Bundeliga-Premiere für den SV Darmstadt 98

Nicht-Aufgeber in der Beletage

Die Bundesligapremiere ging für den SV Darmstadt 98 mit einem verdienten Punktgewinn aus. Nun fehlt nur noch, dass mehr über Fußball und weniger über das Stadion gesprochen wird.

Nun ist Darmstadt 98 also wirklich in der Bundesliga angekommen, genauer: in der Beletage des deutschen Fußballs, der Liga der Weltmeister, dem Premiumprodukt, wie Sportjournalisten nicht müde werden zu betonen.
Neben den für kleinen Vereinen üblichen Sympathien und Respektsbekundungen scheint es aber so, als gäbe es aus Darmstadt über nichts Interessantes außer einer abrissreifen Gästekabine zu berichten. Besonders apart: Das Aktuelle Sportstudio am Samstag, dessen Redaktion es eine tolle Idee fand, Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein und Trainer Dirk Schuster gemeinsam in eine virtuelle Version der meistdiskutierten Umkleidekabine des Jahres zu setzen. Natürlich verbunden mit journalistischer Lustiglustig-Herablassung, gerade so, als sei Familie Flodder durch einen Lottogewinn für ein Jahr zu einer Suite im Hotel Adlon gekommen.
Der Verein und vor allem der Trainer, auf den sich mittlerweile ein Großteil der medialen Wahrnehmung konzentriert, scheinen an der Außenbeschreibung allerdings ihren Gefallen gefunden zu haben. Gerade der Auftritt im Sportstudio zeigte, dass Dirk Schuster sich wohlfühlt in der Rolle als nicht nur sportlicher Außenseiter. Natürlich werde die Kabine feucht durchgewischt und nachgestrichen wurde sie auch, ließ er wissen. Andererseits war neben dem Understatement zwischen den Zeilen eine Menge Selbstbewusstsein herauszuhören, der Coach glaubt wirklich, dass er sein Saisonziel Nichtabstieg erreichen kann.
Für die Bundesliga muss es in Zeiten, wo die internationale Vermarktbarkeit scheinbar das wichtigste Gut ist, die Hölle sein, dass sich Familie Flodder vorstellen kann, noch länger in der Nobelherberge zu bleiben. Und auch für die Medien bliebe dann wohl nichts anderes übrig, als Themen jenseits der Gästekabine zu finden. Zumal auch der Hannoveraner Coach Michael Frontzeck das Thema bei der Pressekonferenz zu beerdigen versuchte. »Im Vorfeld wurde so viel über das Stadion geschrieben. Ich weiß gar nicht warum. Ich bin von diesem Stadion begeistert«, erklärte er. Die künftigen Gegner könnten sich »auf gute Kabinen« und »einen guten Platz« freuen und außerdem sei die Athmosphäre im Stadion toll. Vielleicht hatte Frontzeck die Schlagzeile in der Neuen Presse mitbekommen, die die Darmstädter sehr gekränkt hatte: Vom »Ekel-Stadion« hatte man dort geschrieben, was die Fans am ersten Spieltag mit einem eigenen Banner beantworteten, auf dem »Tradition kann kein Ekel sein« stand. So sah das auch der österreichische Nationalspieler Györgi Garics, der einen Tag vor der großen Premiere einen Vertrag beim SV 98 unterschrieben hatte. Im ersten Spiel saß er zwar noch auf der Bank, ohne eingewechselt zu werden, aber sein erster Eindruck sei sehr positiv, sagte er dem Darmstädter Echo. Die Stimmung habe ihn »mitgerissen, diese Euphorie hier ist eine tolle Sache«. Und außerdem sei sie einer der Gründe, »warum ich mich für den SV 98 entscheiden habe«.
Vielleicht wäre das Spiel mit dem Rechtsverteidiger Garics sogar gewonnen worden. Ob Gästetrainer Frontzeck findet, dass sich die künftigen Gäste auch auf die Heimmannschaft freuen dürfen, ließ er jedoch offen. Schließlich hatte sein Team gerade gegen einen äußerst unangenehmen Gegner etwas glücklich ein 2:2-Unentschieden erzielt – und dabei drei der vier gefallenen Treffer geschossen, wenn man das sehr unglückliche Eigentor von Darmstadts Kapitän Aytaç Sulu mitrechnet. Wirklich aus der Bahn werfen dürfte den gelernten Automobilkaufmann dieser blöde Fehler allerdings nicht, denn der Verteidiger gehört nicht zu den Profis, in deren sportlicher Laufbahn immer alles glatt ging. 2011 hatte er den Wechsel in die Türkei gewagt, »irgendwann«, hatte er immer gesagt, wolle er dort spielen. Bei Gençlerbirliği, das mit zwei Pokalsiegen in den Jahren 1987 und 2001 über eine überschaubare Erfolgsbilanz verfügt, kam er jedoch während der gesamten Saison insgesamt nur zwei Minuten zum Einsatz. Nein, er bereue es trotzdem »auf keinen Fall«, dorthin gewechselt zu sein, betonte Sulu später im Gespräch mit dem Kicker, keine Chance zu erhalten sei eine wichtige Erfahrung gewesen. Von der er anschließend in Österreich profitieren konnte, denn auch beim Zweitligisten SC Rheindorf Altach fühlte er sich nicht so wohl wie erhofft, weswegen er 2013 zu einem weiteren hoffnungslosen Fall, dem SV Darmstadt 98, wechselte, der damals souveräner Tabellenletzter war.
Der Lizenzentzug für den verhassten Lokalrivalen Offenbachers Kickers führte zum erstaunlichen Aufstieg des Teams, der nun in der Bundesliga endete. Sulu hatte sich damals eigentlich schon damit abgefunden, dass seine Karriere wohl zu Ende sein würde, er habe keinen Vertrag für Liga 4 gehabt, berichtete er rückblickend, aber dann begann eben das große Glück.
Am Samstag begann es mit dem 1:0 von Marcel Heller. Nach 50 Metern in gefühlten drei Sekunden den Ball dann noch in den Winkel zu schlenzen, das war schon ein sehr würdiges erstes Tor nach 33 Jahren Bundesligaabstinenz. Heller selber war hinterher auch recht zufrieden mit seiner Leistung, aber bei Jan Rosenthal müsse er sich dringend entschuldigen, fand er, denn den habe er in der Schlussphase zwar gesehen, aber einfach nicht mehr anspielen können, »die Luft war irgendwie weg«.
Und er stellte fest: »Die Laufarbeit ist in der Ersten Liga noch intensiver, man muss noch mehr nach hinten arbeiten.« Aber insgesamt sei es doch gar nicht schlecht gelaufen, fest stehe: »Sicherlich haben wir Fehler gemacht. Aber wir haben auch gesehen, dass wir mithalten können.« Dazu komme, wie schon in Liga Zwei: »Wir geben uns nie auf.«
Die Beletage des deutschen Fußballs, die Liga der Weltmeister, das Premiumprodukt sollte jedenfalls nicht den Fehler machen, die beziehungsreichen Grüße des Darmstädter DJ vor dem Spiel an die Liga (»Loser« von Beck und »Ich wär so gerne Millionär« von den Prinzen) als Kapitulation zu sehen. Beim SV 98 ist man es schließlich gewohnt, erst als Außenseiter belächelt zu werden und dann zu machen, was man möchte.