Wolf und Leitwolf

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In Astana, der Hauptstadt Kasachstans, befindet sich im berühmten Bajterek-Turm ganz oben in einer riesigen Kugel ein vergoldeter Abdruck der rechten Hand des Präsidenten Nursultan Nasarbajew. Legt man seine eigene Hand in die goldene Kuhle und wünscht sich etwas vom Staatsoberhaupt, geht dieser Wunsch in Erfüllung, heißt es. Mehr Demokratie ist wohl kaum möglich. Früher ertönte bei der Berührung sogar noch die Nationalhymne. Gäbe es Ähnliches in Deutschland in der Kuppel des Reichstagsgebäudes, was würden sich die Deutschen wohl von Angela Merkel wünschen? In diesen Tagen lässt sich das leicht beantworten: ein Pfund Spargel. Ach so, und bitte, bitte nicht von einem Wolf angefallen zu werden! Da sorgt man sich dann doch. Tatsächlich kommt es vermehrt zu tragischen Begegnungen zwischen Wolf und Mensch. Allerdings hätten eher die Wölfe Grund, ihre Pfote in eine magische Merkel-Hand zu legen, denn bisher gingen alle konflikthaften Begegnungen zwischen den beiden Säugetierarten zu ihrem Nachteil aus. Allein in der vorigen Woche wurden erneut drei Wölfe überfahren, einer in Hessen, zwei in Niedersachsen. In Brandenburg werden Wölfe gerne auch einmal geköpft. Blutige Bekennervideos im IS-Stil werden sicher bald bei Youtube auftauchen.
In Kasachstan gibt es übrigens ein Vielfaches mehr an Wölfen als hierzulande, aber – darauf wird Wert gelegt – immer nur einen Leitwolf. Bereits seit der Unabhängigkeit 1991 regiert Nasarbajew das Land und auch nach der Präsidentschaftswahl am Sonntag muss kein neuer Handabdruck angefertigt werden. Der »Führer der Nation« erhielt 97,7 Prozent der Stimmen. Womöglich musste das Ergebnis nicht einmal groß gefälscht werden, es gab nur zwei Gegenkandidaten: Einer setzte sich für Umweltschutz ein, der andere war gegen Fast Food. Da kann der Kasache doch nur lachen. Echte Opposition ist in Kasachstan selbstverständlich nicht vorgesehen und falls sie doch einmal gewagt wird, finden sich deren Vertreter schnell im Gefängnis oder im Exil wieder.
Die Kasachinnen und Kasachen können dennoch zuversichtlich in die Zukunft blicken, nicht nur wegen der erquicklichen Gas- und Ölvorkommen, die ihren Staat zum reichsten in Zentralasien machen. Dank der einem rassistischen Vordenker der Eurasia-Bewegung, Lew Gumiljow, per himmlischem Lichtstrahl eingegebenen und praktisch zur Staatsideologie erhobenen Lehre weiß man, dass Aufstieg und Fall von Völkern aus dem Kosmos gesteuert werden und dass sie eine Haltbarkeit von rund 1 200 bis 1 500 Jahren haben. Und weil das Volk der Kasachen erst vor 400 Jahren dank einer Explosion im All entstanden sei, wird Nasarbajew wohl noch lange herrschen und Wünsche erfüllen.