Der Salafistenprozess in Celle 

Wolfsburg-Syrien und zurück

An der Wolfsburger Ditib-Moschee wurden mehrere junge Männer für den »Islamischen Staat« rekrutiert. So lautet zumindest die Aussage von Ayoub B., der derzeit vor einem deutschen Gericht steht. Der Prozess gibt Einblicke in die deutschsprachige Salafistenszene.

Anfang August tauchte ein deutschsprachiges Video des »Islamischen Staates« (IS) auf. In der Ruinen-Kulisse der antiken Stadt Palmyra, in der die Milizionäre nach der Eroberung unter anderem historische Statuen zerstört hatten, richten posierende Islamisten zwei Geiseln hin. Vorher spricht der Wiener Islamist Mohamed Mahmoud über das Leben im »Islamischen Staat«, darüber, welche Ehre es sei, dort zu kämpfen, und wie es sich im Territorium der Terrororganisation lebe. Dann ruft Mahmoud die Muslime in Deutschland dazu auf, sich dem »Islamischen Staat« anzuschließen. Salafisten, die nicht ausreisen könnten, fordert er auf, im eigenen Land loszuschlagen. Dafür benötige man nur ein »langes Messer«, dann könne man die Ungläubigen auf offener Straße töten. Auch Bundeskanzlerin Merkel schwört der Islamist im Namen des IS Rache.
Der Österreicher Mohamed Mahmoud ist beileibe kein Unbekannter in der deutschsprachigen Salafistenszene. Der 30jährige begann seine einschlägige Karriere schon vor zehn Jahren. Weil er Anschläge geplant hatte, saß er von 2007 bis 2011 in Österreich in Haft. Anschließend gründete er, gemeinsam mit dem ebenfalls für den IS kämpfenden ehemaligen Rapper Denis Cuspert (Deso Dogg), den Verein »Milatu Ibrahim« im nordrhein-westfälischen Solingen. Anhänger von »Milatu Ibrahim« verletzten am Rande einer Kundgebung der rechtspopulistischen Vereinigung »Pro NRW« in Bonn mehrere Polizisten, unter anderem durch Messerstiche. Der Salafisten-verein wurde im Sommer 2012 vom Innenministerium verboten. Dennoch war er eine der wichtigsten Keimzellen des deutschen Jihadismus, viele seiner Mitglieder kämpfen derzeit im Irak und in Syrien. Für seinen Radikalismus wurde Mohamed Mahmoud schon kurz nach den Ausschreitungen von Bonn von führenden Salafisten kritisiert. Der Leipziger Prediger Hassan Dabbagh vermutete eine Operation der Geheimdienste hinter den Aktionen von Mohamed Mahmoud und seinen Brüdern im Geiste. Viele, auch hochrangige, Salafisten lehnen Gewalt zur Durchsetzung ihrer Islam-Auslegung ab. Diese Ablehnung ist aber nicht grundsätzlichen Erwägungen geschuldet, sondern trägt lediglich der aktuellen Situation in Deutschland Rechnung.

Auch seitens einer anderen islamistischen Strömung wurde Kritik an Mohamed Mahmoud laut. Islamisten, die al-Qaida nahestehen, ist der »Islamische Staat« ein Dorn im Auge. Sie lehnen die Ausrufung des Kalifats durch den IS ab, auch wird dieser als zu brutal bezeichnet. Diese Kritik dürfte Ausdruck der Sorge sein, dass die eigene Terrorgruppe nach und nach an Relevanz verliert. Bernhard Falk, ein ehemaliger Terrorist der »Antiimperialistischen Zellen«, wiederum bezeichnet Mahmoud als »Psychopathen«, der im Video »mit hysterischem Lachen einen Gefangenen per Sturmgewehr durchsiebt.« Kein Wunder, dass Falk verschnupft ist. Für ihn, der sich die Betreuung von inhaftierten Islamisten zur Aufgabe gemacht hat, sind harte Zeiten angebrochen. Dem salafistischen Mainstream ist er zu radikal, während Anhänger des »Islamischen Staates« ihn bedrohen; auch mit der Gefangenenarbeit läuft es nicht. Jüngst verkündete Falk, die Zusammenarbeit mit dem Anwalt Mutlu Günal aus Bonn beenden zu wollen. Dabei verteidigt Günal einen großen Teil der von Bernhard Falk betreuten Islamisten. Auch der Prozess gegen zwei Wolfsburger Syrien-Rückkehrer sorgt nicht für Freude bei Falk. Ayoub B., der wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor Gericht steht, ist äußerst auskunftsfreudig. Das gefällt dem Gefangenenhelfer überhaupt nicht.
Umso interessanter sind die Aussagen, die Ayoub B. macht, denn sie geben einen Eindruck davon, wie junge Männer für den Jihad in Syrien rekrutiert werden. Yassin Oussaifi, der wie die beiden Angeworbenen Ayoub B. und Ebrahim H. B. aus Tunesien stammt, warb die Männer in Gesprächsrunden in einer Ditib-Moschee an. Laut Aussagen von Ayoub B. haben die Mitglieder von Ditib nichts von der Radikalisierung der jungen Männer mitbekommen. Pikant ist allerdings, dass es in anderen deutschen Städten schon ähnliche Fälle gegeben haben soll, und das obwohl Ditib der türkischen Religionsbehörde untersteht. Auch bei der Einreise von Ayoub B. und Ebrahim H. B. nach Syrien hätten türkische Grenzsoldaten mitgewirkt. Ein Führer habe den Wolfsburger Islamisten gesagt, die Soldaten seien eingeweiht.
Die Entwicklung von Ayoub B. zum SyrienKämpfer hört sich an wie die Lebensläufe vieler anderer Jihadisten: Nicht religiös, stattdessen interessiert an Drogen, Frauen und schnellen Autos. Ebrahim H. B. war vor seiner Zeit als Jihadist Mitglied der Wolfsburger SPD. Eines Tages trat dann ein charismatischer Prediger auf, in diesem Fall Yassin Ouassaifi. Dieser habe in Syrien ein Leben in Frieden nach den Gesetzen des Islam versprochen. Von einer Kampfausbildung beim IS sei nicht die Rede gewesen. Diese Aussagen, die Ayoub B. tätigte, müssen allerdings mit Vorsicht betrachtet werden. Allgemein klingen die Schilderungen der beiden Angeklagten, die sich zum Selbstmordattentäter beziehungsweise Kämpfer ausbilden ließen, abenteuerlich. Die Flucht zurück nach Deutschland gelang über die Türkei; einmal angekommen, dauerte es Monate, bis die beiden festgenommen wurden und die Generalbundesanwaltschaft Anklage erhob.

Bei der Radikalisierung der Terrorverdächtigen aus Wolfsburg spielte offenbar auch Star-Prediger Pierre Vogel eine Rolle. Monate vor ihrer Ausreise besuchten die niedersächsischen Islamisten eine Syrien-Spendengala Vogels. Pierre Vogel ist zwar mittlerweile eine eigenständige Marke, begonnen hat er seine Missionierungsarbeit allerdings gemeinsam mit Ibrahim Abou-Nagie, dem Frontmann der Vereinigung »Die Wahre Religion«, die bundesweit mit ihren »Lies«-Ständen für Aufmerksamkeit sorgt. Eine Spendengala, wie sie die Wolfsburger Verdächtigen besuchten, fand auch vor einigen Wochen in Herne statt. Abou-Nagie hatte geladen, um Spenden für Koran-Übersetzungen in weitere Sprachen zu sammeln. In einem Hochzeitssaal im Industriegebiet trafen sich gut 150 Anhänger der »Wahren Religion«. Die Frauen, größtenteils vollverschleiert, durften im »Schwesternbereich« in Nebenräumen den Vorträgen der Salafisten-Prediger durch Lautsprecher zuhören.
Und was Abou-Nagie zu erzählen hatte, war nicht uninteressant: »Allah hat mit dem deutschen Volk etwas Gutes vor! Ich spüre das.« Auf Dauer gesehen ist es für Abou-Nagie klar, dass die Mehrheit der Deutschen zum Islam konvertieren werde. Auch über Syrien sprach der Chef des »Lies«-Projektes: Ohne die Koranstände wären schon viel mehr Männer nach Syrien gezogen. Aber auch die Verbreitung des Glaubens in Deutschland sei Jihad. So sieht es aus, wenn sich Salafisten vom »Islamischen Staat« distanzieren. Dass die Übergänge zum gewalttätigen Islamismus fließend sind, bewiesen auch zwei weitere Redner bei der Gala im Ruhrgebiet. Zum einen Sven Lau, der im Frühjahr noch gemeinsam mit Bernhard Falk eine Kundgebung für terrorverdächtige Islamisten organisiert hatte. Zum anderen Abu Dujana, der in der Vergangenheit mehrfach mit Mohamed Mahmoud, dem Mann aus dem IS-Video, aufgetreten war. Der Weg von »Lies« zu »Köpf« ist offenbar nicht allzu weit.