Die Geldpolitik der EZB

Der Euro im Währungskrieg

Die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ist auch ein Ausdruck des immer stärkeren internationalen Abwertungsdrucks, dem sich derzeit vor allem die USA entgegenstellen.

Seit die Europäische Zentralbank (EZB) Ende Januar ihr Programm zum Ankauf von Staatsanleihen mit einem Volumen von über 1,1 Billionen Euro aufgelegt hat, sinkt der Wert des Euro. Während man im Mai vergangenen Jahres noch etwa 1,40 US-Dollar für einen Euro bekommen konnte, nähert sich der Kurs immer weiter einem pari­tätischen Verhältnis, das es zuletzt im Jahr 2002 gegeben hatte. Vor allem wenn die Ankündigung der Präsidentin der US-Notenbank Federal Reserve (Fed), Janet Yellen, die Nullzinspolitik endlich zu beenden, ab Sommer in die Tat umgesetzt werden sollte, könnte sich der Trend nochmals verstärken. Zwar fand sich in der Erklärung des EZB-Präsidenten Mario Draghi Ende Januar viel zur Deflationsbekämpfung und nichts zur Abwertungspolitik (Jungle World 6/15), aber dass diese zumindest mitintendiert war, fiel nicht nur beim Wall Street Journal auf. »Abwertung ist jetzt Europas Wachstumspolitik«, betitelte es den Bericht über die EZB-Entscheidung.
Vor allem in den USA ist man dementsprechend alarmiert. Mitte März hatte Yellen bei der Pressekonferenz der Fed, die eigentlich für die seit einem Jahr angekündigte Bekanntgabe der Leitzinserhöhung anberaumten war, überraschenderweise keinen konkreten Zeitplan angegeben. Sie verwies auf »die internationalen Entwicklungen«. Zur Erklärung sagte der Chefökonom Präsident Barack Obamas, Jason Furman: »Der Absturz des Euro bedeutet Gegenwind für die USA«, darauf müsse man eine angemessene Antwort finden. Bereits Anfang Februar hatte US-Finanzminister Jack Lew unter Benennung des EZB-Programms gedroht, wenn »andere Länder eine unfaire De­visenpolitik« verfolgten, seien die USA »zum Gegenschlag bereit«.
Auf den Kommandohöhen des US-amerikanischen Kapitals wird man dies gerne gehört haben. Chad Moutray, Chefökonom des wichtigsten US-Industrieverbandes National Association of Manufacturers (NAM), hatte Yellen schon vor der Pressekonferenz der Fed vor den Schäden gewarnt, die eine weitere Verteuerung des Dollarkurses in der Exportindustrie anrichten würde, gewarnt. US-Konzerne wie der weltgrößte Konsumgüterhersteller Procter & Gamble, der Einzelhandelsgigant Walmart oder Caterpillar, der Weltmarktführer bei Baumaschinen, hatten seit Jahresbeginn öffentlichkeitswirksam auf die Probleme der Exporteure wegen der Aufwertung des US-Dollar hingewiesen. Auch Pfizer, McDo­nald’s und Microsoft hatten ihre Gewinnrückgänge auf den starken Dollar zurückgeführt. Und selbst Apple-Geschäftsführer Tim Cook, der im vergangenen Jahr für seinen Konzern noch den höchsten Gewinn der Wirtschaftsgeschichte hatte verbuchen können, reduzierte jüngst wegen der »heftigen Währungsvolatilität« die Gewinnaussichten für das Jahr 2015.

Es handelt sich nicht um Einzelfälle. Die Investmentberatungsgesellschaft Mauldin Economics schätzt, dass die 500 größten Unternehmen der USA im vergangenen Jahr fast die Hälfte ihres Umsatzes und ihrer Gewinne im Ausland erwirtschaftet hätten. So erklärt sich auch der derzei­tige Investitionsrückgang. In einer Umfrage der Duke University hatten zwei Drittel der größten US-Exporteure über »negative Folgen« des hohen Dollarkurses geklagt – und jeder vierte hat bereits die Kapitalaufwendungen gekürzt. »Wir stecken mitten in einem hässlichen Wettbewerb, ob die Euro-Zone, Japan oder Kanada gegenüber dem Dollar am meisten abwerten können«, fasste der Ökonom Campbell Harvey die Befragung zusammen. US-Exporteure würden »von diesen konkurrierenden Abwertungen bestraft, was zu niedrigeren Gewinnen und Beschäftigungsverlusten« führe.
Denn nicht nur Europa befindet sich im Währungskrieg. Die seit Ausbruch der Finanzkrise betriebene Nullzinspolitik der Fed, die durch den Ankauf von Staatsanleihen, das sogenannte quantitative easing, noch verstärkt wurde, und der damit einhergehende Wertverlust des US-Dollar waren maßgeblich mitverantwortlich für den Aufschwung in den USA. Doch begegneten die Konkurrenten der stärksten Wirtschaftsmacht der Welt dieser Politik mit denselben Mitteln und senkten ebenfalls die Leitzinsen. Neben fast allen EU-Staaten, die nicht Teil der Euro-Gruppe sind, Japan und Australien taten dies die Schwellenländer China, Russland, Indonesien, Südkorea, Indien und die Türkei ebenso wie ein Großteil der Staaten Asiens und Lateinamerikas. Einige Staaten reduzierten ihren Leitzins gleich mehrfach. Auch Kanada und Israel, die einen Großteil ihres Außenhandels mit den USA abwickeln, zogen mit.

Leitzinserhöhungen wurden nur aus Ländern wie der Ukraine und Brasilien gemeldet, die derzeit dringend frisches Geld brauchen. Ansonsten aber steht die Fed mit ihrem nun angekündigten währungspolitischen Paradigmenwechsel hin zu Leitzinserhöhungen und ihrer Beendigung des quantitative easing ziemlich alleine da. Der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF) und derzeitige Leiter der indischen Notenbank, Raghuram Rajan, brachte dies auf den Punkt. »Die USA müssen eine gewisse Aufwertung des Dollar akzeptieren, einfach, weil sie die ersten sind, die in diese Richtung gehen«, kommentierte Rajan die Vorwürfe, die von US-amerikanischer Seite auch gegen Indien erhoben wurden. So hat der Dollar in den vergangenen zwölf Monaten gegenüber den Devisen praktisch aller US-Handelspartner an Wert gewonnen. Im Vergleich zum 26 Währungen umfassenden handelsgewichteten Index der Federal Reserve – in ihm ist der Euro mit 16 Prozent vertreten – hat er sich um über 16 Prozent verteuert.
Dies wird zunächst allerdings viele Entwicklungs- und Schwellenländer hart treffen, wenn sie – wie es üblich ist – Schulden in US-Dollar aufgetürmt haben. Mehr als neun Billionen Dollar an Schuldtiteln von Nichtamerikanern sollen nach Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich von US-Finanzinstituten gehalten werden. Da die Zinsen und Tilgungen in Dollar fällig werden, wird dies für die betreffenden Länder sehr teuer werden. Als »riesigen Staubsauger«, der Kapital aus den Schwellenländern abziehen werde, hat Brasiliens Finanzminister Guido Mantega deshalb die Dollaraufwertung bezeichnet. Davon profitieren neben US-amerikanischen auch chinesische Gläubiger, denen Angaben von Morgan Stanley zufolge über 850 Milliarden Dollar geschuldet werden.

Vorerst wird die Leitwährungsfunktion des Dollar die USA trotz zu erwartender Einbrüche beim Export schützen – und gigantische Summen nicht nur aus den Tilgungen, sondern auch in Anleihen und Unternehmensbeteiligungen dorthin spülen. Ob etwa in Südeuropa oder Lateinamerika die wenig wettbewerbsfähigen Staaten nur wegen einer abgewerteten Währung plötzlich mit den nach wie vor dominierenden US-Konzernen konkurrieren können, bleibt zumindest fraglich, auch weil Rohstoffe weiterhin nur in Dollar gehandelt werden und so für alle außerhalb der USA teurer werden dürften.
In der Vergangenheit stellte dies stets eine der Grundlagen der deutschen Kritik an einer Politik des schwachen Euro dar, den der Exportweltmeister angesichts der Konkurrenzfähigkeit seiner Produkte gar nicht nötig hat. So könnte sich einmal mehr die Voraussage des damaligen US-Finanzministers John Connally angesichts der Aufhebung der Goldbindung des Dollar 1971 bewahrheiten. »Es ist unsere Währung, aber es ist euer Problem«, hatte er der Welt zugerufen. Mal abwarten, wie die EZB dann reagiert.