Die Wasserkrise in Brasilien

Bis auf den letzten Tropfen

In Brasilien spitzt sich die Wasserkrise zu, im Mai könnte der Metropole São Paulo das Wasser ausgehen. Auch in anderen brasilianischen Städten zeigen sich die Auswirkungen der »Jahrhundertdürre«.

Als Paulo Massato Yoshimoto Ende Januar im brasilianischen São Paulo vor die Presse trat, nahm er kein Blatt vor den Mund. »Wenn es nicht bald regnet, bleibt uns nichts anderes übrig als das Wasser drastisch zu rationieren. Dies würde bedeuten, dass wir an zwei Tagen Wasser haben und an fünf Tagen keines«, sagte der Direktor des Wasserversorgers Sabesp. Die Zeit drängt in São Paulo. Seit Monaten sitzt die größte Metropolregion der südlichen Hemisphäre auf dem Trockenen. Die Wasserspeicher sind praktisch leer und die Bevölkerung bereitet sich auf den Kollaps vor.
»Wir fangen an, Wasser zu recyceln. Da nachmittags die Hähne leer sind, muss ich zudem fast jeden Tag früher schließen«, sagt Janete Ribeira, die einen Waschsalon auf der belebten Avenida São João in der Innenstadt von São Paulo betreibt. Mit sachlicher Stimme bringt die 40jährige ihre Empörung zum Ausdruck: »Wenn sich die Lage verschlimmert, muss ich sogar darüber nachdenken, den Laden zu schließen.« »Die Brüder Santos«, eine kleine, dunkle Bar auf der gegenüberliegenden Straßenseite hat damit angefangen, Getränke in Plastikbechern auszuschenken und Geschirr mit Trinkwasser aus Wasserspendern zu spülen. Der Wasserhändler Airton Hoffmeister Oliveira berichtet, dass die Leute anfangen würden, »zu Hause Wasser zu bunkern«.

São Paulo befindet sich inmitten der schlimmsten Umweltkrise seit über 80 Jahren. Bislang war in der Millionenstadt und dem gleichnamigen Bundesstaat stets auf die starken Regenfälle in den Sommermonaten Verlass. Die Wasserreservoire waren voll und an eine Alternative wurde nicht gedacht. In den vergangenen zwei Jahren blieben die Niederschläge jedoch weit unter dem Durchschnitt. In São Paulo, der einstigen »Stadt des Nieselregens«, regnete es in diesem Januar rund 40 Prozent weniger als im Vorjahr, während die Temperaturen auf über 40 Grad Celsius kletterten. Im Cantareira-System, einem Verbund von Stauseen im Norden der Metropole, ist der Pegelstand auf fünf Prozent abgesunken. Heute gleicht das Reservoir, das einen Großteil der Stadtbevölkerung mit Wasser versorgt, einer Wüste aus Lehmschollen. Rostige Autowracks ragen aus dem vertrockneten Boden. Schon im März müsse Schätzungen von Experten zufolge auf die dritte und letzte Reserve, das »tote Volumen«, zurückgegriffen werden. Wo danach das Wasser herkommen soll, ist unklar. Auch die anderen Speicher sind fast leer, die Flüsse Tietê und Pinheiros sind durch Industrieabfälle und offene Abwasserleitungen extrem verschmutzt. Durch die Wasserknappheit droht der Region auch eine schwere Energiekrise. Da die Stromversorgung in Brasilien zu 80 Prozent auf Wasserkraft basiert, bleiben bereits jetzt in immer mehr Haushalten die Lichter aus.
Experten sehen die Dürreperiode in einem direkten Zusammenhang mit der globalen Erderwärmung. Auch die Abholzung des Amazonas-Regenwalds und der Mata Atlântica, des Regenwalds an der Ostküste Brasiliens, wird für die jüngste Krise mitverantwortlich gemacht. Die Wälder, die bislang für Regenfälle im Südosten gesorgt hatten, sind in den vergangenen Jahrzehnten zu großen Teilen der rasant wachsenden ur­banen Bebauung und den Weideflächen der Agroindustrie zum Opfer gefallen. Trotz der steigenden Gefahr hüteten sich Landesregierung und Behörden lange Zeit davor, eine nötige Wasserrationierung auch nur anzusprechen. São Paulos Gouverneur Geraldo Alckmin redete die Krise vor der Wahl im Oktober 2014 klein und versprach eine gesicherte Wasserversorgung. Die Rechnung ging auf: Seine Partei, die rechte PSDB, wurde mit fast 60 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Mitte Januar erklärte Alckmin kleinlaut, dass eine Rationierung in den kommenden Monaten notwendig sein wird.

Rund ein Drittel des Wassers, das Sabesp aus den Speichern pumpt, geht im maroden Leitungsnetz verloren. Deshalb hat der Wasserversorger, der der Landesregierung untersteht, mit einer »informellen Rationierung« begonnen. Jeden Abend wird der Druck in den Leitungen verringert, um Verschwendung zu verringern. Dadurch wird »weniger als ein Prozent der Bevölkerung betroffen sein«, heißt es in einer Stellungnahme. Einer Studie der Tageszeitung Folha de São Paulo zufolge fehlte allerdings in bereits 60 Prozent der Haushalte das Wasser. Marzeni Pereira, der seit 22 Jahren als Abwasserexperte für Sabesp arbeitet, hält die Ausführungen seines Unternehmens für »Fiktion« und bezweifelt, dass lediglich der Druck gedrosselt wird. »Sie drehen uns bereits die Hähne zu«, sagte der Gewerkschafter im Interview mit El País.
Insbesondere ärmere Menschen in der benachteiligten Peripherie trifft die Wasserknappheit mit aller Härte. Everalda Marques de Novaes wohnt in einem kleinen Haus in Campo Limpo, einem der ärmsten Stadtteile São Paulos. »Bei mir fehlt schon seit Dezember Wasser. Jeden Tag ab 18 Uhr ist der Hahn trocken.« Bislang hilft noch der Wassertank auf dem Dach. Bei ihren Eltern, die einige Straßen weiter wohnen, sieht dies anders aus. Wie ein Großteil ihrer Nachbarinnen und Nachbarn haben sie keinen Speicher und sind auf Hilfe angewiesen. Tanklaster mit Wasser kommen jedoch nur selten in die armen Randgebiete. Auch von den riesigen Wassercontainern, die Gouverneur Alckmin den Bewohnern versprochen hatte, ist bisher erst ein Drittel fertiggestellt. »Auf die Hilfe der Regierung vertrauen wir nicht mehr. Jetzt können wir nur noch auf Regen hoffen«, sagt die Köchin mit den blondgefärbten Haaren. Mit den letzten Wasserreserven verschwindet das Vertrauen vieler Paulistas – der Bewohner des Bundesstaats São Paulo – in die Politik. Viel zu lange habe die Landesregierung das Problem ignoriert, heißt es. Dabei hatten Experten bereits 2010 auf die bevorstehende Dürreperiode hingewiesen und davor gewarnt, dass eine Alternative für die Wasserversorgung fehle.

In Itú ist die Situation noch dramatischer. Die Kleinstadt im Landesinneren, knapp 100 Kilometer von São Paulo entfernt, sitzt bereits seit einem Jahr auf dem Trockenen. Immer wieder kommt es dort zu verzweifelten Protesten. Viele hoffen nun, dass sich auch in der Metropolregion Proteste ausbreiten werden. In São Paulo versuchen linke Gruppen an die Demonstrationen gegen die Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr anzuknüpfen, die in den vergangenen Wochen Zehntausende auf die Straße trieben. Bislang läuft die Mobilisierung jedoch spärlich an. Am 11. Februar versammelte sich lediglich eine kleine Gruppe von Demonstrierenden auf Brasiliens Prachtstraße Avenida Paulista zur angekündigten »Großdemonstration gegen die Wasserknappheit«. Die geringe Teilnahme liegt laut Carlos de Nicola auch daran, dass viele Menschen weiterhin den ausbleibenden Regen für die Krise verantwortlich machen. »Für mich ist dies keine klima­tische, sondern eine politische Krise«, sagt der Aktivist am Rande einer Kundgebung vor dem imposanten Gebäude der Landesregierung, zu der ein Bündnis aus sozialen Bewegungen und der linken Partei PSOL aufgerufen hatte.
»Die Bevölkerung wird für die Fehler der Landesregierung bestraft«, sagt de Nicola, der einen roten Bademantel, Badelatschen und eine Taucherbrille trägt. Bereits jetzt müssen Haushalte, die ihren Wasserverbrauch erhöhen, mit Geldstrafen rechnen. Kurze Zeit wurde sogar überlegt, den heißgeliebten Karneval abzusagen. Die Bevölkerung wird zum Schuldigen der Krise gemacht, auch medial. So berichteten verschiedene Medien zuletzt, der Hauptgrund für den Notstand sei, dass Brasilianer mehrmals täglich duschen. Dabei wird übersehen, dass Privathaushalte nur für rund zehn Prozent des Wasserverbrauchs verantwortlich sind, die Landwirtschaft, insbesondere die Agroindustrie, verschlingt hingegen über 70 Prozent des brasilianischen Wassers.
Von vielen Seiten wird daher ein grundlegendes Umdenken gefordert. »Das Wasser wurde zur Ware gemacht und orientiert sich nun wie jede Ware am Gewinn der Unternehmen und nicht am Wohlbefinden der Bevölkerung«, kritisiert die Urbanistin und UN-Berichterstatterin Raquel Rolnik im Interview mit der linken Wochenzeitung Brasil de Fato. Der Wasserkonzern Sabesp wurde in den vergangenen Jahren immer weiter priva­tisiert und ein großer Teil des Unternehmens befindet sich heute in den Händen von wenigen Unternehmern. Allein im Jahr 2013 zahlten die Konsumentinnen und Konsumenten umgerechnet rund 500 Millionen Euro an die Besitzer des Wasserversorgers.
Auch in anderen brasilianischen Städten wie Rio de Janeiro und Belo Horizonte wird das Wasser knapp. Zum ersten Mal in seiner Geschichte ist das 1978 eröffnete Paraibuna-Reservoir, das 90 Prozent der Einwohner Rio de Janeiros mit Wasser versorgt, für technisch leer erklärt worden. Trotz der Bedrohung erklärte Gouverneur Luiz Fernando Pezão, dass eine Rationierung »nicht notwendig« sei, appellierte jedoch an die Bevölkerung, Wasser zu sparen. Ähnlich wie in São Paulo soll die Landesregierung in den Bundesstaaten Rio de Janeiro und Minas Gerais lange Zeit Warnungen ignoriert und nicht in alternative Versorgungsmöglichkeiten investiert haben.
In der brasilianischen Hauptstadt Brasília bezeichnete Umweltministerin Izabella Teixeira unterdessen die Lage der Wasserversorgung im Land als »besorgniserregend«. Rund 40 Prozent der Bevölkerung des größten Landes Lateiname­rikas könnten von der aktuellen Krise betroffen sein. Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff versprach Hilfe und kündigte eine stärkere Zusammenarbeit mit den Bundesstaaten an. Ein Notfallplan soll entwickelt werden. Während das Thema nun endlich auch auf nationaler Ebene Erwähnung findet, versuchen die betroffenen Brasilianerinnen und Brasilianer einen Umgang mit der Krise zu finden, auch mit Humor. So zählten Regenschirme und Wasserspender zu den beliebtesten Kostümen beim diesjährigen Karneval. In ­einem Graffito auf der Avenida 23 de Maio, einer der wichtigsten Verkehrsadern São Paulos, heißt es: »Tausche iPhone gegen zwei Liter Wasser«.