Syriza und der Euro

Schreckgespenst aus Athen

Sollte das linke Parteienbündnis Syriza von Alexis Tsipras die Wahlen in Griechenland gewinnen, stehe die Währunsunion auf dem Spiel, prophezeien seine Kritiker.

Selten verhielt sich ein Schreckgespenst so freundlich. Selbst seine schärfsten konservativen Kritiker attestieren dem Vorsitzenden des griechischen linken Parteienbündnisses Syriza, Alexis Tsipras, angenehme Umgangsformen – auch wenn sie kein gutes Haar an seinen Ansichten lassen. Denn wenn man den zahlreichen Krisenpropheten Glauben schenken will, dann steht im Falle eines Sieges von Syriza bei den Neuwahlen am 25. Januar die gesamte Währungsunion auf dem Spiel.
Schließlich hat der smarte Oppositionsführer bereits angekündigt, im Falle eines Erfolges hart mit den Geldgebern um eine Lockerung der Sparmaßnahmen und einen Schuldenschnitt zu verhandeln. Die Griechen könnten keine Sozialkürzungen mehr ertragen. Beide Forderungen stellen nach Meinung seiner Kritiker jedoch den Verbleib des Landes in der Euro-Zone in Frage. Die Kredite, mit denen die Regierung in Athen in den vergangenen Jahren ihren Staatshaushalt vor dem Zusammenbruch bewahrte, gab es nur unter der Auflage drastischer Sparmaßnahmen.
Wenn diese Vorgaben nicht mehr eingehalten würden, gäbe es keinen Grund mehr, dringend notwendige Reformen vorzunehmen, fürchtet nicht nur die Bundesregierung in Berlin. Wenn Griechenland seine Schulden nicht mehr begleicht, könne dies fatale Effekte nach sich ziehen. Warum sollten nicht Spanien und Italien ähnliche Forderungen erheben? Ein Zahlungsausfall in dieser Größenordnung wäre aber für die Währungsunion nicht mehr verkraftbar. Die italienischen Staatsschulden betragen mittlerweile über zwei Billionen Euro, die Spaniens rund eine Billion Euro. Dagegen nehmen sich die griechischen Schulden in Höhe von 320 Milliarden Euro schon fast bescheiden aus.
Bereits kurz nachdem klar war, dass es zu Neuwahlen kommt, wurde über einen möglichen Ausstieg des Landes spekuliert. So meldete die Bild-Zeitung, dass die Bundesregierung sich auf einem Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone vorbereite. Sollte Tsipras gewinnen, würden die ausstehenden Raten von zehn Milliarden Euro Hilfskredit nicht mehr an Athen überwiesen. Der Spiegel berichtete wenig später, dass die Bundesregierung einen Austritt Griechenlands für verkraftbar halte. Dementiert wurde diese Meldung zunächst weder vom Kanzleramt noch vom Finanzministerium in Berlin.

Tatsächlich gibt es große Unterschiede zur Finanzkrise 2009, als ein Austritt Griechenlands nicht mehr ausgeschlossen wurde. Damals war die Regierung in Athen vor allem bei privaten Gläubigern verschuldet. Einen Bankrott oder Austritt des Landes aus dem Euro hätten zahlreiche Finanzinstitute in Deutschland und Frankreich kaum überstanden, was wiederum einen europäischen Bankencrash nach sich gezogen hätte. Mittlerweile liegt der größte Teil der Schulden, rund 250 Milliarden Euro, bei öffentlichen Gläubigern. Ein Zahlungsausfall Griechenlands würde also vor allem die Staatshaushalte der europäischen Geberländer belasten, während die Banken kaum davon betroffen wären.
Außerdem steht nun die Europäische Zentralbank (EZB) bereit, um Anleihen in unbegrenzter Höhe aufzukaufen. Eine Ausweitung der Krise auf andere südeuropäische Länder könnte so voraussichtlich schnell gestoppt werden.
Allerdings machen diese Umstände einen griechischen Austritt nicht gerade wahrscheinlicher. Das Institut für Weltwirtschaft hat bereits ausgerechnet, welche Kosten mit den verschiedenen Szenarien verbunden sind. Die bei einem Schuldenschnitt möglichen Verluste für Deutschland, einen der Hauptgläubiger Griechenlands, schätzt das Institut auf bis zu 40 Milliarden Euro. Sollte das Land jedoch aus der Währungsunion austreten, entstünden deutlich höhere Verluste bis zu 76 Milliarden Euro. Ein Austritt ist aber nicht nur wegen der damit verbundenen Kosten für die Bundesregierung kaum hinnehmbar. Er wäre auch eine Bestätigung für die Euro-Skeptiker von der »Alternative für Deutschland« und eine herbe Schlappe für Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Fraglich ist vor allem, was sich die europäischen Gläubiger überhaupt davon versprechen, den Sparkurs aufrechtzuerhalten, koste es, was es wolle. Derzeit beträgt die Schuldenquote Griechenlands rund 175 Prozent des Sozialprodukts. Um die Kredite zurückzuzahlen, müsste die griechische Wirtschaft dauerhaft Wachstumsraten generieren, die deutlich über jenen Chinas liegen.
Stattdessen durchläuft das Land aufgrund der rigiden Sparauflagen seit nunmehr sechs Jahren eine schwere Rezession. Die Wirtschaftsleistung ist in dieser Zeit um 20 Prozent gesunken, die Arbeitslosenrate hat sich mehr als verdoppelt. Kein anderes westeuropäisches Land hat in den vergangenen Jahrzehnten vergleichbar harte Einschnitte ertragen müssen. Auch das minimale Wachstum, das für dieses Jahr prognostiziert wird, wird daran nicht viel ändern.

Wie unter diesen Bedingungen Griechenland jemals seine Schulden zurückzahlen soll, ist völlig unklar. Zumal die Rückzahlungen vor allem dazu dienen, neue Schulden aufzunehmen. Dass sie eines Tages vollständig abgetragen werden können, halten vermutlich selbst die größten Optimisten im Berliner Finanzministerium für ausgeschlossen. Werden die Schulden nicht reduziert, kommt auch die griechische Wirtschaft nicht in Schwung und bleibt dauerhaft von Hilfszahlungen abhängig.
Hinzu kommt, dass die Kosten der von Tsipras so entschlossen angekündigten sozialen Maßnahmen überschaubar sind. Demnach will er unter anderem den Mindestlohn wieder auf das Niveau vor der Krise erhöhen und Entlassungen im öffentlichen Dienst zurücknehmen. Die Stromrechnungen für die ärmsten 300 000 Familien sollen vom Staat übernommen und Arbeitslosen ein besserer Zugang zum Gesundheitswesen gewährt werden. Insgesamt soll das Sozialprogramm rund zwei Milliarden Euro im Jahr kosten – was nicht einmal einem Prozent der Kreditzahlungen von EU und Internationalen Währungsfonds entspricht.
Vieles spricht daher dafür, dass die EU-Kommission und die Bundesregierung nach einem Wahlsieg Syrizas eine Konfrontation vermeiden wollen. So berichtet die Zeit, dass bereits nach einem Kompromiss mit Tsipras gesucht werde, um den Verbleib Griechenlands in der Währungsunion zu sichern. Eine Möglichkeit könnte darin bestehen, die Laufzeit der ausstehenden Hilfskredite zu verlängern. Die griechische Schuldenlast könnte um rund ein Viertel reduziert werden, wenn die durchschnittliche Laufzeit aller Hilfskredite auf 50 Jahre verlängert würde. Um diesen Betrag würden also die Griechen entlastet, während die Forderungen der Geberländer de facto entwertet würden, weil sie länger auf die Rückzahlung ihres Geldes warten müssten. Die Finanzminister der Euro-Staaten hatten sich bereits 2012 zu einem ähnlichen Beschluss durchgerungen. Damals wurde vereinbart, dass die Griechen für zehn Jahre auf einen Teil der Kredite überhaupt keine Zinsen mehr zahlen müssen.

Eine neue Regierung in Athen könnte eine solche Regelung als Erfolg verbuchen, da sie die Schuldenlast deutlich reduzieren würde. Die Gläubiger, allen voran die Bundesregierung, könnten wiederum ihren Wählern erklären, dass Griechenland weiterhin den Auflagen nachkommt.
Ein deutliches Indiz, dass sich der Schrecken, den Tsipras verbreitet, in Grenzen hält, gibt es an der Börse. Während der Finanzkrise 2009 kam es dort zu Panikreaktionen, der Aktienmarkt stürzte ab. Heute wird die Situation deutlich anders eingeschätzt. Auf die Nachricht, dass in Griechenland neu gewählt wird und eine linke Regierung droht, reagierten die internationalen Finanzmärkte nicht einmal. Wie es scheint, können sie mit dem manierlichen Schreckgespenst aus Griechenland durchaus leben.