Prozess gegen einen 24jährigen Ultra in Nürnberg

Randale mit Feuerlöscher

Wegen versuchten Mordes steht in Nürnberg ein 24jähriger vor Gericht. Er soll im August 2014 vor dem Fußballderby Nürnberg-Fürth aus einer fahrenden U-Bahn einen Feuerlöscher geworfen haben. Das Gerät durchschlug die Frontscheibe eines entgegenkommenden Zuges, die Fahrerin wurde verletzt.

Ich hätte dir das gerne erspart. Ich hab dich nicht gesehen. Es tut mir vom tiefsten Herzen leid, ich wollte dich nicht verletzen«, sagt der Angeklagte. Der 24jährige schaut zu der jungen Frau im Zeugenstand. Die 23jährige nickt kurz. Das sind die einzigen Äußerungen des Beschuldigten. Sonst schweigt er und lässt seine Anwälte sprechen.
Am 11. August 2014 steuerte die U-Bahn-Fahrerin, die als Zeugin vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth aussagt, ihren Zug Richtung Nürnberg-Zentrum. Zwischen den U-Bahnhöfen Eberhardshof und Muggenhof – dort ist die Strecke oberirdisch – kam ihr eine Bahn entgegen. »Ich habe erst nur gesehen, wie Leute sich aus dem Waggon lehnten und fröhlich gefeiert haben. Ich fand das eher amüsant«, sagt die 23jährige. Dann habe sie den Feuerlöscher wahrgenommen. Sie konnte sich noch zur Seite drehen, bevor das Gerät die Frontscheibe der Fahrerkabine durchschlug. Die Glassplitter verletzten sie im Gesicht und am Arm. Bis heute befinde sie sich in psychologischer Behandlung, sie arbeitet nach eigenen Angaben nur noch im Straßenbahnverkehr.
In dem entgegenkommenden Sonderzug hielten sich Nürnberger Ultras auf, die im Rahmen eines »Fanmarsches« nach Fürth unter anderem Böller aus den Oberlichtern der U-Bahn geworfen, Sitzbänke zerstört und Scheiben eingeschlagen haben sollen. Der Anklageschrift zufolge soll sich auch der Angeklagte in diesem Zug befunden haben. Er soll sich aus einem zerstörten Fenster des vordersten Waggons gelehnt, einen Feuerlöscher entleert und diesen dann aus einer Entfernung von weniger als vier Metern auf den entgegenkommenden Zug geworfen haben.
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Beschuldigte sich der potentiell tödlichen Auswirkungen seiner Aktion bewusst war und auch erkannt hatte, dass die Fahrerin mit einem Angriff nicht rechnen konnte. Ihm sei das jedoch gleichgültig gewesen. Die Staatsanwaltschaft sieht damit notwendige Mordmerkmale erfüllt: niedrige Beweggründe und Heimtücke. Auch für den Versuch sieht das Gesetz eine empfindliche Freiheitsstrafe vor.
Für den Angeklagten begann der Derbytag mit seinen Fußballfreunden feuchtfröhlich in seinem Nürnberger Ladengeschäft. »Ich habe im Laden wohl sieben Bier getrunken, danach habe ich Käsespätzle gegessen und dazu zwei Helle getrunken. Im Norma habe ich dann noch zwei Bier der Marke Burgkrone gekauft. Die waren scheußlich, weil es keine gekühlten gab«, gab der 24jährige seinen Anwälten zu Protokoll.
Diese Sätze liest der Verteidiger in der Hauptverhandlung vor. Sein Ziel: Er möchte mit der Beschreibung der Ereignisse dieses Tages aus der Sicht seines Mandanten zeigen, dass sich die Aussagen der geschädigten U-Bahn-Fahrerin in einigen Punkten widersprechen. In dem Gesprächsprotokoll beschreibt der Beschuldigte offen die Vorgänge in dem Sonderzug: »Ich beteiligte mich an den Randalen. Ich schlug gegen ein Fenster und trat, bis es herausfiel.« Auf einmal sei der Feuerlöscher in seinen Händen gelandet. Er habe sich aus dem Fensterrahmen gelehnt und ihn entleert. Dann habe er ihn loswerden wollen und ihn weggeworfen – mit dem Rücken zur Fahrtrichtung. Die entgegenkommende U-Bahn habe er nicht bemerkt. »Ich habe einen Knall gehört und dachte, der Zug ist über den Feuerlöscher drüber gefahren«, beschrieb er den Vorgang.
Die Zugführerin erklärt im Gerichtssaal hingegen, die Person im Sonderzug sei ihr zugewandt gewesen und hätte sie kurz vor dem Wurf auch gesehen. Den Beschuldigten kann sie jedoch nicht als Täter identifizieren. Sie sagt allerdings, er sei die Person, die ihr bei einer polizeilichen Gegenüberstellung bekannt vorkam. Die Verteidigung versucht herauszufinden, ob sie den 24jährigen nicht vielleicht aus der gemeinsamen Stammkneipe kennt oder schon mal in seinem Laden war. Zum damaligen Zeitpunkt lebten beide wenige Minuten Fußweg voneinander entfernt. Dass sie den An­geklagten an diesen Orten schon mal gesehen hat, bestätigt die Geschädigte nicht.
Um festzustellen, ob der Blickkontakt zwischen Täter und Geschädigter vor dem Feuerlöscherwurf auf einem tatsächlichen Erlebnis basiert, haben die beiden Verteidiger einen psychologischen Gutachter bestellt. Er soll ein Gutachten über die Glaubhaftigkeit der 23jährigen erstellen. Für die Prozessbeteiligten stellt es sich als schwierig heraus, den nur wenige Sekunden dauernden Vorgang zu rekonstruieren. Mehrere Zeugen werden vernommen, sie können zwar bestätigen, dass schwarzgekleidete Menschen in dem Zug auf und ab sprangen, Lärm verursachten und dass mit einem Feuerlöscher gesprüht wurde, den Moment des Aufpralls habe jedoch niemand beobachten können.
Regelmäßig kommt es zu Ausschreitungen zwischen Ultras, Hooligans und Polizei, wenn die Zweitligisten 1. FC Nürnberg und die Spielvereinigung Greuther Fürth beim sogenannten Frankenderby aufeinandertreffen. Die Fan­szenen der benachbarten Städte verbindet eine lange Feindschaft. Auch die Begegnung am 11. August 2014, bei der der 1. FC Nürnberg eine historische Niederlage mit 1:5 einstecken musste, stufte die Polizei als Risikospiel ein. Über 1 500 Clubfans sammelten sich unter großem Polizeiaufgebot am Nachmittag in der Nürnberger Innenstadt, riefen Parolen wie »Tod und Hass dem Kleeblatt Fürth« und zündeten Böller und Pyrotechnik. Teilweise schlossen Geschäftsleute aus Furcht vor Sachbeschädigungen ihre Läden. Die Nürnberger Verkehrsbetriebe setzten aufgrund von Sicherheitsbedenken Sonderzüge nach Fürth ein.
Mithilfe von Zeugenaussagen sowie Fingerabdrücken im Zug und am Feuerlöscher ermittelte vier Tage nach dem Vorfall die Soko »Derby« den Beschuldigten. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft. Bei der Eröffnung der Hauptverhandlung herrschten strenge Sicherheitsvorkehrungen. Zusätzlich zur obligatorischen Kontrolle am Gerichtseingang mussten sich alle Zuhörer nochmals von Polizisten durchsuchen lassen. Neben zahlreichen Besuchern aus der Fanszene saßen auch einige Kollegen der geschädigten U-Bahn-Fahrerin im Zuschauerbereich. Ein Urteil wird Ende August erwartet.