Die spanische Wirtschaft und die Folgen der Austeritätspolitik

Euro über alles

Nichts fürchtet die spanische Regierung mehr, als mit Griechenland gleichgesetzt zu werden. Auch in der Bevölkerung hält sich die Solidarität mit den griechischen Bürgerinnen und Bürger gegen die europäische Krisenpolitik in Grenzen. Trotzdem ist die Unzufriedenheit mit der eigenen Regierung groß: Der konservative Partido Popular hält am Sparkurs fest, sogar Angela Merkel ist derzeit beliebter als Ministerpräsident Mariano Rajoy.

Wohl selten gab es einen passenderen Namen für eine Immobilie, in der sich zugleich die Misere eines ganzen Landes widerspiegelt. Der Flughafen »Don Quijote« nahe der spanischen Stadt Ciudad Real wurde 2008 als »Luftdrehkreuz für die Region Castilla-La Mancha« eingeweiht und bereits drei Jahre später wieder geschlossen. Rund eine halbe Milliarde Euro hatte der Bau gekostet. Nun soll er verkauft werden. Als einziger Interessent hat ein chinesischer Investor kürzlich 10 000 Euro geboten, den Preis eines Kleinwagens, wie El Mundo deprimiert feststellte. Im September wollen die Behörden über den Verkauf entscheiden. Nutzlose Immobilien wie diese finden sich im ganzen Land, irrwitzige Projekte, die jahrelang für eine angeblich prosperierende Wirtschaft standen – und für jede Menge Korruption. Dann kam die Finanzkrise, von der sich Spanien noch immer nicht erholt hat.
An den Ritter von der traurigen Gestalt erinnert auch der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy, der unentwegt gute Nachrichten verbreitet, an die jedoch kaum jemand glauben mag. Bereits in diesem Jahr sei mit einem Wachstum von über drei Prozent zu rechnen, behauptete er vorvergangene Woche, und spätestens 2016 sei die Krise endgültig überstanden. Nach einer jahrelangen Rezession wächst die Wirtschaft allerdings auf niedrigem Niveau: Um rund acht Prozent ist das Bruttosozialprodukt während der Rezession geschrumpft. Möglich wurde die derzeitige Konjunktur auch nur, weil sich Spanien still und leise von der Sparpolitik verabschiedet und im vergangenen Jahr hohe Kredite auf dem Kapitalmarkt aufgenommen hat – doppelt so viel, wie eigentlich von der Euro-Gruppe gebilligt worden war. Die Staatsschulden sind während der Amtszeit von Rajoy um 300 Milliarden auf über eine Billion Euro gestiegen. Die Erfolgsmeldungen ändern zudem wenig daran, dass Spanien mit fast 24 Prozent die zweithöchste Arbeitslosenrate in Europa aufweist, die nur knapp von Griechenland übertroffen wird. Unter Jugendlichen beträgt die Quote sogar 50 Prozent. Hunderttausende Spanierinnen und Spanier, zumeist jung und gut ausgebildet, haben deswegen in den vergangenen Jahren das Land verlassen. Und selbst wer in Spanien einen Job ergattert, kann häufig kaum davon leben. Die wirtschaftsliberale Politik von Rajoy hat bewirkt, dass auf dem deregulierten Arbeitsmarkt fast nur noch prekäre und schlecht bezahlte Jobs angeboten werden.
Auf Proteste und soziale Unzufriedenheit reagiert die konservative Regierung mit dem Abbau von Bürgerrechten. Im Juli ist ein neues Sicherheitsgesetz in Kraft getreten, das von Bürgern, Oppositionsparteien, Richtern, Anwälten, Menschenrechtsexperten der Uno und dem Europarat gleichermaßen kritisiert wird. Sie werfen der Regierung von Rajoy vor, mit dem Gesetz grundlegende Bürgerrechte wie die freie Meinungsäußerung und das Versammlungsrecht aushebeln, um Proteste zu verhindern.
Außer mit wirtschaftlichen Problemen hat der Partido Popular (PP) zudem mit politischen Skandalen zu kämpfen. Drei ehemalige Schatzmeister der Partei, mehrere ehemalige Bürgermeister, frühere Kommunalpolitiker und Unternehmer sind wegen Korruption angeklagt. Ihnen wird vorgeworfen, sich jahrelang lukrative öffentliche Aufträge in Gemeinden gesichert zu haben. Wenig verwunderlich, dass kaum ein Politiker Umfragen zufolge so unbeliebt ist wie Rajoy – selbst die »Dama de Hierro«, die »eiserne Dame« Angela Merkel, erreicht bessere Werte in Spanien.

Angesichts der miserablen Lage schien daher der Aufstieg der Protestbewegung Podemos fast unausweichlich. In nur einem Jahr hatte sie sich zu einer ernsthaften Herausforderung für die konservative Regierung entwickelt. Bei den Kommunalwahlen im Mai konnten ihre Kandidaten unter anderem die Rathäuser in Madrid und Barcelona gewinnen, und noch im Juni erreichte Podemos laut El País einen Stimmenanteil von 23 Prozent. Alles deutete zunächst darauf hin, dass die neue Partei bei den Parlamentswahlen, die für Ende des Jahres geplant sind, zur großen Gewinnerin avancieren könnte.
Doch die Euphorie ist jäh verflogen. Seit Griechenland während der dramatischen Verhandlungen mit seinen Gläubigern fast aus der Euro-Zone geflogen wäre, hat sich die Stimmung verändert. Mittlerweile liegen die Umfragewerte für Podemos nur noch bei 15 Prozent, während der PP seinen Vorsprung deutlich ausbauen konnte.
»Einige verhalten sich so, als wolle man die Spanier erschrecken, indem man die Griechen bestraft«, hatte Pablo Iglesias, der im Juli zum Generalsekretär von Podemos gewählt wurde, bei der Einführung der griechischen Kapitalkontrollen gesagt. Tatsächlich legen Umfrage nahe, dass die Mehrheit der Spanierinnen und Spanier befürchtet, es werden zu Verhältnissen wie in Griechenland kommen, wenn Podemos die Regierung übernimmt. Die Angst scheint auch größer zu sein als die Solidarität. Die überwiegende Mehrheit der Spanierinnen und Spanier fordern in Umfragen, dass Griechenland seine Schulden voll zurückzahlen solle.
Rajoy hatte diese Vorbehalte eifrig geschürt, indem er von »Syriza-Podemos« sprach, als handele es sich um eine einzige Partei. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras sprach zeitweilig sogar von einer »Verschwörung« der spanischen Regierung gegen sein Land. Nichts fürchte Rajoy mehr, als einen Erfolg von Syriza, der seine Sparpolitik nachhaltig blamieren würde.
Nach der Niederlage von Tsipras bei den Verhandlungen mit der Euro-Gruppe muss sich die konservative spanische Regierung solche Sorgen nicht mehr machen. Ihr Austeritätskurs ist zwar verhasst, aber noch mehr fürchtet die Mehrheit der Spanierinnen und Spanier eine Abkehr von der EU. Es ist noch nicht lange her, dass der EU-Beitritt nach Jahrzehnten der Diktatur und Isolation als Aufbruch in die Moderne gefeiert wurde. Die Einführung des Euro läutete anschließend eine Wachstumsphase ein, die Spanien zeitweise zu einer der führenden Wirtschaftsmächte Europas aufsteigen ließ.
Den Boom gab es zwar nur auf Pump, wie sich bald herausstellte. Ein Leben ohne Euro wünscht sich, ähnlich wie in Griechenland, ­dennoch kaum jemand. Auch die naheliegende Idee, gemeinsam mit den anderen südeuro­päischen Defizitstaaten ein Gegengewicht zu Deutschland und den nordeuropäischen Euro-Länder zu bilden, ist wenig überzeugend. Der ­spanische Soziologe Armando Fernández Steinko, Mitglied der Izquierda Unida, forderte in ­diesem Sinne im vergangenen Jahr einen »me­diterranen Block« und die Schaffung einer ei­genen Währung, des Eurosur. Nicht zufällig erinnern solche Überlegungen an das 2013 veröffentlichte Pamphlet des italienischen Philosophen Giorgio Agamben, der darin ein »lateinisches Imperium« forderte, um die deutsche Hegemonie über Europa zu brechen. Damals spe­kulierte Agamben allerdings noch, dass Frankreich ein solches »Imperium« anführen könne. Eine Hoffnung, die sich seit François Hollandes Präsidentschaft erledigt hat. Von ambitionierten Projekten wie der »Mittelmeerunion«, die Frankreich zeitweise vehement verfolgte, ist ebenfalls nichts übrig geblieben.

Dass die südeuropäischen Länder nicht gemeinsam gegen die deutsche Hegemonie auftreten, liegt wesentlich an den wirtschaftlichen Unterschieden. So ist der Finanzbedarf Spaniens trotz der immensen Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung nicht so hoch wie jener der griechischen Regierung und auch die Sparpolitik wirkte auf der Halbinsel nicht ganz so brachial. Während Griechenland die Staatsausgaben auf Druck der Gläubiger um mehr als 30 Prozent kürzen musste, waren es in Spanien sieben Prozent. Das Land verfügt außerdem, anders als Griechenland, noch über eine halbwegs intakte industrielle Basis und ist beispielsweise der zweitgrößte Autohersteller in Europa.
Die südeuropäischen Defizitländer verfolgen unterschiedliche Interessen und stimmen sich nicht ab. Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise konnte Spanien nur mühsam den Kollaps seiner Bankenbranche verhindern. Die immensen Kredite der europäischen Institutionen und die damit verbundenen Sparauflagen haben jedoch einen hohen Preis. Zweifel an der Kreditwürdigkeit des Landes treiben unmittelbar die Zinsen für Staatsanleihen in die Höhe.
Nichts fürchten die Regierungen Spaniens, Italiens und Portugals daher mehr, als mit Griechenland gleichgesetzt zu werden. An den Finanzmärkten käme dies schon fast einem Todesurteil gleich. Die Lage in Spanien sei mit der in Griechenland »überhaupt nicht zu vergleichen«, beteuert Wirtschaftsminister Luis de Gundos entsprechend bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Der spanischen Regierung bleibt daher nicht viel anderes übrig, als die Lage so weit wie möglich zu beschönigen. Doch solange sie den Sparkurs fortsetzt, werden Massenarbeitslosigkeit und soziales Elend nicht verschwinden.