Rechte Kontinuitäten: Dresden vor Pegida

Stadt der kleinen Männer

Die NPD, die Kameradschaftsszene und die Aufmärsche zum Bombengedenken: eine kurze Einführung in das braune Dresden vor Pegida.

Anfang Januar fand spontan eine nächtliche Party vor dem Hotel Prinz Eugen in Dresden-Laubegast statt. Ein Dutzend Anwohner und eine Handvoll Neonazis ließen die Sektkorken knallen. Ein ungewöhnliches Bild für diesen Stadtteil im Dresdner Süden. Laubegast ist als ruhiger, kleinstädtischer Vorort bekannt. Der Grund für die Feier war, dass Bürgerproteste die Einrichtung einer geplanten Unterkunft für Asylbewerber verhindert hatten. Der Eigentümer des Hotels hatte sein Mietangebot an die Stadt zurückgezogen, weil ihm der Widerstand und die Anfeindungen in der Bevölkerung zu stark wurden.
Ganz so weit ist es im Norden von Dresden noch nicht. Allerdings protestieren auch dort seit einigen Monaten wiederholt Hunderte Menschen gegen die Einrichtung einer Unterkunft für Asylbewerber. Im nahe gelegenen Wilsdruff waren es im Januar knapp 100 Menschen, die gegen die geplante Einrichtung eines Wohnheimes auf die Straße gingen. Auch in Ottendorf-Okrilla, östlich der Dresdner Stadtgrenze, taten wiederholt mehr als 100 Menschen ihren Unmut über ein geplantes Flüchtlingsheim kund. In Dresden-Löbtau schimpften Besucher an einem Tag der offenen Tür in einer neuen Unterkunft, wie die Steuergelder für »die Asylanten« verschwendet werden und in Dresden-Leuben, wo Asylsuchende dezentral untergebracht sind, berichten Sozialarbeiter und Polizei von einer aggressiven Stimmung in der Bevölkerung, die ihnen große Sorge bereitet. Tumulte und rassistische Äußerungen auf Einwohnerversammlungen waren in den vergangenen Monaten die Regel, nicht die Ausnahme. Zur gleichen Zeit wird über Dresden international berichtet, weil Pegida mit dem Bild einer drohenden Islamisierung bis zu 20 000 Menschen auf die Straße bringt, um Chauvinismus und Rassismus zu verbreiten. Die zahlreichen anderen Proteste gegen Flüchtlingsheime in und um Dresden fallen im Medienrummel um Pegida schon gar nicht mehr auf.
Mit Pegida und seinen Ablegern wurde eine konformistische Rechte geschaffen. Die Lehre aus der Bewegung formulierte der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt vergangene Woche mit den Worten, »dass die Politik endlich wieder auf die kleinen Leute hört, dass man den Wandel zur Zuwanderungsgesellschaft nicht als Eliten-Projekt betreibt und über die Bürger gleichsam verhängt«. Darüber hinaus ist es ihm wichtig, »dass man seitens der Politik zeigt, dass Leute, bloß weil sie rechts sind, nicht einfach vom Platz gestellt werden«. Obwohl Patzelt von Mitarbeitern und Studierenden der TU Dresden für seine Positionen zu Pegida heftig kritisiert wird, beschreibt er damit genau jene Entwicklung, die in Dresden stattfindet.
Gesprochen wird über und mit Pegida. Die Landeszentrale für Politische Bildung stellt den »patriotischen Europäern« ihre Presseverteiler und Räume zur Verfügung, der Innenminister Markus Ulbig (CDU) trifft sich mit dem Organisationsstab und Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) lädt 300 »besorgte Bürger« zu Gesprächen in das eigens dafür angemietete Dresdner Kongresszentrum ein, um über deren »Zuwanderungsängste« zu sprechen. Wenn Lutz Bachmann als Vereinsvorsitzender zurücktritt, dann sind die Titelseiten der regionalen Tageszeitungen mit seinem Konterfei geschmückt. Überlegt sich Katrin Oertel neue Forderungen, dann werden diese auf den ersten Seiten diskutiert und ausgewertet. Patzelt fungiert für all jene als Stichwortgeber, wenn er gebetsmühlenartig wiederholt, »dem kleinen Mann« sollte jetzt endlich wieder Gehör verschafft werden

Die Figur des »kleinen Mannes« wird in Dresden schon lange von unterschiedlichen Akteuren genutzt, die die etablierte Politik angegriffen haben, um dieser ein anderes Gesellschaftsverständnis entgegenzusetzen. Schon der verstorbene Neonazi-Führer Michael Kühnen sah die Interessen des »kleinen Mannes auf der Straße« unter »dem herrschenden System« gefährdet. Dresden erklärte er bereits 1990 zur »Stadt der Bewegung«. Der Nationale Widerstand Dresden war ein erstes Sammelbecken zahlreicher, autonom agierender Skinhead-Kameradschaften, denen der Neonazi Rainer Sonntag als Integrationsfigur diente. Als dieser im Sommer 1991 bei Auseinandersetzungen im Rotlichtmilieu erschossen wurde, zogen zu einem Trauermarsch rund 1 500 Neonazis mit »Sieg Heil«-Rufen durch die Dresdner Innenstadt. Das erste Todesopfer rechter Gewalt in Dresden war bereits einige Monate zuvor zu beklagen. Rechte Skinheads warfen den Mosambikaner Jorge Gomondai im April 1991 aus einer fahrenden Straßenbahn.
Die Anschlussfähigkeit der Straßennazis an die lokale rechtskonservative Bürgerschaft wurde erstmals 1994 mit den »Dresdner Freitagsgesprächen« erprobt. Hier trafen sich nun regelmäßig Mitglieder der NPD, der Republikaner und der DVU mit Burschenschaften, konservativen Politikern und mit dem rechten Flügel der FDP. So war es kein Zufall, dass die NPD ausgerechnet in Dresden damit begann, die Vorherrschaft in der rechtsextremen Szene für sich zu beanspruchen. Im Jahr 2004 zog die NPD mit Hilfe des Nationalen Bündnisses Dresden, dem sich auch Republikaner und DVU angeschlossen hatten, erstmals in den Dresdner Stadtrat ein. Kurze Zeit später folgte der Einzug in den Landtag. Dort wurde ein Mitarbeiterstab aufgebaut, der auch dazu diente, wichtige Führungsfiguren der Neonazi-Szene in Lohn und Brot zu bringen. Von Dresden aus wurde der bundesweite Parteiverband maßgeblich geleitet und finanziert. Der damalige Parteichef Holger Apfel bezeichnete die NPD wiederholt als »die Partei des kleinen Mannes«. Die Idee eines Schulterschlusses zwischen dem bürgerlichen und dem neonazistischen Lager wurde durch die Vormachtstellung der NPD für viele Jahre auf Eis gelegt.
Neben den Parteistrukturen gab es eine aktionistische Szene so genannter Freier Kräfte und ein großes rechtes Potential unter den Hooligans von Dynamo Dresden. Eine besondere Rolle für das Selbstbewusstsein der Neonazi-Szene in Dresden spielte auch das Umland: In der Sächsischen Schweiz etablierte sich der bundesweit wohl wichtigste Kreisverband der NPD. Nirgendwo ist die NPD flächendeckend so fest verankert und akzeptiert wie in diesem Landstrich. Darüber hinaus waren die Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) und ihre Nachfolgeorganisationen wichtige Vorreiter bei der gewaltvollen Durchsetzungsfähigkeit und dem Aktionsimus innerhalb der Neonazi-Szene. In Riesa, nördlich von Dresden, setzte sich der Verlag der Deutschen Stimme mit seiner Infrastruktur fest.
Dass rassistische und chauvinistische Positionen der Bevölkerung wieder als ernstzunehmende Debattenbeiträge von den Spitzen der Stadt- und Landespolitik diskutiert werden und damit ihren Durchbruch feiern, fällt nicht zufällig in eine Zeit, in der die NPD ihr Landtagsmandat verloren hat und sich in der schwersten Krise in der Geschichte des Landesverbandes befindet. Patzelts Forderungen materialisieren sich. Im Schulterschluss mit den Rechtspopulisten ist es derzeit wieder möglich, gegen Asyl und Zuwanderung zu wettern, ohne in die Neonazi-Ecke gestellt zu werden. Ohne das NPD-Label wird Rassismus lediglich als Meinungsäußerung »des kleinen Mannes« wahrgenommen.

Die Gewinner der Stunde aus diesen Entwicklungen sind zweifelsfrei Pegida und die Alternative für Deutschland (AfD). Unter den Mitarbeitern der AfD in Dresden befand sich bis Februar 2015 mit Holger Malcomeß einer, der laut Berichten des Antifa Recherche Team Dresden (ART) bereits vor über 20 Jahren maßgeblich an der Organisation der »Dresdner Freitagsgespräche« beteiligt gewesen sein soll.
Die rechten Flügel der etablierten Parteien erleben derzeit politischen Aufwind. Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel traf sich mit Anhängern von Pegida auf einer Veranstaltung in Dresden. Unter den Diskussionsteilnehmern befand sich auch der langjährige Dresdner Neonazi-Kader Ronny Thomas. In der CDU sind es vor allem der Fraktionsvorsitzende Frank Kupfer und der Innenminister Markus Ulbig, die für ihre rechtskonservativen Positionen bekannt sind. Ulbig kam bereits auf die Pegida-Demonstranten zu, als diese noch gar nicht richtig losgelaufen waren und forderte im November 2014 Sonderheiten der Polizei, die sich um straffällige Asylbewerber kümmern sollten. Der glühende Linken-Hasser Kupfer sagte in Bezug auf das Positionspapier von Pegida: »Einige Punkte davon könnte ich sofort unterschreiben.« Den Begriff »Asylschwindler« lehne Kupfer als »provozierende Formu­lierung« zwar ab, aber: »Wer seinen Pass wegschmeißt, weil er aus einem sicheren Herkunftsland kommt, ist letztendlich ein Betrüger.« Die AfD sieht der sächsische Fraktionsführer der CDU durchaus als möglichen Partner an, wenn er sagt: »Ich glaube nicht, dass eine komplette Ausgrenzung der AfD für die Union langfristig sinnvoll ist.« So scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis sich in Dresden der Zusammenschluss der neuen konformistischen Rechten mit der bürgerlichen Mitte endgültig vollzieht.