Digital naives

Wenn das neue Jahr vor einem liegt, unschuldig, rein und glatt wie ein frischrasierter Babypopo, und man sinniert, was die Zukunft wohl bringen wird, was sie bringen kann, was sie bringen sollte, dann können einem die interessantesten Einfälle kommen. Gesche Joost zum Beispiel ist ein interessanter Einfall gekommen: Grundschüler, dachte sie, während sie gedankenverloren die Reste der Silvesterbowle in die Toilette entleerte, könnten doch eigentlich auch schon programmieren lernen, in der Schule, so an Computern. Jetzt ist Gesche Joost nicht irgendwer, sondern die Internetbotschafterin der Bundesregierung, deswegen steht so was dann am nächsten Tag gleich in der Zeitung: »Es gibt viele einfache Beispiele für Programmiersprachen, die wie Lego funktionieren: Ich stecke die Module zusammen und schon habe ich ein kleines Programm erstellt. Diese tolle Erfahrung sollte man früh machen.«
Und wisst ihr was? Vielleicht ist es das neue Jahr, der Taumel des Anfangs, der Leichtsinn eines frischen Jahrfünfts: Ich bin dafür! Bringt ihnen Programmiersprachen bei, lasst sie Module ineinanderstecken, Komponenten gar, lasst sie Turbinen und Raketen aus Lego bauen und damit zum Mond fliegen! Schwierig nur, dass »Internetbotschafterin« ein Beruf ist, so phantasievoll und unverzichtbar wie sonst wenige, etwa »Zukunftsforscherin« und »Medienexperte«, der über genau den Einfluss verfügen dürfte, den die Politik ihren Tanzbärchen eben einräumt: keinen. Werden sich demnächst also die Kleinen im Kindergarten Tablets statt Bauklötzchen über die Schädel ziehen? Eher nicht. Werden wir in den Klassenräumen meiner Schule Internet bekommen oder gar eines von diesen sagenumwobenen Dingern, von denen Einhörner, Elfen und Schulleiterinnen manchmal sprechen, ein Smartboard? Vielleicht, im Lehrerzimmer ging letztens das Gerücht um, wir bekämen ein gebrauchtes geschenkt und das Internet soll schon dieses, spätestens nächstes Jahr eingerichtet werden oder sonst danach.
Wobei wir dann immer noch keine Rechner in den Klassenräumen hätten, es also nicht benutzen könnten. Es gibt natürlich den Computerraum, da gibt’s Internet, aber in den gehe ich nicht, weil ich eben nicht in Begleitung von 32 hormonell stark beeinträchtigten Personen in eine Besenkammer gehe mit nur 16 Sitzplätzen und haufenweise empfindlicher Elektronik. Dabei wär’s schon schön, den digital natives aus der siebten Klasse mal zeigen zu können, wie man eigentlich eine E-Mail mit Anhang verschickt, aber das wird wohl vorläufig noch abgefahrene Spaceship-Zukunftsmusik bleiben, zu der wir mit Gesche Joost ein bisschen die Augen schließen und träumen können, während wir den Kopf im Takt gegen eine aus Legosteinen selbstgebaute Wand hauen. Auch das ist eine tolle Erfahrung, die man früh machen sollte.