Biggi Wanninger im Gespräch über die Absage der Teilnahme eines Mottowagens zum Anschlag auf Charlie Hebdo am Kölner Karneval

»Über Satire kann man nicht abstimmen«

Das Festkomitee Kölner Karneval hat in der vergangenen Woche überraschend die Teilnahme eines Mottowagens am Rosenmontagszug abgesagt, der den Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo zum Thema hatte. Der Wagen zeigt einen Jecken, der einen Buntstift in den Gewehrlauf eines Jihadisten steckt. Die Jungle World sprach mit Biggi Wanninger über die politischen Implikationen dieser Entscheidung und Satire im Karneval. Sie ist seit 1999 Präsidentin der Kölner Stunksitzung. Die heute hochprofessionelle, alternative Karnevalssitzung begann 1984 als studentisches Projekt in scharfer Abgrenzung zum etablierten Karneval, den die Gründer als »Brauchtumsstalinismus« begriffen. Die Sitzung wird seit den neunziger Jahren vom WDR übertragen.

Was haben Sie gedacht, als Sie von dem Rückzug des Wagens gehört haben?
Ich habe gedacht: Das darf nicht wahr sein. Diesen Wagen zurückzuziehen, ist politisch katastrophal. Die Entscheidung des Festkomitees ist ein Zurückweichen vor dem, was der Terrorismus erreichen will. Es ist nicht nachvollziehbar – vor allem bei diesem Motiv. Der Wagen ist ein Wagen zur Meinungsfreiheit und hat mit Religion gar nichts zu tun. Man hat sich sogar mit einem Islamwissenschaftler beraten, ob das wirklich so ist. Laut Festkomitee wurde von Seiten der Polizei keine Bedrohungslage gesehen, von allen Seiten gab es das OK. Das Festkomitee hat den Wagen zurückgezogen, weil sich besorgte Bürgerinnen und Bürger gemeldet haben. Es ist in ein Dilemma geraten – in eine bundesweite politische Diskussion darüber, ob und an welcher Stelle man nachgibt und wo man seine eigenen Werte verteidigt. Es hat sich meines Erachtens falsch entschieden.
Ist das nicht typisch für den Kölner Karneval? Ist der nicht ohnehin stets darauf bedacht, bloß nicht anzuecken?
Der traditionell organisierte Karneval in Köln ist nicht bekannt dafür, dass er die Obrigkeiten infrage stellt. Was man ja eigentlich vom Karneval erwartet: dass die Verhältnisse auf den Kopf gestellt werden und der Narr nach allen Seiten austeilt. Dafür ist der Kölner Karneval in der Tat nicht bekannt. Aber das Festkomitee tickt mittlerweile anders als früher. Ich habe schon den Eindruck, dass man was verändern will. Zum Beispiel beteiligte sich das Festkomitee an einem Aufruf zur Kundgebung gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, die ein Zeichen gesetzt hat gegen »Hogesa« (Hooligans gegen Salafisten, Anm. d. Red.), die am Breslauer Platz in Köln randaliert hatten. Im Rosenmontagszug ist ein Wagen von Amnesty International mitgefahren, die älteste schwule Garde »Rosa Funken« ist als Gruppe dabei. Das sind zarte Pflänzchen, die zeigen, dass sich dort etwas bewegt. Ob allerdings alle traditionellen Karnevalisten diese Öffnung mittragen, ist eine andere Frage.
Über das Motiv für den Mottowagen mit dem Arbeitstitel »Je suis Charlie« hat das Festkomitee erstmalig bei Facebook abstimmen lassen. 170 000 Personen haben sich die 14 Entwürfe angesehen, 7 000 haben abgestimmt. Was halten Sie von dieser Art der Entscheidungsfindung?
Ich habe zuerst gedacht: Ja, das hat was. Im Nachhinein finde ich, das war falsch. Der Kölner Kabarettist Jürgen Becker hat recht, wenn er sagt: Satire ist nicht demokratiefähig. Über Satire kann man nicht abstimmen. Man muss tun, was man tun will und nicht vorher fragen, ob man das darf. Bis zur Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses gab es ja keinen Protest gegen einen Mottowagen zu Charlie Hebdo. Dann wurde im Kölner Express aber berichtet, dass der Wagen unter Polizeischutz stünde, SEK-Beamte im Einsatz sein würden und so weiter. Warum das berichtet wurde, obwohl die Polizei eindeutig gesagt hatte, dass keine Bedrohungslage zu erkennen sei, ist nicht ganz nachvollziehbar.
Thematisieren Sie die Rücknahme des »Charlie-Hebdo-Wagens« in der Stunksitzung?
Zu Beginn der Sitzung sage ich, dass wir den Rückzug des Wagens politisch für völlig falsch halten. Also ein politisches Statement, um klar zu machen: das finden wir nicht gut. Sage aber auch, dass es jedem freisteht, einen eigenen kleinen Charlie-Hebdo-Wagen zur Meinungsfreiheit zu basteln und damit an Karneval auf die Straße zu gehen.
Was hat der Anschlag auf Charlie Hebdo bei Ihnen und den anderen Ensemblemitgliedern ausgelöst?
Wir waren sprachlos. An diesem Tag sind wir mit Kloß im Hals und einem ganz mulmigen Gefühl auf die Bühne gegangen. Das sind Berufskollegen gewesen. Die machen mit dem Zeichenstift, was wir mit Worten machen. Das geht einem sehr nah. Obwohl man auch sagen muss: Zeitgleich hat Boko Haram ein ganzes Dorf in Nigeria ausgelöscht. Es passiert sehr, sehr viel auf der Welt, was einen permanent sprachlos macht. Am zweiten Tag konnten wir auch etwas zu Charlie Hebdo sagen und haben darauf reagiert.
Wie?
Wir hatten von Anfang an Nummern im Programm, die sich mit Islamisten, Salafisten und Terroristen beschäftigen. In diesen Nummern haben wir auf die Anschläge reagiert. In einer Nummer zum Beispiel geht es um den »Internationalen Frühschoppen« im Himmel, wo Gott, ­Allah, und der »Allwissende«, Peter Scholl-Latour, diskutieren. Werner Höfer ist der Gesprächsleiter und Loki Schmidt als »Quotenfrau« diskutiert auch mit. Es geht in der Diskussion um die Frage des »Islamischen Staats« und wie es zu dessen Terror gekommen ist. Gott und Allah echauffieren sich darüber, was in ihrem Namen passiert und ihre Anhänger alles anrichten – und dass sie das nicht gutheißen. Allah erklärt, er hätte die Zeitung Charlie Hebdo abonniert, reißt sein Hemd auf und auf dem T-Shirt darunter ist dann »Je suis Charlie« zu lesen.
Haben Sie Angst?
Nein. Ich habe keine Angst.
In der aktuellen Stunksitzung gibt es die »löstige moslemische Krawallmöhne« im Burka-Kostüm, die sagen: »Seit es Tretminen gibt, haben wir kein Problem mehr damit, fünf Meter hinter den Männern herzulaufen.« Gehören ­islamkritische Witze zum Programm?
In der diesjährigen Sitzung geht es uns in erster Linie um Fanatiker, Selbstmordattentäter und Terroristen. Warum sollten wir Witze über friedliebende Muslime machen? Es sei denn, sie haben sich einen Witz »verdient«. Genauso wie wir nicht grundlos gegen Christen schießen. Der pensionierte Kölner Kardinal Meisner war zum Beispiel einer unserer besten Gag-Lieferanten. Er hat Sachen von sich gegeben, die man nicht einfach stehen lassen konnte. Zum Beispiel, als er über das Gerhard-Richter-Fenster im Kölner Dom gesagt hat, es sei »entartete Kultur« und würde eigentlich in eine Moschee gehören.
Gibt es nicht immer wieder Ärger mit der katholischen Kirche, zum Beispiel als die Polizei nach einer Anzeige das Schild »Tünnes« konfisziert hat, das statt »INRI« an einem Kreuz hing?
Das war nicht die Kirche. Das war ein Kölner Rechtsanwalt, der Strafanzeige gestellt hat wegen Blasphemie. Es gab dazu einen Prozess, aber den haben wir gewonnen. Die Kirche selbst hält sich relativ bedeckt. Bei ihren Anhängern sieht das anders aus. 2011 hatten wir einen Sketch mit Bischof Walter Mixa auf der Bühne, in dem es um das Thema Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche ging. Da haben wir einen üblen Shitstorm erlebt. Wir haben eine Flut von Mails mit Beschimpfungen und Beleidigungen von Fundamentalisten bekommen, bis hin zu Androhung von Gewalt gegenüber dem Darsteller. Das war überhaupt nicht lustig.
Gab es solche Reaktionen von Muslimen oder muslimischen Organisationen?
Nein, bisher nicht. Was sollten sie auch gegen die Verhöhnung von Selbstmordattentätern sagen? Mich hat gefreut, dass der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, gesagt hat, er würde nicht verstehen, warum das Kölner Festkomitee den Charlie-Hebdo-Wagen zurückgezogen hat.
Ist der Karneval jenseits der Kölner Stunksitzung und des Düsseldorfer Rosenmontagszugs heutzutage nicht völlig unpolitisch?
Das ist das in der Öffentlichkeit vorherrschende Bild. Es gibt in Köln aber auch anderes. Zum Beispiel den Geisterzug, die »Pappnasen« oder die »Ahl Säu«. Karnevalssitzungen wie »Fatal Banal«, »Deine Sitzung« oder »Die Röschen-Sitzung«, bei denen selbstverständlich Politik eine Rolle spielt, und weitere Gruppen, die eine andere Art von Karneval praktizieren. Und auch im etablierten Karneval gibt es ja Veränderungen: zum Beispiel Karnevalsbands, die sich klar positionieren, etwa zur Flüchtlingsfrage. Alles über einen Kamm zu scheren, geht nicht mehr.
Satire darf alles, der Karneval auch?
Im Prinzip ja. Aber es kommt meines Erachtens immer drauf an, wen man auf die Schippe nehmen will. Wir wollen niemanden, der Opfer ist, veräppeln. Wir schauen sehr genau: Wen kritisieren wir, wer ist unser Protagonist. Das ist wichtig. Aber manchmal ist es auch so, dass wir einfach nur Quatsch machen. Wenn einem auf unserer Sitzung drei Stunden lang nur das Lachen im Hals stecken bliebe, würde mir das nicht gefallen.