»Wenn man 100 Nazis loslässt«

1. Mai, nicht nazifrei – zumindest in Thüringen. In Weimar stürmten etwa 40 Nazis eine Kundgebung des DGB. In Saalfeld wurden drei jugendliche Punks aus einer Gruppe von 100 Nazis heraus angegriffen und schwer verletzt. Matthias Quent forscht an der Universität Jena zum Rechtsextremismus und war Augenzeuge des Angriffs in Saalfeld.

Ist etwas über den Zustand der jungen Punks bekannt?
Ich bin mit der Mutter des Angegriffenen in Kontakt, der noch im Krankenhaus liegt. Dort muss er diese Woche bleiben, da er noch einmal operiert wurde. Die Mutter hatte einen Nervenzusammenbruch, die ganze Familie hat große Angst.
Lange tauchten der Angriff und die Verletzten nicht in den Polizeimeldungen auf. Hat sich das geändert?
Am Montag gab es eine Pressekonferenz von Innenminister Holger Poppenhäger. Er hat Fehler der Polizei eingeräumt und sein Bedauern kundgetan, dass es zu diesem Angriff kommen konnte. Er hat auch gesagt, dass nun ermittelt wird.
Poppenhäger behauptet, die Polizei sei von den Angriffen überrascht worden. Sind solche Attacken an so einem Tag unvorhersehbar?
Da muss man differenzieren. Der Angriff in Weimar war nicht vorauszusehen. Dass irgendwo eine organisierte Nazigruppe eine Bühne stürmt, ließe sich nur in einem Überwachungs- und Polizeistaat verhindern. Der Angriff in Saalfeld war allerdings vorhersehbar. Der Weg der Nazigruppe vom Bahnhof zum Demonstrationsort führte genau durch die Innenstadt, wo überall Gegenveranstaltungen  – von der CDU bis zu den Grünen – stattfanden, mit Kinderfest, Street Soccer und ähnlichem. Es hat die Punks getroffen, 50 Meter weiter wären es die Grünen gewesen, 100 Meter weiter die Piraten. Dass jemand angegriffen wird, war nur eine Frage der Zeit. Wenn man 100 Nazis in einer Stadt loslässt, in der sich viele Gegendemons­tranten in Kleingruppen befinden, geht es schlimm aus.
Der rechtsextreme »III. Weg« hatte zu dem Aufmarsch in Saalfeld aufgerufen. Welche Bedeutung hat die Kleinstpartei in Thüringen?
Bislang ist sie nicht in Erscheinung getreten. Der 1. Mai könnte ein Versuch gewesen sein, sie in Thüringen zu etablieren. Der »III. Weg« wurde in Bayern als Reaktion auf das Verbot des Freien Netzes Süd gegründet. Spätestens seit Bodo Ramelows Regierungsübernahme rechnen die Freien Netze, die in Ostthüringen dominant sind, mit ihrem Verbot und suchen sich andere Organisationsformen.