Incomplete

Alles ist beim Alten und alles ist neu: Draußen tut die Natur hübsch und bekommt das ganze Programm mit den Düften und den Veilchen und dem blauen Bändchen schon wieder genau so gut hin wie im vorigen Jahr und im Jahr davor und in überhaupt allen Jahren seit irgendein Mensch genug gegessen und deswegen Zeit hatte, zum ersten Mal darüber nachzudenken, wie gut die Natur den Frühling hinbekommt. Und wir sitzen wie jedes Jahr erstaunt da und freuen uns wie die Kinder. Wie nette Kinder, die aber ein bisschen langsam im Kopf sind, weswegen es ihnen nichts ausmacht, sich jedes Jahr denselben Film anzuschauen, einen Film zumal mit wenig Handlung (Temperaturen steigen, Pflanzen wachsen, alte große Tiere machen neue kleine Tiere) und absehbarem Ende (Sommer). Jetzt ist die Zeit, in der die Inlineskates und Fahrräder und Joggingklamotten hervorgeholt werden und sich alle ihrer im Winter vernachlässigten Hobbys erinnern, selbst ich.
Das Gute an meinem Hobby, bei geschlossenen Vorhängen so lange wie möglich den Stapel unkorrigierter Klausuren zu ignorieren und im Internet zu surfen, ist, dass man anders als bei vielen modernen Trendsportarten, etwa dem Fahrradfahren, praktisch keine zusätzlichen Utensilien braucht, also eigentlich nur solche, die man als besserverdienende Bewohnerin eines Indus­trielandes ohnehin schon herumstehen hat, nämlich das Internet und ein Endgerät für das Internet. Na gut, zusätzlich benötigt man noch einen Stapel unkorrigierter Klausuren, aber den stellt mir mein Arbeitgeber ja freundlicherweise in regelmäßigen Abständen kostenlos zur Verfügung. Wenn ich darüber nachdenke, habe ich mein Hobby im Winter vermutlich weit weniger vernachlässigt als die meisten anderen Menschen ihr blödes Fahrradfahren, aber so richtig Spaß macht es halt doch nur im Frühling, da sind es nämlich unkorrigierte Abiturklausuren, die man ignorieren muss, das ist schon eine ganz besondere Herausforderung.
Vermutlich deswegen schaffe ich es gerade auch nicht, die Schule ganz zu vergessen, während ich die großartigen, grausamen Weiten des Internets durchforste. Beispielsweise finde ich es ja grundsätzlich lustig, zu schauen, was Google autocomplete zu allen möglichen Themen zu sagen hat, und ertappe mich derzeit dabei, dort Dinge wie zum Beispiel »Schüler sind« einzugeben. »Schüler sind« Google autocomplete zufolge »überfordert«, »frech«, »laut im Unterricht« und, ist das nicht reizend, »auch nur Menschen«. So viel Gnade lässt die Maschine mir gegenüber nicht walten: »Lehrer sind«, urteilt sie kurz und knapp, »Schweine« beziehungsweise auch »faule Säcke«. Traurig leere ich meine letzte Bierflasche und versuche, sie so auf dem Stapel leerer Pizzakartons abzustellen, dass sie nicht umkippen und die unkorrigierten Abiturklausuren verunreinigen kann. Die Welt versteht mich einfach nicht.