Der »Grexit«

Kalkulierter Unfall

Die wirtschaftliche Lage in Griechenland könnte sich weiter verschlechtern.

Kaum hatte die griechische Regierung Ende Februar einen drohenden finanziellen Kollaps abgewendet, droht schon die nächste Katastrophe. Ohne weitere Kredite der Euro-Gruppe wird das Land bald pleite sein. Dann würde die griechische Schuldenkrise das denkbar schlechteste Ende nehmen: den Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone aufgrund akuter Zahlungsunfähigkeit. Einen Begriff gibt es dafür schon: »Grexident« – der Austritt als Betriebsunfall.
Zwar will man in der EU diese Entwicklung unbedingt vermeiden. »Es wird niemals einen Grexit geben«, beteuerte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am vergangenen Wochenende. Ein Austritt würde der Reputation der EU in der Welt schwer schaden. Doch mittlerweile hat sich die ökonomische Situation Griechenlands so verschlechtert, dass ein Ende mit Schrecken nicht mehr ausgeschlossen ist. Die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras muss allein bis Ende März Verbindlichkeiten von 1,5 Milliarden Euro erfüllen. Bis Ende des Jahres sind es rund 20 Milliarden Euro. Zugleich reichen die Steuereinnahmen kaum mehr aus, um die laufenden Staatsausgaben zu decken.
Tsipras läuft die Zeit davon. Neue Hilfskredite gibt es erst, wenn die von der Euro-Gruppe geforderten Reformen umgesetzt werden. Doch selbst wenn dies im Eiltempo gelingen sollte, wird sich der erhoffte Effekt in Grenzen halten. Wohlhabende Griechen haben ihr Vermögen längst außer Landes geschafft, wie beispielsweise der ehemalige Finanzminister. Allein im Januar sind nach Angaben des Münchner Ifo-Instituts 27 Milliarden Euro auf ausländische Konten transferiert worden. Übrig bleiben jene, die sowieso schon wenig verdienen und die deswegen versuchen, sich möglichst den Steuerzahlungen zu entziehen. So bleiben die Einnahmen weit hinter den Erwartungen zurück – bis Anfang März fehlen bereits über 250 Millionen Euro.
Der einzige Ausweg aus dieser fatalen Lage wäre eine politische Entscheidung, die Griechenland Zeit gäbe, sich zu erholen, anstatt jeden Euro in eine Schuldentilgung zu investieren, die schon lange reiner Selbstzweck ist. Dass die Gesamtschulden in Höhe von rund 320 Milliarden Euro jemals zurückgezahlt werden können, glaubt wohl selbst der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble nicht mehr. Die rigiden Auflagen dienen mittlerweile vor allem dazu, ein Exempel zu statuieren. Eine Abkehr von der Sparpolitik soll es für Griechenland nicht geben, sonst kommt man in Spanien, Italien oder Portugal vielleicht noch auf ähnliche Gedanken.
Dabei steht auch für die Regierungen der Euro-Zone viel auf dem Spiel. Die ökonomischen Folgen eines Austritts Griechenlands sind mittlerweile kalkulierbar, die politischen nicht. Einen weiteren failed state an der Peripherie kann sich Europa nicht leisten. Darin liegt vermutlich auch die einzige Chance für Tsipras, um sich am Ende doch noch mit der Euro-Gruppe zu einigen. Ein Kompromiss könnte darin bestehen, den Schuldendienst auszusetzen oder zeitlich so zu strecken, dass die griechische Regierung wieder Mittel generieren kann, um für Wirtschaftswachstum zu sorgen. Ob es gelingt, wird bis zur letzten Minute offen bleiben: Ende April verstreicht die letzte Frist. Wenn sich bis dahin keine Einigung ergibt, erhält Griechenland keine weiteren Kredite. Gut möglich aber, dass der Regierung schon vorher einfach das Geld ausgeht.