Griechenland behält den Euro. Vorerst.

Kur mit Rattengift

Der Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone scheint abgewendet. Doch die Lage des Landes bleibt dramatisch.

Wenn es um Griechenland ging, wurde in den vergangenen Jahren zumindest an Treffen und Krisengesprächen nicht gespart. Zum vermeint­lichen Showdown des griechischen Schuldenproblems finden sie nun fast täglich statt. Die Meldungen über deren Verlauf sind dabei so widersprüchlich wie die Lage. Der smarte Vorsitzende der Euro-Gruppe, Jeroen Dijsselbloem, lobte die neuen Vorschläge der griechischen Regierung und hält eine Einigung für möglich. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble wies sie barsch als »ungenügend« zurück.
Tatsächlich ist die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras den Gläubigern weit entgegengekommen. Unter anderem sehen seine Vorschläge eine drastische Erhöhung der Mehrwertsteuer um zehn Prozentpunkte vor. Zugleich sollen die Frühverrentungen abgeschafft und neue Sondersteuern eingeführt werden. Die Maßnahmen sollen bis Ende nächsten Jahres mehr als fünf Milliarden Euro einsparen. Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig: Für Griechenland sind die Pläne entsetzlich. Ein Abgeordneter Syrizas bezeichnete sie als »extrem und unsozial« und als »Todesstoß für Griechenland«. Für die EU und die deutsche Regierung reichen sie vielleicht gerade noch aus, damit das Land nicht aus der Euro-Zone ausscheiden muss.
Tsipras bleibt nicht viel übrig, als am Ende solche Kompromisse einzugehen. In den letzten Wochen schien eine Insolvenz der griechischen Banken fast unvermeidlich zu werden. Über 35 Mil­liarden Euro wurden seit Beginn des Jahres von den Konten abgezogen, ins Ausland transferiert oder unter der Matratze versteckt. Zuletzt waren es mehrere Milliarden täglich. Die Kapitaleinlagen des Landes haben sich mittlerweile mehr als halbiert. Wie dramatisch die Lage ist, zeigt auch die Reaktion der Europäischen Zentralbank. Sie vergibt neue Notfallkredite, mit denen die Solvenz der griechischen Finanzinstitute mühselig aufrechterhalten wird, nur noch von Tag zu Tag.
Ohne eine Einigung mit den Gläubigern ist es für die griechische Regierung eine müßige Frage, wo und wie viel sie kürzen muss. Paradoxerweise argumentiert der linksnationale Flügel von Syriza ähnlich wie die deutschen Befürworter eines Euro-Austritts: Mit der Rückkehr zur Drachme wäre ein neuer Aufschwung möglich. Doch wenn das Land die Euro-Zone verlässt, werden selbst die Folgen der bisherigen Sparmaßnahmen vergleichsweise banal erscheinen. Umgekehrt ergibt es für die europäischen Institutionen keinen Sinn, die Griechen vor die Tür zu setzen. Es wäre die mit Abstand teuerste aller möglichen Lösungen und selbst wenn die »Institutionen« einen kostspieligen Rauswurf in Kauf nehmen wollen, um damit ein Exempel in der Euro-Zone zu statuieren: Was wäre damit gewonnen? Welches europäische Land möchte schon Griechenland folgen und sich einem solchen Rettungsprogramm unterwerfen? Der indische Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Amartya Sen hat es kürzlich mit einem Medikament verglichen, das eine Mischung aus Antibiotika und Rattengift enthält.
So bleibt vermutlich am Ende eine Lösung, die keine ist und mit der sich trotzdem alle arrangieren. Die griechische Regierung beschließt dras­tische Einschnitte, während die Gläubiger wieder Kredite gewähren. Das eigentliche Elend besteht darin, dass alles so bleibt, wie es ist.