Die Terrorwelle
Menschenrechtsorganisationen schlagen Alarm: In der Islamischen Republik Iran findet die größte Hinrichtungswelle seit Jahren statt. Amnesty International zufolge exekutierte das Regime zwischen Jahresbeginn und dem 15. Juli fast 700 Menschen. Damit wurden in diesem Zeitraum fast so viele iranische Bürger von Staats wegen zu Tode gebracht wie im ganzen Jahr 2014, die Anzahl der Hinrichtungen übertrifft damit die der Ära des Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad bei weitem. Im Iran werden gemessen an der Bevölkerungszahl die meisten Menschen weltweit hingerichtet, die absoluten Zahlen liegen nur in China höher.
Von einer Verbesserung der Menschenrechtslage kann also unter dem im Westen als »moderater Reformer« gefeierten Präsidenten Hassan Rohani keine Rede sein. Während Sigmar Gabriel sofort nach dem Atomabkommen der P5+1 mit der Islamischen Republik Milliardengeschäfte im Iran anbahnte und die islamistische Führung als »alte Freunde« bezeichnete, wurde wie zur Bestätigung des business as usual eine weitere Massenhinrichtung vorbereitet. Einen Tag nach Gabriels Abreise wurden nach Angaben der Menschenrechtsorganisation HRANA zehn Menschen im Gohardasht-Gefängnis in Karaj exekutiert. Rohani dokumentierte die innenpolitische Kontinuität bereits 2013, als er nach seinem Amtsantritt Mostafa Pour-Mohammadi als Justizminister nominierte, der als zentraler Organisator der Ermordung von Tausenden iranischen Oppositionellen im Sommer 1988 bekannt ist.
Das Regime nährt immer wieder Hoffnungen auf eine Liberalisierung des Systems und enttäuscht sie dann sofort. Diese Situation beruht auf dem unauflöslichen Selbstwiderspruch einer theokratischen Herrschaft, die nach innenpolitischer Anerkennung giert, Hoffnungen der Bevölkerung auf einen Wandel aber immer wieder zunichtemachen muss. Denn ihre politische Mission liegt nicht in der Verbesserung der Lebensbedingungen im Iran, sondern in der islamistischen Expansion. Diesem Ziel beugen sich alle Fraktionen der Islamischen Republik, deswegen kann es sich auch keine leisten, auf den Hinrichtungsterror zu verzichten.
Der totalitäre Antisemitismus des Regimes und seine antiwestliche Paranoia lassen keine dauerhafte Zentrierung auf innenpolitische Reformen zu. Der antiisraelische al-Quds-Tag ist auch für Rohani ein Pflichttermin, die Alimentierung der terroristischen Bündnispartner von Syrien bis Gaza steht nicht zur Debatte. Der Westen hat dieser Tatsache damit Rechnung getragen, dass auch der Chef der Auslandsoperationen der Revolutionsgarden, Qasem Soleimani, auf der Liste der im Rahmen des Atomdeals von Wirtschaftssanktionen zu befreienden Personen steht.
Ohne antizionistische und antiwestliche Frontstellung fällt die Legitimationsbasis des Regimes. Für Revolutionsführer Ali Khamenei ist nicht der für die Herrschenden sehr vorteilhafte Inhalt des Atomdeals das Problem, sondern dass überhaupt ein Abkommen mit den als »großer Satan« titulierten USA verkündet wurde. Nachdem schon falsche Hoffnungen auf Rohani mit verschärfter Repression beantwortet wurden, steht zu befürchten, dass die gegenwärtigen Kollaborationsofferten des Westens in einer noch größeren Terrorwelle im Iran münden, um eine das Regime gefährdende Fehlinterpretation des Deals durch die Untertanen abzuwenden.