Mädchenheime werden nach Vorwürfen geschlossen

Die Patin

Gegen Heime der Friesenhof GmbH in Schleswig-Holstein wurden Vorwürfe dort eingesperrter Mädchen bekannt.

»Wir machen uns große Sorgen, wie die Zustände in anderen Einrichtungen sind«, sagte Torge Schmidt, Abgeordneter der Piratenpartei im schleswig-holsteinischen Landtag. Seine Partei sorgt sich um die Kontrolle von 1 800 Einrichtungen in dem nördlichen Bundesland, für die in der Heimaufsicht nur sechs Mitarbeiter zuständig seien. Gemeinsam mit den beiden anderen Oppositionsparteien im Landtag, FDP und CDU, forderte die Piratenpartei einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Er soll den Umgang des Sozialministeriums und der ihr unterstellten Heimaufsicht mit seit Jahren geäußerten Beschwerden eingesperrter Mädchen und ehemaliger Mitarbeiter über die Friesenhof Barbara Janssen GmbH & Co. KG überprüfen. Die Firma aus Büsum betrieb im Landkreis Dithmarschen von 1999 bis Juni 2015 mehrere Mädchenheime, in denen Fluchtwege durch fehlende Fenstergriffe versperrt waren. Dies beanstandete die Heimaufsicht im Januar.

Im Mai machten zwei Hamburger Landesabgeordnete der Linkspartei, Sabine Boeddinghaus und Mehmet Yıldız, eine brisante Verfügung des Landesjugendamts Schleswig-Holstein an drei Jugendämter Hamburger Bezirke vom Februar bekannt. Eine Kopie der Verfügung war den Abgeordneten zugespielt worden. Darin wurden den Friesenhof-Heimen »zur Sicherung des Kindeswohls« Auflagen erteilt: »Es wird untersagt, dass sich Betreute vor dem Betreuungspersonal nackt ausziehen müssen«, den Mädchen »persönliche Dinge« sowie die »persönliche Kleidung (incl. Schuhe) weggenommen werden«, so die ersten Punkte. »Den Betreuten ist die Kontaktaufnahme zu ihren Personensorgeberechtigten/Vormund zu ermög­lichen.« Die Verfügung, die systematische Erniedrigungen in den Heimen nahelegt, lag bei Jugendämtern mehrerer Bundesländer in den Postmappen. Die Veröffentlichung der Verfügung löste im Juni eine Debatte aus. »Wir brechen euren Willen« zitiert das Flensburger Tageblatt nun die Aussagen eines befragten Mädchens über Äußerungen des Personals: »Wehe, ihr verliert auch nur ein Wort darüber – wir können alles nach außen pädagogisch begründen, egal, was ihr erzählt.« Die Heimleiterin Barbara Janssen erwiderte dem Hamburger Abendblatt: »Für alle Maßnahmen, die ergriffen werden, gibt es einen Grund.« Die Auflagen habe es nur bis zum Abschluss einer Vereinbarung zwischen der Heimaufsicht und dem Friesenhof im April gegeben, so Janssen. Ihre Firma sei Opfer einer »Hetzkampagne«. Ihre Selbstsicherheit rührte wohl daher, dass die Mitarbeiter des Sozialministeriums und der Heimaufsicht es bis dahin nicht für nötig hielten, Sozialministerin Kristin Alheit (SPD) zu informieren. Dabei erreichten das Landesjugendamt spätestens seit 2007 immer wieder Beschwerden von in Friesenhof-Einrichtungen eingewiesenen Mädchen.

Die Verfügung vom Januar untersagt Kollektivstrafen und entwürdigende Maßnahmen, »insbesondere Aussitzen, Anschreien, Beschimpfungen, Wecken zur Nachtzeit (außer in Notfällen), Essensentzug, Zwang zur Essensaufnahme, Zwang zum Tragen bestimmter Kleidung, Zwang zum Entkleiden, Sprechverbot, Strafsport, Sport zur Nachtzeit«. Auch die gegenseitige Kontrolle der Mädchen wurde verboten: Wie der Verfügung zu entnehmen ist, war jedem Mädchen ein anderes als »Patin« zugeteilt, die bei Regelver­stößen durch die Betreute mitbestraft wurde und gewisse Kontrollaufgaben wahrnahm, um »Fehlverhalten oder Entweichen zu verhindern«. In der Verfügung wurde dieses »System der Bespitzelung« untersagt, das auf eine Kollaboration der Mädchen mit willkürlichen Maßnahmen des Personals zielt. Im Juni wurde der Friesenhof von der Heimaufsicht geschlossen. Offizielle Begründung: unzureichend qualifiziertes Personal. »Die Schließung hat uns überrascht«, erklärte Bettina Maak, Pressesprecherin des Hamburger Bezirks Harburg, der bis zuletzt Mädchen in den Friesenhof eingewiesen hat. Die Zustände im Friesenhof wurden im Jugendamt Harburg offensichtlich für normal gehalten.