Notizen aus Neuschwabenland. Teil 7

Verständnisprobleme

Diese Kolumne berichtet über das Milieu der »Neuen Rechten«. Notizen aus Neuschwabenland, Teil 7: Rechte Gedanken zu Charlie Hebdo, Houellebecq und Shoah.

Über Pegida ist genug geschrieben worden. Das offizielle Spektakel scheint zwar seinen Zenit überschritten zu haben, aber man muss sich an den Gedanken gewöhnen, dass sich dem neurechten Lager ein weiteres Betätigungsfeld neben der Alternative für Deutschland (AfD) geöffnet hat. Die Habachtstellung der lange introvertierten rechtsintellektuellen Zirkel zahlte sich aus. Vom ersten Tag an mischten Junge Freiheit, Sezession und Blaue Narzisse mit. Nicht erst mit Götz Kubitscheks Rede bei Legida konnten sie ihre Begriffe in Umlauf bringen. Die aktuelle Druckausgabe der Blauen Narzisse zum Thema ging schon nach wenigen Tagen in eine zweite Auflage.

Die Reaktionen auf den islamistischen Terror in Paris zeigen indessen, wie diese Kreise denken. Martin Lichtmesz produzierte für die Sezession gleich eine vierteilige Anklage unter dem Titel »Ich bin nicht Charlie«, um gegen den »Scheiß-auf-alles-Gestus« von Charlie Hebdo zu Felde zu ziehen, und schrieb: »Ich habe generell keine Sympathie für Blasphemie um der Blasphemie willen, schon gar nicht, wenn sie so minusbeseelt und billig betrieben wird wie von Charlie Hebdo (oder auch Titanic). Wenn nun Gestalten auftauchen, die derlei als Gipfel der abendländisch-zivilisatorischen Errungenschaften preisen […], dann bin ich erst recht nicht Charlie. All das ist nichts anderes als das Äquivalent von ›Pussy Riot‹ oder den Titten­dummies von Femen, die von ihren Hintermännern wie Nutten auf den Proteststrich geschickt und von amerikanischen Geschäftsmännern gesponsert werden.« Bebildert ist der Wutausbruch übrigens mit Karikaturen, die sittsam verschleierte Musliminnen halbnackten französischen »Schlampen« gegenüberstellen.
Viel gelobt, aber nicht verstanden wird Michel Houellebecqs Buch »Unterwerfung«. Die Blaue Narzisse steht unter Druck, da sie in Houellebecqs Namen unautorisiert einen Preis ausgeschrieben hat. Die Vision, in der die postsozialdemokratischen Gesellschaften einer drohenden Islamisierung nichts entgegensetzen können, wird geteilt. Die Zustimmung unterschlägt aber, dass im Roman die Sehnsucht nach Transzendenz ehemalige Identitäre zur Konversion bringt. Houellebecq hat die Erkenntnis, wie sehr sich Jihad und Counter-Jihad entsprechen, in eine literarische Form gegossen. Manche seiner Fans überfordert das.
Das gilt auch für die Mäßigung der Jungen Freiheit durch ihren Wandel zur inoffiziellen AfD-Hauspostille. Der Prozess sorgt für Irritationen bei den Lesern. Zum 27. Januar publizierte das Blatt einen ausgiebigen Gedenkartikel für die 1943 in Auschwitz ermordete Lyrikerin Gertrud Kolmar. Die deutsch-jüdische Autorin wird als »preußische Sappho« gewürdigt, das Schicksal der Familie wird beschrieben: Entrechtung, Zwangsarbeit, Ermordung. Da Kolmar die Cousine Walter Benjamins war, werden sogar die Versuche der Kritischen Theorie thematisiert, das Grauen als »Zivilisationsritual« zu deuten. Das scheint bemerkenswert, immerhin fanden sich zum Thema Shoah in der Vergangenheit noch Ansichten in der Redaktion, die nicht weit von denen der NPD entfernt waren.

Doch dann schlägt der Text den Bogen von der Frankfurter Schule in die Gegenwart und stellt den neurechten Konsens auf ungewohntem Wege wieder her: »Übereinstimmend mit den ›Frankfurtern‹«, heißt es, ließen sich die Ausgrenzungsmechanismen der NS-Zeit »mühelos übertragen auf andere totalitäre Konstellationen«, nämlich die »Pogromstimmung, die Westeuropas Führungsschichten augenblicklich gegen die Kritiker der von ihnen als ›Einwanderung‹ drapierten Umvolkung schüren«. Am Ende steht die Klage, die »jüdischen NS-Opfer« würden instrumentalisiert, um ein »multikulturelles Nichts zu schaffen«. Mit Adorno für Pegida, das ist originell. Doch überfordert diese besondere Form der »Vergangenheitsbewältigung« das Publikum. Im Leserforum herrscht die Meinung, solange man über Auschwitz nicht schrei­ben dürfe, was man wirklich denke, solle auch die Junge Freiheit das Thema auslassen. Für das Fußvolk ist der Strategiewechsel des Blattes wohl noch zu smart.