Zwei Jahre NSU-Prozess in München

»Nix gegen die Gesellschaft«

Seit zwei Jahren läuft der NSU-Prozess in München. Umfangreich sind auch die Aussagen ehemaliger und unbeirrbarer Gesinnungsgenossen der Angeklagten.

Vor zwei Jahren, am 6. Mai 2013, begann der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) – André Eminger, Holger Gerlach, Carsten S. und das NPD-Mitglied Ralf Wohlleben – vor dem Oberlandesgericht München. Mehr als 400 Zeugen traten bisher in 202 Verhandlungstagen auf. Neben weiteren Zeugenaussagen befasst sich der 6. Strafsenat unter Vorsitz von Manfred Götzl derzeit mit dem letzten großen Komplex der Beweisaufnahme, den 15 Raubüberfällen, die dem NSU zugeschrieben werden. Zwischen 1998 und 2011 sollen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt einen Supermarkt und 14 Filialen von Sparkasse und Post überfallen haben. Dabei sollen sie mehr als 600 000 Euro erbeutet haben.

Die Vernehmungen der Zeugen ziehen sich in die Länge, vor allem, wenn es sich um ehemalige oder noch immer überzeugte Neonazis handelt. Häufig ziehen solche Zeugen ihre gegenüber den Ermittlungsbehörden getätigten Aussagen im Prozess wieder zurück oder schweigen gänzlich. Mit provokanten Gesten zeigen sie darüber hinaus deutlich ihre Sympathien für die Angeklagten und deren politische Gesinnung, bisher ohne größere Konsequenzen. Doch am 201. Verhandlungstag trat Ende April im Saal A 101 des Oberlandesgerichts ein Zeuge auf, der deutlich sichtbar über seinem linken Ohr die Parole »Blut und Ehre« tätowiert hatte. Der Spruch ist als Leitmotiv der Hitlerjugend bekannt und als Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verboten. Ein Prozessvertreter der Bundesanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten, wies die Richter auf die Parole hin und beantragte eine Protokollierung. Außerdem dokumentierten Polizeibeamte die Stelle am Kopf des Skinheads.
»War halt cool«, beantwortete der 37jährige Zeuge salopp die Frage einer Anwältin der Nebenklage, warum er sich den Spruch habe tätowieren lassen. »15, 16 Jahre alt« sei er damals gewesen. Der Unwille, zur Aufklärung beizutragen, äußerte sich auch in seinen weiteren Aussagen. Immer wieder beantwortete er die Fragen des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl und mehrerer Anwälte mit der Floskel »keine Ahnung«. Mehrmals wies Götzl den Zeugen scharf zurecht, aber das änderte kaum etwas an dessen Verhalten. So gab er zwar zu, früher Mitglied der »Weißen Bruderschaft Erzgebirge« (WBE) gewesen zu sein, deren Anführer der Angeklagte André Eminger und sein Zwillingsbruder waren. Aber voneinander unterscheiden könne er diese beiden nicht.
Seit langem habe er die Brüder nicht mehr gesehen. »Es liegt alles Jahre zurück. Ich weiß nicht, was Sie hören wollen«, sagte er. Stundenlang versuchte das Gericht, dem Zeugen etwas zu entlocken. Es kam nur wenig dabei heraus: Etwa »20 Mann« seien Mitglieder der WBE gewesen, hauptsächlich sei es um Konzerte und Partys gegangen, »nix Aufregendes«. Auf die Frage nach seiner politischen Einstellung antwortete der arbeitslose Bäcker wieder mit »keine Ahnung«. Auf eine Nachfrage des Richters hin berief er sich darauf, dass dies » ja jedem selber überlassen« sei und er eine »gesunde Einstellung« habe. Wie diese genau aussieht, konnte er nur schwer beschreiben: »Ich war halt jung. Schönes Deutschland und so. So war das damals.« Immerhin erkannte der Skinhead zwei von der »Bruderschaft« herausgegebene Hefte. In diesen habe aber »nix Weltbewegendes« gestanden, »nichts Schlimmes, nix gegen die Gesellschaft«. »The Aryan Law and Order«, so der Name der Publikation, hatte sich zum Ziel gesetzt, eine »neue weiße Gesellschaft zu erschaffen«. Zu der rassistischen Propaganda hatte der Zeuge nichts zu sagen. Offenbar wollte er mit seinen Einlassungen den Angeklagten Eminger nicht belasten, der hartnäckig schweigt.

Auch der ehemalige Anführer der deutschen Sektion von »Blood & Honour«, Stephan »Pinocchio« Lange, konnte oder wollte vor dem Gericht keine ausführlichen Angaben zur Sache machen. Von den Angeklagten kenne er niemanden, auch an Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt könne er sich nicht erinnern. »Für mich war es ein absolut geiles Machtgefühl«, schwelgte er stattdessen in alten Erinnerungen. Auf den Treffen von »Blood & Honour« sei es immer um Geld gegangen, die konkurrierenden Produzenten von Nazimusik hätten sich regelmäßig gestritten. Dennoch soll es jedes Mal zu einem Riesenbesäufnis gekommen sein. Für Lange war es seinen Angaben zufolge wichtig, Leute um sich zu scharen, die auf ihn hörten. Mittlerweile – so beteuerte er mehrmals – führe er ein bürgerliches Leben. Lange gab zu Protokoll, er persönlich befürworte keine Gewalt, sie sei nur »ultima ratio«. Aber Diskussionen über Gewalt, so räumt er ein, habe es damals bei »Blood & Honour« gegeben. Der fränkische Ableger der Organisation habe sich am Konzept der rechtsterroristischen Organisation »Combat 18« orientiert. Nicht nur die Anwälte der Nebenkläger vermuten, dass der NSU von gewaltbereiten Neonazis aus Franken und insbesondere Nürnberg unterstützt wurde. Gewalt gegen Andersdenkende und »Andersrassige«, so der Zeuge, sei in diesen Kreisen zumindest eine Möglichkeit gewesen. Aber wer nun genau einen Artikel über »leaderless resistance« im Magazin von »Blood & Honour« geschrieben habe, wisse er auch nicht.
Ungewöhnlich bereitwillig gab dagegen der Aussteiger Kay S., der Beate Zschäpe noch aus den neunziger Jahren aus Jena kennt, Auskunft über die damalige Zeit. Völlig überraschend gestand er vor Gericht sogar eine Falschaussage. Im April 1996 hätten er, Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe und Wohlleben eine Puppe an ein Brückengeländer gehängt, auf deren Brust- und Rücken ein gelber Davidstern und die Aufschrift »Jude« angebracht waren. S. selbst habe einen Verkehrskegel mit der Aufschrift »Vorsicht Bombe« in der Nähe aufgestellt. Später, als Uwe Böhnhardt wegen der Tat vor Gericht stand, habe er ihm ein falsches Alibi verschafft, so S. Das Amtsgericht Jena hielt Böhnhardt für schuldig, da es die Aussagen, die braune Clique sei erst gemeinsam auf einer Party gewesen und habe anschließend in Zschäpes Wohnung Skat und Nintendo gespielt, als unglaubhaft einstufte. Dennoch entschied das Landgericht »trotz einiger Zweifel« schließlich auf Freispruch. Kay S. versuchte sich vor Gericht als Mitläufer darzustellen, der zufällig in die Naziszene hineingerutscht sei. Die anderen hätten ihn damals angesprochen, sie bräuchten ihn als »Alibizeugen«, er müsse etwas für sie tun.

Nach und nach habe sich aber sein Verhältnis zu Mundlos abgekühlt, mit dem er zuvor enger befreundet gewesen sei. Von Anfang an habe er große Probleme mit Böhnhardt gehabt, wie er vor Gericht sagte. Dessen sadistische Ader habe ihn abgeschreckt. Einmal soll Böhnhardt ein Kaninchen lebendig begraben haben. »Das geht gar nicht«, so der Zeuge. Als dann im Januar 1998 das Trio untertauchte, sei er von Wohlleben angesprochen worden, ob er die drei nicht unterstützen könne. Weil er feige gewesen sei, habe er zuerst finanzielle Unterstützung zugesagt, es sich dann aber anders überlegt und nichts gegeben. Wegen der Verwendung von Sprengstoff habe er sich schon vor dem Untertauchen mit Mundlos gestritten. Der 40jährige Zeuge erinnert sich an einen seiner eigenen Sätze: »Uwe, überleg’ dir, was du machst! Wir sind ja nicht im Krieg.«