Die Telekommunikationsüberwachung soll ausgebaut werden

Überwachung ist kein Thema

Die Debatte um Netzpolitik.org vernachlässigt den Inhalt der Enthüllungen. Denn die Ausdehnung der Befugnisse des Verfassungsschutzes bei der Kontrolle der Telekommunikation ist ein eher noch größerer Skandal.

Die Einstellung der Ermittlungen gegen die Blogger von Netzpolitik.org markiert das vorläufige Ende der Landesverratsaffäre, die eine Welle von Solidaritätsbekundungen mit den betroffenen Journalisten auslöste. Nachdrücklich wurde stets darauf hingewiesen, dass die auf Betreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) gestellten Strafanzeigen ein Angriff auf die Pressefreiheit seien, der zukünftige Whistleblower einschüchtern solle. Skandalös ist aber nicht nur die Kriminalisierung journalistischer Arbeit, sondern auch der Inhalt der geleakten Informationen selber.
Bereits im Sommer 2014 veröffentlichte der Rechercheverbund aus NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung Informationen über die Pläne des BfV zum Aufbau der neuen Referatsgruppe »Erweiterte Fachunterstützung Internet« (EFI) sowie dafür vorgesehene erhöhte Zuwendungen aus dem Etat des Innenministeriums. Die auf Netzpolitik.org im Frühjahr erschienenen Artikel präzisierten diese Berichte anhand von Konzeptpapieren und Personalplänen der EFI, enthielten darüber hinaus jedoch keine neuen Informationen.
Ziel der EFI sei demnach die »Verbesserung und der Ausbau der Telekommunikationsüberwachung von internetgestützter Individualkommunikation«. Beziehungsnetzwerke sowie Bewegungsprofile von Nutzern und Nutzerinnen sollen über verschiedene Dienste und Endgeräte hinweg sichtbar gemacht werden, um bisher technisch nicht zugängliche Erkenntnisse zu gewinnen. Mit der zielgerichteten Analyse großer Mengen von Daten und Metadaten gewinnt der Verfassungsschutz weiteren Spielraum Telekommunikationsüberwachung. In greifbare Nähe rücken somit Formen der Überwachung, die nicht mehr primär auf das einzelne Endgerät zielen, sondern den kompletten Datenverkehr eines Servers auslesen und aufbereiten. Die jeweilige Analyse der vorhandenen Daten lässt sich im Rahmen von Massenüberwachung und Rasterfahndung auf alles und jede anwenden.
Angesichts dieser Entwicklungen bleibt unverständlich, warum sich die gegenwärtige Debatte nahezu ausschließlich auf die beteiligten Personen konzentriert, anstatt die strukturellen Dimensionen des Themas in den Blick zu nehmen. Sicherlich ist Personalisierung ein altes journalistisches Mittel, vor allem dann, wenn sich die Geschichte von zwei mutigen Helden erzählen lässt. Abgesehen davon stellt sich aber die Frage, warum sich im Handumdrehen eine breite Koalition zusammenfindet, um das Grundrecht der Pressefreiheit zu verteidigen, während man gelassen hinnimmt, dass der Verfassungsschutz das Recht auf Privatsphäre weiter aushöhlt. Hier zeigt sich ein Denken, das in überkommener Art und Weise Bedrohungen stets als Gefahren für einzelne, handelnde Individuen versteht. Jenseits der skandalisierten Repressalien gegen Journalisten aber kann es die neuen Risiken nicht erfassen, die sich im Fall von Massenüberwachung zunächst abstrakt für große Gruppen und deren gesellschaftliches Handeln ergeben und erst wesentlich später für einzelne betroffene Individuen spürbar werden.