In der Dominikanischen Republik drohen Massenabschiebungen

Prekär und staatenlos

In der Dominikanischen Republik droht Hunderttausenden Einwohnern mit haitianischen Vorfahren die Abschiebung.

Lange Schlangen vor dem Innenministerium und Zusammenstöße mit der Polizei, am nächsten Tag gähnende Leere auf den normalerweise von haitianischen Händlern dicht bevölkerten Straßen von Santo Domingo. Die Hauptstadt der Dominikanischen Republik (DR) zeigte sehr unterschiedliche Gesichter, Angst und Unsicherheit aber bleiben. Mittwoch voriger Woche lief die Frist für Dominikanerinnen und Dominikaner mit haitianischen Vorfahren zur Registrierung bei den Behörden ab, um Staatenlosigkeit und Abschiebung zu entgehen. Diese Fristsetzung folgte auf das Urteil 168-13 des Verfassungsgerichts von 2013. Es hatte entschieden, dass rückwirkend bis 1929, dem Jahr, in dem die Grenze zwischen Haiti und der DR gezogen wurde, Ausländer und ihre Kinder keinen Anspruch auf die dominikanische Staatsbürgerschaft haben. Rund die Hälfte der 500 000 Einwohner der DR mit haitianischen Vorfahren wurden damit zu Staatenlosen gemacht (Jungle World 49/2013). Das Gericht gab der Regierung ein Jahr, um das Urteil umzusetzen. »Ich bin mir nicht sicher, ob hier juristisches Unrecht geschehen ist, aber das Urteil hat ein menschliches Problem geschaffen, das wir lösen müssen«, sagte Präsident Danilo Medina damals, seine Regierung erließ vergangenes Jahr Gesetz 169-14 zur »Registrierung« von Migranten.
288 000 Menschen hätten sich registriert, verkündete die Regierung mit Ablauf der Frist vergangene Woche. Von Abschiebungen betroffen seien nur Menschen, deren Bewerbung um Staatsbürgerschaft nicht anerkannt werde. Doch das wird vermutlich die große Mehrheit sein. Nach Angaben von Innenminister José Ramón Fadul erfüllen bis jetzt nur 10 000 Bewerberinnen und Bewerber die Anforderungen, lediglich 300 permanente Aufenthaltsgenehmigungen wurden bislang ausgestellt. Der Bewerbungsprozess sei kompliziert, die Anforderungen vielfältig, kritisierten Beobachter. Offenbar sei Verwirrung und nicht Zugang zur Staatsbürgerschaft das Ziel der Behörden.
Armeegeneral Ruben Paulino verkündete vergangene Woche, ab nun werde es in Vierteln mit vielen Migranten Patrouillen geben. Innenminister Fadul hatte dagegen behauptet, es werde mit Ablauf der Registrierungsfrist keine Massenabschiebungen geben. Eine Reaktion auf die Drohungen der Behörden ist der Exodus haitianischer Migranten. Eine informelle Umfrage habe ergeben, dass vergangene Woche etwa 200 Busse pro Tag die Hauptstadt Richtung haitianische Grenze verlassen haben, so Mitarbeiter des Migrationszentrums Centro BonÓ. Andere verstecken sich offenbar. In der DR geborene Kinder haitianischer Arbeiter sprechen oft kein haitianisches Kreol, Haiti ist für sie ein fremdes Land.
Menschenrechtsorganisationen fürchten, dass nicht nur Menschen ohne Papiere, sondern alle Menschen, »die schwarz genug sind, um haitianisch zu sein«, Ziel von Massenabschiebungen ohne gesetzlich vorgeschriebene Einzelfallprüfung werden könnten, auch weil ständig abgeschoben wird. Im Zuge des Regierungsprogramms »Schutzschild« wurden allein im ersten Quartal dieses Jahres 40 000 haitianische Migranten des Landes verwiesen, wie der Guardian meldete. Die dominikanische Regierung hat zwölf Busse, sieben kleinere Laster und zwei zusätzliche Ambulanzwagen für die geplanten Abschiebungen angeschafft. Außerdem wurden 2 000 Soldaten aufgeboten, 150 Mitarbeiter neu eingestellt und sieben Abschiebezentren errichtet, die als »Welcome Centers« firmieren. Dort sollen Migranten zur Kontrolle ihrer Papiere für maximal 48 Stunden festgehalten werden.

Dass es nach Ablauf der Frist noch nicht zu Abschiebungen in größerem Umfang kam, liegt an einer »Gnadenfrist« von 45 Tagen, die das Gesetz vorsieht, um Bewerbungen weiter zu prüfen. Ein weiterer Grund ist die internationale Aufmerksamkeit. Am Freitag voriger Woche sprach sich das UNHCR gegen die Abschiebungen aus, das US-Außenministerium warf der DR »Diskriminierung« und den »Bruch internationalen Rechts« vor. In den USA hat sich unter #Blacklivesmatter und #BoycottDR eine Boykottbewegung formiert. Eine »Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes«, dessen Tourismus boomt, verbat sich Innenminister Fadul daraufhin. Es sind hauptsächlich Touristen aus den USA, die in den Luxusresorts der DR Urlaub machen, während haitianischstämmige Arbeiter unweit davon in Holzhütten wohnen. Sie stellen etwa die Hälfte der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft und im Baugewerbe und dominieren die informelle Ökonomie.
Systematische Diskriminierung in Schulen, Universitäten und im Gesundheitssystem, kaum Möglichkeiten, am formellen Arbeitsmarkt zu partizipieren, Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch Polizeikontrollen und nun noch Staatenlosigkeit: Mit dem Urteil und der Abschiebungsdrohung verschlechtert sich die ohnehin prekäre Situation haitianischstämmiger Dominikaner. Schon seit Jahren verweigern die Behörden Kindern haitianischer Arbeitskräfte die Staatsbürgerschaft mit der Begründung, ihre Eltern seien »nur auf der Durchreise«, auch wenn diese seit Jahrzehnten in der DR arbeiteten. Ein neues Migrationsgesetz 2004 und eine Verfassungsänderung 2010 stellten diese informelle Praxis der Behörden auf eine gesetzliche Grundlage.
Massenabschiebungen gab es in der Geschichte der Dominikanischen Republik immer wieder. Ein Bericht von Human Rights Watch dokumentiert diese für die Jahre 1991, 1997, 1999 und 2006. Zudem kam und kommt es immer wieder zu pogromartiger Gewalt und Lynchjustiz gegen haitianischstämmige Einwohner. Zuletzt wurde im Februar ein Schuhputzer in der zweitgrößten Stadt des Landes, Santiago, gelyncht und an einem Baum aufgehängt, weil ihm Diebstahl vorgeworfen worden war – am Tag nach einer Demonstration für die Abschiebung von Haitianern.