenten, in denen sie überrascht feststellen, dass ihre Fügsamkeit sie nicht vor sexistischen Beleidigungen schützt. Madia musste ertragen, dass ein Paparazzo sie mit einer Eistüte fotografierte und die Fotoserie mit Untertiteln publiziert wurde, die Anspielungen auf einen Blowjob enthielten. Von Boschi wurden im Sommer Bikini-Fotos veröffentlicht, die sie weniger vorteilhaft zeigten als auf dem retuschierten Tanga-Foto zu ihrer Amtseinführung. Hier unterstellte die Bildunterschrift, dass mit dieser Figur der ersehnte Traumprinz nicht zu finden sei. In einem Interview hatte Boschi offenbart, sie wünsche sich einen Mann und drei Kinder. Gleichzeitig hatte sie – »obwohl die Ministerin dem katholischen Glauben angehört« – ein Bedauern über die restriktive italienische Gesetzgebung zur künstlichen Befruchtung angedeutet. Vielleicht müsste Boschi einmal daran erinnert werden, dass dieses Gesetz seit seiner Verabschiedung von jenen Feministinnen kritisiert und bekämpft wird, mit denen sie und all die anderen politischen Aufsteigerinnen nichts mehr zu tun haben wollen.