Anonymous und die Jihadisten

Tweets aus dem Jihad

Das Hackerkollektiv Anonymous meldete in der vergangenen Woche, Social-Media-Accounts von Jihadisten stillgelegt zu haben. Die meisten davon sind schon wieder online.

Die Liste ist beeindruckend lang: Mehr als 800 Accounts, die auf Twitter Propaganda des »Islamischen Staats« (IS, häufig wird auch Isis, der Name der Vorläuferorganisation, benutzt) verbreiten, hatte Anonymous vor etwas mehr als einer Woche im Rahmen seiner #OpISIS, wie die Aktivisten mitteilten, »zerstört«. Dazu wurden E-Mail-Adressen und diverse andere Informationen veröffentlicht.
Dass Anonymous einen erfolgreichen Schlag gegen die islamistische Terrororganisation geführt hatte, machte international Schlagzeilen – klickt man die Liste jedoch jetzt ab, stellt man fest, dass viele der Accounts wieder online sind und weiterhin den typischen Mix aus Koranversen, Rekrutierungsvideos und Hinrichtungsbildern verbreiten.
»Ihr werdet wie ein Virus behandelt, dessen Heilung wir sind«, hatte Anonymous in einer Videobotschaft an den »Islamischen Staat« verkündet. So sehen das auch viele User, wie sich am Abend der Terroranschläge in Kopenhagen zeigte. Weltweit hatte sich das Hashtag #cphshooting für Tweets über die Schüsse in einem Kulturzentrum und später vor einer Synagoge durchgesetzt. Das Hashtag wurde wie üblich schnell von Spammern gekapert, die jedoch diesmal nicht aus Leuten bestanden, die Links zu Pornoseiten oder »garantiert 7 500 Euro verdienen«-Betrügereien posteten, sondern aus IS-Propaganda-Accounts. Bilder von Enthauptungen, der Verbrennung des jordanischen Piloten und Opfern angeblicher US-Luftangriffe wechselten sich mit Videos ab, in denen der Islamische Staat weitere Terroranschläge in Frankreich ankündigte.
Manche der entsetzten User wussten sich angesichts der blutigen Bilder nur einen Rat: Sie meldeten die Jihadisten nicht etwa an Twitter, sondern an diverse Anonymous-Accounts, verbunden mit der Bitte, sie umgehend stillzulegen.
Gleichzeitig zeigte sich jedoch, wie aussichtslos der Kampf gegen Online-Propaganda ist, wenn er nur aus dem Abschalten der Accounts besteht: Für jedes verschwundene Nutzerprofil entstanden umgehend mehrere neue, bis die IS-Anhänger schließlich entweder keine Lust mehr hatten oder fanden, dass ihre Botschaften angekommen waren.

Ganz neu war diese Twitter-Taktik des »Islamischen Staats« nicht. Bereits während der Fußball-WM im vergangenen Jahr hatte Isis immer wieder im englischsprachigen Raum einschlägige Hashtags benutzt, um Propaganda zu verbreiten – den Rekord mit gleich sieben WM-Hashtags in einem Tweet schaffte ein Account, der statt Spielkommentaren ein Rekrutierungsvideo mit dem Titel »There is no life without Jihad« postete.
Dass die verstörten User sich lieber an Anonymous als an Twitter wandten, hat einen einfachen Grund: Das Unternehmen ist bekannt dafür, Nutzer nur in Ausnahmefällen auszuschließen. Die Liste der Verstöße, die mit Löschung des Accounts geahndet werden, ist überschaubar, dazu gehört unter anderem jedoch das Bedrohen anderer. So wurden einige Konten von Jihadisten in der Vergangenheit zwar entfernt, der Großteil durfte jedoch weiterbestehen.
Im Gegensatz zu Facebook beschäftigt Twitter keine »Content Cops«, externe Mitarbeiter, die Postings auf Regelverstöße durchsuchen, um den Usern unangenehme Bilder zu ersparen – (laut dem Magazin Wired konzentriert man sich bei FB auf »Penisfotos und Darstellungen von Enthauptungen«) – sodass Twitter-Nutzer schon viel Glück haben müssen, wenn sie sich unter einem aktuellen Hashtag über einen terroristischen Akt informieren wollen, ohne grausame Bilder ansehen zu müssen.
Twitter arbeitet zudem eigenen Angaben zufolge nur nach gerichtlicher Aufforderung mit Behörden zusammen und erstritt sich vor Gericht das Recht, User darüber zu informieren, dass ihre Daten an die Ermittlungsbehörden herausgegeben wurden.

Wirklichen Druck, verstärkt gegen Jihadisten-Accounts vorzugehen, hat es jedoch offiziell bisher noch nicht gegeben. Das dürfte auch daran liegen, dass die öffentlichen Postings solcher User für Geheimdienste ziemlich interessant sind, und das nicht nur, weil Experten anhand der verwendeten Worte, eventueller Rechtschreibfehler und immer wiederkehrender Phrasen relativ einfach herausfinden können, wieviele dieser Accounts von einer einzigen Person betrieben werden – und diese unter Umständen auch Namen zuordnen können.
Auch Fotos und Filme werden ausgewertet, in mehreren Fällen wurden so bereits westliche IS-Kämpfer identifiziert. Die Islamisten reagierten schon vor Monaten darauf und veröffentlichten Verhaltensregeln für Postings in Social Media, die unter anderem die Aufforderung umfassten, keine Bilder, auf denen Gesichter von Mitkämpfern zu sehen seien, oder militärische Informationen zu posten – manche besonders eifrigen Islamisten hatten zuvor live aus Schlachten getwittert.
Nun scheint es aber nur wenig befriedigend zu sein, in den Jihad zu ziehen, ohne bei den Freunden zu Hause via Facebook oder Twitter damit angeben zu können. Noch Ende Dezember hatte der Neuseeländer Mark John Taylor, aka Mohammed Daniel, der in Syrien für den IS kämpft, 45 Tweets veröffentlicht, ohne zuvor, wie empfohlen, die Geolocations auszuschalten. Dieses Zusatz-Feature gibt den Standort eines Users auf einige Meter genau an. Solche Fehler nutzt aber beispielsweise die kanadische »Open Intelligence«-
Gruppe iBrabo, um unter anderem die von Jihadisten genutzten Gebäude zu identifizieren. »Taylor ist nicht der erste, der seine jeweiligen Aufenthaltsorte auf Social-Media-Plattformen veröffentlicht hat«, sagte Jeff R. Weyers von iBrabo, und fügte hinzu, dass vor ihm schon diverse Kämpfer aus westlichen Ländern diesen Fehler gemacht hätten. »Taylors Missgeschick hat allerdings verifiziert, dass er für IS kämpft, und damit Beweise geliefert, die von den Behörden genutzt werden können, falls er jemals nach Neuseeland zurückkehrt.« Sein Fall zeige exemplarisch, welche Möglichkeiten sich für Ermittler aus Postings in Social Media ergeben können.
Allerdings versuchen staatliche Stellen die existierenden Jihadisten-Accounts auch dazu zu benutzen, Menschen, die mit dem Gedanken spielen, sich den Kämpfern anzuschließen, zu beeinflussen. Als Beispiel veröffentlichte das Magazin Mother Jones im November 2014 eine Antwort von »ThinkAgain_DOS«, dem offiziellen Account des Gegenpropaganda-Projekts des US-Außeministeriums »Think again, turn away«. auf einen IS-Kämpfer. Dieser hatte getwittert, Luxus sei ein Feind des Jihads. »Typischer Unsinn von extremistischen Heuchlern«, begann der response tweet und zeigte ein Foto des IS-Chefs, Abu Bakr al-Baghdadi, in teurer Garderobe sowie an einem reichhaltig gedeckten Tisch.
»Countertweeting«, heißt diese Jihadisten-trollerei offiziell, ob sie allerdings wirklich Erfolg hat, ist nicht bekannt. Falls man darauf setzt, dass es auf Jugendliche abschreckend wirkt, wenn ihre Helden lächerlich gemacht werden, dürften jedoch selbst die kurzfristigen Erfolge von Anonymous gegen die Twitter-Accounts von IS erfolgreicher sein als pampige Tweets einer sta-atlichen Institution.
Nach wie vor haben es Gruppen wie al-Qaida und IS durch das Internet ausgesprochen leicht, neue Freiwillige zu rekrutieren, bei Twitter und Facebook muss man nicht lang suchen, um einen Account zu finden, durch den man in Kontakt mit Jihadisten kommen kann. Langfristig werde deren Social-Media-Taktik, zu der auch das Verbreiten immer brutalerer Hinrichtungsbilder gehört, allerdings nicht aufgehen, ist sich David Mack vom amerikanischern Middle East Institute sicher: »Vermutlich führt das Nutzen von Social Media durch IS noch nicht einmal zu erhöhten Sicherheitsrisiken, sondern einfach dazu, dass sich immer mehr Menschen aus Abscheu und Ekel gegen sie wenden werden.«