Die Außenpolitik der Golfstaaten

Strategische Kakophonie am Golf

Die Konkurrenz der Golfstaaten untereinander führt nicht unbedingt zu Pluralismus in Nordafrika und dem Nahen Osten, sondern lässt vor allem verschiedene islamistische Gruppen erstarken.

Ende Januar wurde der in Ägypten inhaftierte Journalist des Senders al-Jazeera, Peter Greste, nach über einem Jahr Gefängnis freigelassen und in sein Heimatland Australien ausgeflogen. Greste war im Dezember 2013 zusammen mit seinen Kollegen Mohamed Fahmy und Baher Mohamed in Kairo verhaftet worden. Im Juni 2014 hatte ein Kairoer Gericht Greste und seinen ägyptisch-kanadischen Kollegen Fahmy wegen »Unterstützung und Beitritt zu einer terroristischen Vereinigung« und »Produzieren von unrealistischen Filmszenen« zu sieben Jahren Haft verurteilt. Baher Mohamed, der nur die ägyptische Staatsbürgerschaft besitzt, bekam drei weitere Jahre Haft, weil er neben den oben genannten Anschuldigungen im Besitz einer Gewehrpatrone gewesen sein soll.
Bei der Freilassung Grestes machten die ägyptischen Autoritäten Gebrauch von einem erst kürzlich von Präsident Abd al-Fattah al-Sisi erlassenen Gesetz, wonach in Ägypten verurteilte ausländische Straftäter in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden können. Fahmy und Mohamed befinden sich zwar weiterhin in Haft, doch ihr Fall wird von einem Kairoer Kassationsgericht am 12. Februar neu verhandelt. Laut der ägyptischen Online-Zeitung Mada Masr möchte auch Fahmy vom neuen Gesetz Gebrauch machen, indem er seine ägyptische Staatsbürgerschaft aufgibt und sich nach Kanada abschieben lässt. Baher Mohamed hat diese Wahl nicht, doch auch er hofft laut Mada Masr auf eine Verkürzung der Haftstrafe.

Angesichts des Falles der drei Journalisten al-Jazeeras auf eine Ausweitung der Pressefreiheit in Ägypten zu schließen, wäre jedoch weit hergeholt. Wer nach den Gründen für die Freilassung Grestes und für die Revision der Urteile gegen Fahmy und Mohamed sucht, landet in der saudischen Hauptstadt Riad. Dort fand am 19. November ein Gipfel des Golfkooperationsrats (GCC) statt, die Stimmung soll sehr angespannt gewesen sein. Der im Januar verstorbene saudische König Abdullah hatte seine Amtskollegen nach Riad geladen, um die Golfstaaten strategisch zu einen. Am Tisch saß auch der Emir von Katar, Sheikh Hamad bin Khalifa al-Thani, obwohl die Beziehungen seines Landes zu den anderen Golfstaaten in den vergangenen anderthalb Jahren alles andere als harmonisch waren. Im März 2014 zogen Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrain ihre Botschafter aus Katar ab.
Das Emirat, in dem außer 1,8 Millionen Gastarbeitern nur etwa 265 000 Kataris leben, wurde zum schwarzen Schaf unter den Golfstaaten, seit der katarische Sender al-Jazeera nach der Machtübernahme des Militärs in Ägypten im Sommer 2013 weiterhin die Muslimbrüder unterstützte. Saudi-Arabien und die VAE stellten sich hingegen ohne zu zögern auf die Seite der Militärregierung al-Sisis. Auch Finanzhilfen ließen nicht lange auf sich warten: Nur zehn Tage nach der Machtübernahme des Militärs gewährten Saudi-Arabien, Kuwait und die VAE den neuen Machthabern in Ägypten, das damals nahezu bankrott war, einen Kredit von 15 Milliarden US-Dollar.

Katar, das während der Präsidentschaft Mohammed Mursis den ägyptischen Staatshaushalt durch Finanzhilfen liquide hielt, landete wegen der Berichterstattung al-Jazeeras in der Rolle der Opposition. Der Sender übernahm im Wesentlichen die Position und die Terminologie der Muslimbrüder, von denen sich etliche wegen der Repression der Militärregierung nach Katar absetzten. Nachdem die Militärregierung unmittelbar nach ihrer Machtübernahme Sender ägyptischer Islamisten schließen ließ, wurde al-Jazeera mit seinem ägyptischen Ableger Misr Mubasher zur wichtigsten Stimme der Muslimbruderschaft in der Region. Der Sender berichtete fast täglich von islamistischen Protesten gegen die Militärregierung und untergrub damit das Narrativ des Regimes, wonach die überwältigende Mehrheit der Ägypterinnen und Ägypter hinter al-Sisi stehe.
Beim Gipfel im November in Riad war die Linie al-Jazeeras der entscheidende Streitpunkt zwischen Katar und den anderen Golfstaaten. So forderten Saudi-Arabien, Bahrain und die VAE als Gegenleistung für die Wiedereinsetzung ihrer Botschafter in Katar einen Wandel der Senderpolitik und ein Ende der Unterstützung der Muslimbrüder. Nach dem Gipfel erklärte der saudische König das Zerwürfnis mit Katar für beendet. Mit einem »Appell an die arabische Einheit« forderte er kurz darauf auch die ägyptische Regierung auf, die Versöhnung mit Katar zu unterstützen. In offiziellen Stellungnahmen zeigte sich die ägyptische Regierung dafür offen, doch hinter den Kulissen machten Offizielle klar, dass die Bringschuld nun auf Seiten Katars liege. Ende Dezember kam ein entscheidender Schritt seitens der katarischen Herrscher: der ägyptische Ableger al-Jazeeras, Misr Mubasher, stellte sein Programm ein. Beobachter vermuten, dass dieser Schritt während des Besuchs eines katarischen Emissärs in Kairo ausgehandelt worden war. Als Gegenleistung soll sich die ägyptische Regierung bereit erklärt haben, die Haftstrafen für die drei inhaftierten Journalisten al-Jazeeras neu zu verhandeln.

Dass die Einstellung Misr Mubashers einen strategischen Wandel des katarischen Königshauses widerspiegelt, stellen hingegen viele in Frage, denn die Berichterstattung des Muttersenders al-Jazeera unterscheide sich nicht wesentlich von der Misr Mubashers. Auch die meisten der exilierten Mitglieder der Muslimbruderschaft wohnen nach wie vor ungestört in Katar – ebenso wie ein Teil der Führungsriege der mit den Muslimbrüdern ideologisch verbundenen Hamas.
Katars Herrscherhaus pflegt traditionell eher freundliche Beziehungen zu den Muslimbrüdern, im Gegensatz zu Saudi-Arabien und den VAE, wo die Bruderschaft von den Herrscherhäusern als größte innenpolitische Bedrohung angesehen wird. Diese unterschiedlichen Perspektiven auf die islamistische Vereinigung führten in der Folge der arabischen Revolutionen zu unterschiedlichen Politikansätzen in den Umsturzländern. Wenn das saudische Königshaus auf dem Gipfel in Riad im November versuchte, die Golfstaaten strategisch zu einen, dann nicht nur um die »arabische Einheit« gegenüber dem Iran zu beschwören, sondern auch weil die jeweiligen Golfstaaten in den vier Jahren seit den arabischen Umstürzen eine zum Teil gänzlich gegensätzliche Außenpolitik verfolgten beziehungsweise bis heute verfolgen.
Ägypten ist dabei nur ein Schauplatz, wenn auch der bedeutendste. In Libyen stehen sich unterschiedliche Versuche der Einflussnahme durch die Golfstaaten gegenüber. Nach Beginn des Aufstands in Libyen beteiligten sich Katar und die VAE noch gemeinsam an der westlichen Intervention, die zum Sturz der Regierung Muammar al-Gaddafis führte. Doch heute unterstützt Katar die Koalition verschiedener islamistischer Milizen, die sich »Morgendämmerung« nennt und den Westen Libyens kontrolliert. Die VAE hingegen lassen zusammen mit Ägypten Luftschläge gegen diese Milizen fliegen und unterstützen die nach Tobruk geflohene libysche Regierung und deren Milizenkoalition unter General Khalifa al-Haftar.
Auch in Syrien verfolgten die Golfstaaten keine kohärente Strategie. Zwar unterstützten alle Herrscherhäuser Milizen mit mehr oder weniger islamistischer Gesinnung, doch auf eine Kooperation der verschiedenen Milizen wurde nicht gedrängt. In den Augen mancher Analytiker ermöglichte erst diese Konkurrenz verschiedener vom Golf finanzierter Milizen den Aufstieg des »Islamischen Staats« (IS). Wie ein ehemaliger Außenminister Bahrains sagte, habe jeder Golfstaat nach den Umbrüchen seine eigene Politik betrieben, um seinen Einfluss in den Krisenländern auszuweiten.