Der Machtkampf in Burkina Faso

Ein gebremster Putschversuch

Die Präsidentengarde von Burkina Faso betreibt den Sturz des Übergangspremierministers Isaac Zida. Dahinter stehen Verbündete des im vorigen Jahr gestürzten autoritären Präsidenten Blaise Compaoré, der sich im Nachbarland Côte d’Ivoire aufhält.

Der Ton ist rau geworden: »Lasst uns in das Militärcamp Naaba Koom gehen, und wir werden sehen, wer von uns lebend herauskommt.« Dies schleuderte der General Gilbert Diendéré am Montag voriger Woche in Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou dem Übergangspremierminister des Landes, Isaac Zida, entgegen.
Was wie eine handfeste Drohung klingt und wohl auch eine darstellen sollte, war die Replik auf Zidas Aussage, er habe noch Unterstützer in den Reihen des Regiments für die präsidiale Sicherheit (RSP), der Präsidentengarde. Dieses Elitekontingent, das offiziell mit der Sicherheit des Übergangspräsidenten Michel Kafando betraut ist, mischt sich seit Wochen immer unverhohlener in die Politik des Landes ein. Die Medien in Burkina Faso publizieren deshalb seit Anfang Juli Titel wie »Die Transition in Gefahr« oder »Dicke Wolken über der Transition«. Auch der US-Botschafter in Burkina Faso, Tulinabo Salama Mushingi, äußerte sich besorgt und traf am 10. Juli mit Übergangspräsident Kafando zusammen, um sich die Lage erklären zu lassen.
Als »Transition« (Übergang) bezeichnet man die Periode, die am 31. Oktober 2014 begann. Also jenem Tag im vergangenen Herbst, an dem der dank Korruption, Klientelwirtschaft und mitunter manipulierter Wahlen autokratisch regierende Präsident Blaise Compaoré nach 27jähriger Herrschaft gestürzt wurde. »Der schöne Blaise«, so sein Spitzname in diplomatischen Kreisen, war ein enger politischer Verbündeter der früheren Kolonialmacht Frankreich in der Region – das Kommando für Spezialaufträge (COS), eine Eliteeinheit der französischen Armee, war bei ihm stationiert. Compaoré war als Hintermann und Waffenlieferant in mehrere Bürgerkriege in Westafrika verwickelt und hatte mit einigen Gefolgsleuten im Jahr 1987 seinen emanzipatorischen Ideen verpflichteten Vorgänger Thomas Sankara ermordet. Dieser hatte sich für Frauenbefreiung, Korruptionsbekämpfung, Unabhängigkeit von den Großmächten sowie Importsubstitution eingesetzt und Schuldenstreichung gefordert. Damit war er etwa für Frankreichs damaligen Präsidenten François Mitterrand ein Störenfried.
Doch im vergangenen Jahr hatte Compaoré sich ein Vorhaben zu viel geleistet. Er plante, den Artikel 37 der burkinabesischen Verfassung mit Hilfe eines vermeintlich willfährigen Parlaments abändern zu lassen, um die bis dahin bestehende Amtszeitbeschränkung aufzuheben. Auf diese Weise wollte er sich einmal mehr zum Präsidenten wählen lassen. Doch aufgebrachte Demons­tranten stürmten das Parlament, das bisherige Regime verlor die Kontrolle und Compaoré wurde mit einem französischen Militärhelikopter in das Nachbarland Côte d’Ivoire ausgeflogen.

Die seitdem eingeleitete »Transition« soll ein knappes Jahr dauern. Bis zu dessen Ablauf regiert ein Nationaler Übergangsrat (CNT), der nach dem erzwungenen Abgang Compaorés aus Angehörigen von dessen ehemaliger Regierungspartei CDP (Demokratischer Kongress des Volkes), der bisherigen Oppositionsparteien, der Armee sowie sogenannter Organisationen der Zivilgesellschaft zusammengesetzt wurde.
Doch Anfang Juli betrieb die Präidentengarde de facto den Sturz von Interimspremierminister Zida. Wegen manifester Uneinigkeit mit dessen Kurs forderten die Anführer des Eliteregiments formal, alle Angehörigen der Armee müssten aus den Übergangsinstitutionen abgezogen werden. Faktisch konzentrierte die politische Auseinandersetzung sich jedoch auf das Vorhaben, Zida aus der Interimsregierung zu entfernen.
Es war bereits die dritte, doch bislang schwerste Krise zwischen der Übergangsregierung und einem Flügel der Armee. Dieses Mal schien diese Fraktion jedoch wirklich entschlossen, führende Akteure der »Transition« von der Macht zu entfernen. Den Hintergrund dafür bildete die Kampagne von Anhängern und Nutznießern des alten Regimes gegen das im April angenommene neue Wahlgesetz. Dieses sieht vor, dass all jene politischen Funktionsträger, die im vergangenen Jahr »eine verfassungswidrige Maßnahme wider das Prinzip demokratischer Machtwechsel« unterstützten – also das Vorhaben, den damaligen Präsidenten mittels juristischer Tricksereien weiterhin an der Macht zu belassen –, von den im Oktober anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen auszuschließen.
Dagegen laufen erwartungsgemäß die direkten politischen Erben der alten Machthaber Sturm. Zu ihnen zählt Compaorés frühere Partei CDP, die mit Eddie Komboigo einen Präsidentschaftskandidaten nomiert hat und einige Bündnispartner in einer sogenannten Republikanischen Front sammeln konnte. Doch dieses Lager verfügt darüberhinaus über Verbündete etwa in der heimischen Bourgeoisie und in den oberen Rängen der Armee. Anders als es die nicht legal zugelassene, aber – vor allem in Teilen der Gewerkschaften – einflussreiche maoistische Partei PCRV (Parti communiste révolutionnaire voltaique) darstellt, ist die Armee als ganze weder ein Träger des aktuellen Übergangsregimes noch ein Haupthindernis für gesellschaftliche Veränderungen.

Denn die Armee ist gespalten. Aus ihr war einst auch Thomas Sankara hervorgegangen – in Oppositionszeiten führte er die »Sammlung kommunistischer Offiziere« (ROC) an, deren Existenz sich daraus erklärt, dass für Kindern aus armen Familien oft die Militärkarriere die einzige Option darstellte. Doch der privilegierteste Teil der Armee, dessen politische Speerspitze die Präsidentengarde darstellt, zählt eindeutig zu den Kräften der Konterrevolution, die das Rad gern zurückdrehen würden. Angeblich wartet auch Blaise Compaoré in der Côte d’Ivoire auf eine geeignete Stunde, um seine Rückkehr zu verkünden, was jedoch nur schwer durchsetzbar erscheint.
Am 13. Juli beschloss nun der gemeinsame Gerichtshof der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas), das Wahlgesetz Burkina Fasos in seiner bestehenden Form zu annullieren. Wegen zu allgemein gehaltener und unpräziser Ausschlusskriterien verstoße das Gesetz gegen den Grundsatz »der freien Teilnahme an Wahlen«. Das Urteil ließ indessen offen, ob ein Ausschluss von Wahlen für Vertreter des alten Regimes rechtlich zulässig wäre, hätten ihm enger gefasste Kriterien oder eine präzise Liste betroffener Persönlichkeiten zugrunde gelegen. Als die Anwälte, die das Urteil erwirkt hatten, nach Burkina Faso zurückkehrten, wurden sie von einer jubelnden Demonstration Compaoré-naher Kräfte empfangen. An ihrer Spitze lief die Gattin von General Diendéré mit.
Daraufhin beauftragte Interimspräsident Kafando die Übergangsregierung, Änderungen am Wahlgesetz vorzunehmen. Wie genau diese aussehen sollten, ließ Kafando jedoch offen. Auch der französische Botschafter in Ouagadougou, Gilles Thibault, hatte sich zuvor für ein »inklusives Wahlgesetz«, also Einschluss statt Ausschluss, ausgesprochen. Seine Äußerungen in einem Interview anlässlich des französischen Nationalfeiertags am 14. Juli erregten in Burkina Faso Aufsehen.
Am Freitag voriger Woche bildete Kafando die Interimsregierung um. Entgegen dem, was von gewisser Seite gefordert worden war, entließ er Interimspremierminister Zida nicht. Er entzog ihm jedoch faktisch das Innenministerium, das bislang von einem Zida-Vertrauten – dem nunmehr entlassenen Minister Auguste Barry – geleitet wurde und das nun in »Sicherheitsministerium« umbenannt wird. Kafando übernimmt es selbst und schließt es dabei mit dem Verteidigungsministerium zusammen, das er bereits inne hat. Gleichzeitig bestätigte die Regierung den geplanten Wahltermin für Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, die beide am 11. Oktober stattfinden sollen.
Das Übergangsparlament hatte am Tag zuvor jedoch auf die Offensive der Compaoré-Anhänger reagiert, indem es beschloss, Anklage gegen Compaoré und einige der Barone seines Regimes wie den ehemaligen Außenminister Djibril Bassolé wegen Landesverrats zu erheben. Compaorés Rückkehr wird dadurch erschwert. Er könnte von einer sicheren Basis aus agieren, da der Präsident der Côte d’Ivoire, Alassane Ouattara, im April 2011 nach umstrittenen Wahlen von der französischen Armee, die militärisch gegen den sich an der Macht haltenden Laurent Gbagbo vorging, ins Amt gebracht worden war. Compaoré und Ouattara sind beide enge Verbündete der ehemaligen Kolonialmacht, die nach wie vor ihren Einfluss in der Region ausübt. Ähnliches gilt für die Strukturen des Wirtschaftsverbands Ecowas.
Compaoré in seinem Exil ähnelt ein wenig dem früheren französischen König Ludwig XVI., der – in seinem Falle nach einem vereitelten Fluchtversuch – darauf hoffte, durch einen Krieg der europäischen Monarchien gegen die Revolution in seinem Land wieder an die Macht gebracht zu werden. Damals ging das nicht nur schief, sondern kostete ihn auch den Kopf. Ähnliche Perspektiven scheinen Compaoré im Augenblick allerdings nicht zu drohen.