Islamic Walking

Es war ein warmer, sonniger Tag, als ich wieder einmal durchs Viertel stapfte, auf einem meiner typischen Inspektionsgänge. Meine Priorität war die postmoderne Schneiderei, die zwei Straßen weiter aufgemacht hatte. Sie besteht im Wesentlichen aus einem altmodischen Ladengeschäft mit großem Schaufenster, das einen gut ausgeleuchteten Blick auf eine Art Bühne ermöglicht. Auf dieser Bühne steht ein Tischlein, darauf eine Nähmaschine, dahinter eine zäh ringende, konzentriert vor sich hinnähende Frau. Ansonsten ist der Laden praktisch leer, um die Performance nicht zu stören – wird hier doch jeden Tag »Mit Ende vierzig wollt’ ich’s noch mal wissen« aufgeführt, ein schwieriges Stück Theaterliteratur, das in der postmodernen Schneiderei in beispielloser Konsequenz und Strenge inszeniert wird. Was exakt da geschneidert wird, ist nämlich vollkommen belanglos, ebenso wie eine Preisliste oder Ausstellungsstücke – es geht allein um die aller weiteren Zwecke entledigte Darstellung abstrakter Nützlichkeit. Ich habe einen Laden! Ich habe eine Nähmaschine! Ich bin am Leben!
Leider hat die postmoderne Schneiderin vor kurzem ein wenig die Lust verloren und ihr Bühnenatelier nurmehr selten geöffnet. Dafür kam mir heute an selber Stelle die erste mir bekannte islamische Frauen-Nordic-Walking-Gruppe entgegen, verschleiert, selbstbewusst und zum Äußersten entschlossen – als wollten sie direkt nach Syrien walken! Wie wunderlich warm wurd’ mir da ums Herz! War das nun gelungene Integration, gelungene Islamisierung oder eine Mischung aus alledem? Oder nimmt der Islam in Deutschland vielleicht schon jetzt die neurotisch-esoterische Selbstverwirklichungsform an, für die das Christentum immerhin 2 000 Jahre gebraucht hat? Es wär’ ihm sehr zu wünschen!