Die Klarnamenpflicht bei Facebook nervt

Facebook ohne Hutschiwutschi

Facebook, der Marktführer im Social-Media-Bereich, will die Klarnamenpflicht für die Nutzer durchsetzen. Damit will das Unternehmen aber nicht primär gegen Hetze vorgehen, sondern verfolgt vielmehr kommerzielle Interessen.

Warum Nutzer von Facebook lieber anonym bleiben und nicht unter ihrem Klarnamen agieren wollen, ist in drei Worten erklärt: Wahrung der Privatsphäre. Wer unidentifizierbar auftritt, kann von ehemaligen Mitschülern, Arbeitskollegen, Vorgesetzten und Verwandten nicht gefunden werden und erspart sich eine Menge peinlicher Erklärungen, beispielsweise warum Freundschaftsanfragen lieber nicht angenommen werden. Oder kann ohne Angst vor Belästigungen so sein, wie er oder sie das möchte – in den USA berichteten beispielsweise Transsexuelle, dass sie Beleidigungen ausgesetzt waren. Phantasienamen schützen davor, im wirklichen Leben ausspioniert und beschimpft zu werden. Allerdings gibt es noch einen weiteren Grund, warum Leute anonym bleiben möchten: Um nach Herzenslust Hetze und Hass verbreiten zu können, ohne berufliche Nachteile bis hin zur Kündigung befürchten zu müssen, wie unlängst im Fall eines von Porsche entlassenen österreichischen Auszubildenden.

Dass Facebook versucht, Nutzer mit offenkundigen Fake-Namen auszuschließen, hat allerdings wenig bis nichts mit dem Anliegen zu tun, Rassismus, Antisemitismus und Sexismus zu stoppen – Nutzer, die regelmäßig Hassseiten melden, auf denen unverhohlen nicht nur gehetzt, sondern auch zu Gewalt gegen Minderheiten aufgerufen wird, posten immer wieder Belege, wie großzügig das Recht auf freie Meinungsäußerung von Facebook gehandhabt wird. Hinter dem Klarnamenzwang stehen wohl rein finanzielle Interessen: Werbetreibende verlangen identifizierbare Kunden – E-Mails und maßgeschneiderte Reklame für »Liebe Hutschiwutschi von Wutsch« werden sicherlich nicht so beachtet wie Sendungen, in denen Adressaten mit ihrem Namen angesprochen werden; und außerdem lässt Post an einen Fake-Namen Rückschlüsse des Empfängers darauf zu, welches soziale Medium, Game oder Forum die E-Mail-Adresse weitergegeben haben könnte.
Facebook hat daher kein Interesse, sich den deutschen Datenschutzbestimmungen zu fügen. Interessant werden dürfte, wie der Marktführer im Social-Media-Bereich auf eine nun ergangene Verwaltungsanordnung des Hamburger Datenschutzbeauftragten Johannes Caspar reagieren wird. Darin geht es um die Sperrung des Nutzerkontos einer Frau, die mit einem ausgedachten Namen bei Facebook war, weil sie keine beruflichen Nachrichten wünschte. Das Unternehmen sperrte ihr Konto und verlangte, dass sie durch Vorlage eines Personalausweises ihre Identität nachweist. Nach deutschem Recht haben Internetuser allerdings das Recht auf Anonymität, daher verlangte Caspar, dass der Account der Frau umgehend wieder freigeschaltet wird.
Aus dem Fall könnte nun eine internationale Angelegenheit werden, denn einerseits hatte das Oberverwaltungsgericht Schleswig bereits 2013 zwei Beschwerden des schleswig-holsteinischen Landeszentrums für Datenschutz abgewiesen und Facebook das Recht auf Klarnamenzwang eingeräumt. Obwohl gegen das deutsche Telemediengesetz und das Bundesdatenschutzgesetz verstoßen werde, dürfe Facebook von seinen Nutzern verlangen, sich unter ihrem richtigen Namen anzumelden, entschieden die Richter damals. Das Unternehmen habe seinen Sitz in Irland und damit gelte irisches Recht.

Und so könnten nun große Probleme auf alle Hutschiwutschi von Wutschs zukommen – wenn nicht der Europäische Gerichtshof im vergangenen Jahr eine Entscheidung getroffen hätte, die Anlass zur Hoffnung geben könnte: Der EuGH hatte in einem Rechtsstreit gegen Google entschieden, dass das Unternehmen Links löschen muss, in denen es um einen Spanier geht, dessen Haus zwangsversteigert wurde. In alten Zeitungsausgaben waren Artikel über diesen Vorfall aus dem Jahre 1998 online verfügbar, der Betroffene wollte diese für ihn peinlichen Texte nun allerdings zumindest nicht mehr per Google öffentlich auffindbar machen. Gegen eine entsprechende Aufforderung spanischer Datenschützer hatten die Suchmaschinenbetreiber allerdings geklagt – und vor dem Europäischen Gerichtshof schließlich verloren.

Die Begründung der Richter könnte auch für Facebook-Kunden interessant sein: Google habe seinen Sitz zwar in den USA, die spanische Filiale erziele allerdings Werbeerlöse, die zum Profit des Unternehmens beitrügen. Daher sei für spanische User spanisches Recht anzuwenden. Der Urteilsspruch kam überraschend, denn der Generalanwalt am EuGH hatte eigentlich empfohlen, solche Löschungen nicht vorzusehen, da die Informationsfreiheit ein derart wichtiges Gut sei, dass Privatleute nicht den allgemeinen Zugang zu Informationen verhindern dürften, auch wenn diese im Einzelfall peinlich sein könnten. Wie aber würde sich Facebook verändern, wenn Klarnamen nicht länger vorgeschrieben wären? Wahrscheinlich würde die Plattform nicht automatisch, wie von Anonymitätsgegnern im Internet befürchtet, ein Hort des Hasses werden, jedenfalls nicht mehr, als sie es jetzt schon ist. Erstaunlich viele Rassisten posten derzeit unter ihrem richtigen Namen, manche geben auch nach wie vor, trotz einiger spektakulärer Entlassungen in der letzten Zeit, ihre Arbeitsstelle im Profil an. Das dürfte nicht nur daran liegen, dass diejenigen, die in kleinen Betrieben tätig sind, dort ohnehin oft keinen Hehl aus ihren Einstellungen machen (müssen), aber auch daran, dass es mittlerweile ganz normal ist, sich nicht mehr nur anonym zu äußern. Das ist allerdings kein Internet-Phänomen: Der 1999 verstorbene Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, berichtete immer wieder, dass an ihn gerichtete antisemitische Beschimpfungen nach der Wiedervereinigung immer öfter mit Namen und Adressen der Absender versehen waren. Skandinavische Medien, die nach den Attentaten von Anders Breivik fast durchgängig ihre Nutzerpolitik änderten und keine anonymen Leserkommentare mehr zuließen, sondern verlangten, dass Nutzer sich zum Beispiel mit ihren Facebook-Accounts einloggten, machten zudem die Erfahrung, dass dies Rassisten und Antisemiten keineswegs vom Verbreiten bedrohlicher oder verhetzender Botschaften abhielt. Wie erwartet, hatten sich zwar einige Extra-Identitäten zugelegt, mehrheitlich verzichteten die besonders aktiven Hasser aber darauf, sich erst umständlich ein Fake-Facebook-Leben zuzulegen. Sie posteten einfach unter ihren Namen – und genossen zweifellos die Vernetzung mit Gleichgesinnten, die sich aus ihren öffentlichen Kommentaren ergab.
Das größte Problem ist ohnehin, dass Facebook den Eifer, den das Unternehmen bei der Aussperrung der vielen Hutschiwutschis unter seinen Usern an den Tag legt, bei der Löschung von reinen Hass- und Nazipropaganda-Gruppen vermissen lässt und auch nur sehr zögerlich bei der Aufklärung von Verbrechen behilflich ist: Die norwegische Polizei ließ verlauten, dass sie auch noch ein halbes Jahr nach der Verhaftung des Massenmörders Anders Breivik von Facebook trotz wiederholter Anfragen keinen Zugang zu dessen Account erhalten hatte; wohl zu Recht hielten die ermittelnden Beamten es für immens wichtig, Breiviks Internet-Kontakte zu überprüfen und mögliche Mitwisser zu enttarnen.