Die NSA-Affäre ist auch ein BND-Skandal

Vom NSA-Ausschuss zur BND-Affäre

Zum zweiten Mal seit seiner Einberufung befindet sich der Bundestagsuntersuchungsausschuss zu den Snowden-Enthüllungen über den US-Geheimdienst NSA in der Sommerpause. Die Zwischenbilanz zeigt: Es gibt wenige Ergebnisse, die Op­position beschäftigte sich lieber mit einem PR-Spektakel um Edward Snowden. Aus dem Blick gerät hingegen die Rolle des Bundesnachrichtendienstes.
Von

31 Punkte umfasste der Fragenkatalog, als der Bundestag am 20. März 2014 den NSA-Untersuchungsausschuss ins Leben rief. Die Abgeordneten wollten wissen, in welchem Ausmaß der US-Auslandsgeheimdienst NSA und andere Dienste befreundeter Länder in Deutschland operieren, wie umfassend die Überwachung von Bevölkerung, Firmen und Regierung ist, ob dabei Gesetze übertreten wurden und werden und wie der Staat sich gegen diese Spionage schützen könne. Etwas mehr als ein Jahr später ist der Ausschuss zum zweiten Mal in der Sommerpause. Antworten auf die meisten Fragen gibt es kaum welche – jedenfalls keine, die nicht auch ohne den Ausschuss bekannt gewesen wären. Doch eines wurde erst durch die Arbeit der Parlamentarier deutlich: Was als Überwachung durch die NSA begann, ist mittlerweile längst eine Affäre des Bundesnachrichtendienstes (BND) und der Bundesregierung. Es ist erstaunlich, dass bisher keine Regierungskrise daraus wurde – musste doch Willy Brandt 1974 noch zurücktreten, als sich herausstellte, dass einer seiner engsten Mitarbeiter, Günter Guillaume, ein DDR-Spion war.

40 Jahre später geht es um viel gravierendere Vorgänge: Das Handy der Kanzlerin ist jahrelang ebenso abgehört worden wie die Telefone vieler anderer Spitzenpolitiker sämtlicher Parteien. Die NSA speichert bis zu 20 Millionen Telefonverbindungen und zehn Millionen Datensätze, die bei der Internet-Kommunikation in Deutschland anfallen – pro Tag. Die Daten werden genutzt, um die deutsche, aber auch andere europäische Regierungen besser zu verstehen, es gilt aber als gesichert, dass auch die Bevölkerung überwacht wird und die so gewonnenen Daten zur Verweigerung von US-Visa genauso genutzt werden wie für den Drohnenkrieg in mehreren arabischen Ländern. Stets beteiligt ist daran der BND, der dem ehemaligen NSA-Mitarbeiter Thomas Drake zufolge ein »Wurmfortsatz« der NSA ist. Dieser Wurmfortsatz half offenbar dabei, die französische und andere befreundete EU-Regierungen sowie die EU-Kommission auszuspionieren. Er betrieb aber wohl auch Wirtschaftsspionage, etwa bei Siemens und im Rüstungskonzern EADS.
Der Unterschied zum Fall Guillaume, der dagegen wie eine Lappalie wirkt, ist klar: Damals war es ein feindlicher DDR-Spion, heute geht es um Spionage durch ein befreundetes Land: die USA. Angesichts der NSA-Affäre scheint sich zu bewahrheiten, dass sich manche Tragödie als Farce wiederholt. So wird zwar ein Untersuchungssausschuss eingesetzt, der jedoch die ohnehin schon geschwärzten Akten nur unvollständig erhält – was nach Aussage eines BND-Sprechers ein Versehen war. Außerdem hält die Bundesregierung einen Teil der benötigten Akten mit der Begründung zurück, zunächst müsse die Regierung der USA um Genehmigung gebeten werden. Wenn Abgeordnete diese Akten – immerhin fast 2 000 Ordner – einsehen wollen, müssen sie dazu einen besonders gesicherten Raum im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus im Berliner Regierungsviertel aufsuchen. Viele kennen das Gebäude: Es ist der große Würfel an der Spree mit den beiden riesigen runden Fenstern, die Transparenz und Klarheit symbolisieren sollen.
Die Anhörungen verlaufen kaum weniger frustrierend. BND-Mitarbeiter, die in geheimen Sitzungen aussagen sollen, entwickeln Gedächtnislücken oder geben unumwunden zu, dass ihnen aufgetragen worden ist, bestimmte Sachverhalte nicht zu erwähnen. Der Vorsitzende des Ausschusses tritt nach nur wenigen Tagen zurück, später zwei weitere Abgeordnete – darunter der Vorsitzende des Reservistenverbandes Roderich Kiesewetter (SPD). Es hatte sich herausgestellt, dass der Vorstand seines Verbandes vom BND unterwandert war.
Eigentlich böte das alles der schwach vertretenen Opposition – im Ausschuss sitzt nur jeweils ein Vertreter von Grünen und Linkspartei – viel Angriffsfläche. Doch statt eine politische Offensive gegen Regierung oder BND zu eröffnen, zettelte sie ein PR-Spektakel um Edward Snowden an. Sie forderte, er solle in Berlin vor dem Untersuchungsausschuss aussagen. Das lehnte der Ausschuss ab, lud Snowden aber zu einer Befragung per Skype ein, was der wiederum ablehnte. Ersatzweise wurde dann der Journalist Glenn Greenwald eingeladen, der eng mit Snowden zusammenarbeitet. Auch er lehnte eine Aussage vor dem Untersuchungsausschuss ab: Er sei nicht bereit, »an einem Ritual mitzuwirken, das den Anschein einer Untersuchung erwecken soll«. Mittlerweile ist eine Verfassungsklage der Opposition anhängig, die den Ausschuss zwingen soll, Snowden zur Befragung nach Berlin zu bestellen. Was damit erreicht werden soll, ist völlig unklar. Würde Edward Snowden deutschen Boden betreten, müsste die Bundesregierung ihn aufgrund bestehender internationaler Verträge umgehend an die USA ausliefern, da er US-Recht gebrochen hat. Dieses Risiko auf sich zu nehmen, wäre völlig unsinnig, schließlich kann Snowden nicht mehr zu den Machenschaften von NSA und BND sagen, als in den Dokumenten steht, die er aus den USA herausgeschmuggelt hat. Als Techniker des externen IT-Dienstleisters Booz Allen Hamilton kam er zwar an die Daten heran, war aber als Systemadministrator mit den eigentlichen geheimdienstlichen Vorgängen in der NSA nicht befasst.

Trotzdem war im NSA-Ausschuss das Jahr 2014 vor allem von der Snowden-Debatte geprägt. Aktivisten von Piratenpartei und anderen netzpolitischen Gruppen ignorierten die Absurditäten des Untersuchungsausschusses weitgehend und verteilten lieber bunte Aufkleber, auf denen »Asyl für Snowden« stand. Dabei wurde durchaus ausführlich über den Ausschuss berichtet, besonders in der Zeit und bei Netzpolitik.org. Politischen Widerhall fand diese Berichterstattung hingegen kaum.
Während die Opposition inner- und außerhalb der Parlamente enttäuschte, wurde allerdings die Bundesregierung tätig: Zwar muss der Plan Angela Merkels, mit der US-Regierung ein »No-Spy-Abkommen« zu schließen, als Versuch gewertet werden, die Öffentlichkeit zu beruhigen. Immerhin erteilte am 11. Juli 2014 das Kanzleramt eine Anweisung an alle deutschen Geheimdienste, die Kooperation mit US-Diensten bis auf weiteres auf das Nötigste zu beschränken. Nachdem ein BND-Mitarbeiter, der als Doppelagent für die CIA tätig war, und ein weiterer US-Spion aufgeflogen waren, wurde der oberste Repräsentant der CIA ausgewiesen. Verschiedene Politiker bis hin zu Bundespräsident Joachim Gauck verurteilten die Überwachung durch die NSA öffentlich, teils mit markigen Worten. Der mittlerweile zurückgetretene Roderich Kiesewetter forderte eine Aufstockung des BND-Etats, um Gegenaufklärung in den USA betreiben zu können. Allerdings ging nur die Linkspartei so weit, quasi als Strafe ein Aussetzen der TTIP-Verhandlungen zu verlangen. Tatendrang und öffentlich zur Schau getragene Empörung verebbten auch schnell wieder, nachdem bekannt wurde, dass der BND seinerseits Telefonate von Barack Obama und Hillary Clinton aufgezeichnet hatte. Rasch dementierte die Bundesregierung, dass es sich um einen systematischen Lauschangriff gehandelt habe.

Und der Untersuchungsausschuss? Nachdem dort abgesehen von Einschätzungen befragter Staatsrechtler und zweifelhaften Aussagen von BND-Mitarbeitern kaum etwas zu Tage gefördert wurde, was nicht sowieso schon durch die Snowden-Dokumente oder andere Presseenthüllungen bekannt geworden war, brauchen die Parlamentarier dringend handfeste Beweise, ohne die es weder juristische noch politische Folgen geben kann. Ein solcher Beweis wären die »Selektoren-Listen«: Suchbegriffe, die die NSA zusammenstellt und an den BND übermittelt. Anhand dieser ­Listen, die Namen, Telefonnummern oder beliebige Wörter enthalten können, durchforstet der BND automatisiert den Datenverkehr am deutschen Internet-Knoten DE-CIX in Frankfurt am Main und übermittelt die Funde an die NSA. Das ist legal und entspricht Abkommen mit den USA, solange der deutsche Geheimdienst alle Begriffe herausfiltert, die mit deutschen Staatsbürgern zusammenhängen. Es gibt starke Hinweise dafür, dass genau das nicht ausreichend geschah – unter anderem, weil das nach Überzeugung verschiedener Experten gar nicht möglich ist. Dummerweise will der BND diese Listen nicht herausrücken und erhält dabei Rückendeckung seitens der Bundesregierung, die weitere Verstimmungen mit den USA vermeiden will. Als Lösung für das Problem wurde nun der ehemalige Verwaltungsrichter Kurt Graulich als Vertrauensperson bestellt. Mit einem kleinen Stab an Mitarbeitern wertet er die Listen aus und erstattet – geheim – ­Bericht. Allerdings nicht, ohne dass die Bundesregierung sich den Bericht noch einmal anschaut und gegebenenfalls kürzt, bevor er irgendwann – immer noch geheim – an den Ausschuss weitergegeben wird.

Zyniker würden sagen, dass der NSA-Untersuchungsausschuss seinen Zweck erfüllt: Eine Affäre endlos in die Länge ziehen, bis das Interesse daran allgemein erlahmt ist, und so jegliche politische Konsequenz vermeiden. In der Öffentlichkeit richtet sich die Empörung derweil gegen die USA und reproduziert so ohnehin vorhandene anti-amerikanische Ressentiments. Gelegentlich wird auch die Abschaffung der Geheimdienste gefordert. Übersehen wird dabei, dass die Hauptverantwortlichen für den Skandal in den Regierungen der vergangenen Jahrzehnte sitzen, an denen außer der Linkspartei alle im Bundestag vertretenen Parteien beteiligt waren. Dementsprechend gering ausgeprägt ist hierzulande der Wille zur Aufklärung. In den USA ist man da weiter: Einige Kongressabgeordnete der Demokraten wie der Republikaner sind besorgt, dass die deutsch-amerikanischen Beziehungen außer Kontrolle geraten könnten, und fordern, dass sich beide Regierungen an einen Tisch setzen sollen. Aber wahrscheinlicher ist, dass es wie in einer typischen Fernsehserie weitergeht: Von Cliffhanger zu Cliffhanger, bis die Serie mangels Interesse der Zuschauer eingestellt wird. Der neueste dieser Cliffhanger fiel mitten ins Sommerloch und hat das Zeug zum Staffelfinale: Nach Informationen der Zeit haben die USA der Bundesregierung mitnichten untersagt, die Selektorenliste herauszugeben – vielmehr könne das deutsche Kanzleramt da selber entscheiden. Einen Tag später dementierte Kanzleramstsminister Peter Altmaier via Spiegel Online, dass die amerikanische der deutschen Regierung in Sachen Herausgabe der Selektorenliste freie Hand gegeben habe, und verwies auf »Spielregeln zwischen Geheimdiensten«.