Longboards sind ein Fortschritt der Zivilisation

Bloß nie stehen bleiben

Longboarden hat das Rollbrettfahren demokratisiert. Denn Skaten ist schwer und exklusiv – aber ein Longboard kann und darf einfach jeder fahren. Das mag zwar uncool sein, aber um Coolness geht es eben gar nicht.

Skateboardfahren hieß bei uns in der Provinz: Am Aldi-Parkplatz rumhängen. Den dicken Fabian auslachen, der immer noch keinen Ollie steht. Sich beim missglückten heelflip den Knöchel schrotten. Vor Freude grölen, wenn sich einer beim Parkbank-Sliden das Deck in die Genitalien rammt. Später am Abend im Streit um den letzten Zug aus der Bong mit den Boards aufeinander einprügeln. Im Vollrausch hinter den Mülltonnen eingeschlafenen Freunden ins Gesicht pissen. Und die wenigen, generell nur als Sexobjekt adressierten Mädchen auch mal in die Böschung zerren.
Und genau darum habe ich nie richtig Skateboard fahren gelernt. Nicht wegen zu großer Angst vor Schmerzen, mangelndem Gleichgewichtssinn, Unsportlichkeit oder mangelnder Freude am fahren, sondern wegen der verdammten Skatermeute. Skateboardfahren war und ist nunmal ein Hordensport. Einsam am Parkplatz übt sich ein kickflip denkbar schlecht.
Aber all die eitlen Tricks waren mir ohnehin egal. Ich wollte mit meinem Board sowieso immer nur schnell weg. Und für den Sprung über die Bordsteinkante reicht ein kleiner Ollie. Aber dann liegt leider irgendwo ein mieser kleiner Stein, blockiert die zum schnellen Fahren viel zu kleinen, buckelharten Rollen, und man legt sich auf die Fresse – zur Freude des testosterongetriebenen Rollbrettmobs, der dann natürlich samt Hohngelächter zur Stelle ist.

Wahrscheinlich hatte ich nur Pech mit den Skatern aus meiner Gegend. Aber ganz sicher bin ich mir nicht. 2012 schrieb eine Redakteurin der Brigitte über Skater jenseits der 30, das seien »Typen, die eine schräge Pony-Frisur tragen, nie lächeln und nach der Party von letzter Nacht riechen. Am liebsten würde ich die am ergrauten Schopf packen und anschreien: ›Hör auf damit! Dafür bist du zu alt.‹« Skateboards, so ihr Urteil, »gehören zu kleinen Jungs. Basta. Nicht zu Menschen, die selbst Steuern zahlen und beim Orthopäden in Behandlung sind.«
Das Ergebnis waren Tausende sexistische Kommentare, Mord- und Vergewaltigungsdrohungen gegen die Autorin – von mutmaßlich über 30jährigen »coolen« deutschen Skatern. Also so ungefähr von jenem Mob, der mir in den neunziger Jahren am Aldi-Parkplatz demonstrierte, wieviel stumpfe Barbarei in hiesigen Ingenieurs- und Ärztesöhnchen steckt, wenn auch nur drei von ihnen alleine unter ihresgleichen sind.
Weil der Shitstorm, der über die Redakteurin hereinbrach, so ekelhaft war, dachte ich erst, die Autorin hätte Recht. Bis ich irgendwann – weit über 30 – auf einem Longboard stand. Mit dem Ding konnte man einfach gut fahren. Nicht nur auf glattem Untergrund, sondern dank der dicken weichen Rollen einfach überall. Ohne dauernd pushen zu müssen, weil sich das Longboard mit dem richtigen Schwung in der Hüfte fast wie von selbst bewegt. Und ganz ohne sich dabei mit eitlen Tricks beweisen zu müssen. Denn wer Skateboard fährt, ohne mindestens den Ollie zu beherrschen, ist nunmal ein Poser. Mit einem Longboard unter den Füßen ist der ganze elitäre Mist egal. Alles, was zählt, ist das unerklärliche Glück, auf einem Brett mit vier Rollen über den Asphalt zu rauschen: Losfahren. Abhauen. Bloß nie stehen bleiben.

Und natürlich: Die Kommentare ignorieren. »Rentnerboard«, schimpfen die Skater, die nicht ertragen, dass ihre vermeintlich exklusive Subkultur wie jede andere ihrer Art dank universeller Kommerzialisierung zum demokratisierten Mainstream wird. »Berufsjugendliche«, lästern die Neospießer, die im Hass auf ihre eigene Jugend allen Menschen über 30 noch jedes infantile Glück missgönnen – es sei denn, es geht um »altersgerechte« Statussymbole: »Falls sich Männer über 30 austoben wollen, können sie gern schnelle Autos fahren«, schrieb die Brigitte-Redakteurin damals, »aber lasst bitte die Skateboards in Ruhe. Ich laufe ja auch nicht im rosa Tutu über die Straße.«
Von beiden Seiten äußert sich derselbe Konformitätszwang, der Menschen qua Alter und Geschlecht in seine engen Raster zwängt. Zum Glück sprengt die der Markt. Der ersinnt Tausende und immer neue Varianten an Rollen, Achsen, Decks und Designs, mittlerweile gar mit Motor oder Bremse. Die Ausweitung der Zielgruppen zeigt jetzt erste Folgen: Es fahren nicht nur immer mehr Leute auf Boards durch die Gegend, sondern auch immer jüngere, immer ältere und auch immer mehr Mädchen und Frauen. Für die elitäre Macho-Kultur mancher Skater mag es hart sein, wenn künftig Rentnerinnen mit batteriegetriebenen Longboards samt Scheibenbremsen an ihrem Aldi-Parkplatz vorbeicruisen. Aber das ist definitiv die Zukunft. Und dann wird das leicht peinlich Pseudoindividualistische dieser wunderbaren Fortbewegungsart auch endlich mal Geschichte sein.