Kommt ein faktischer Schuldenschnitt für Griechenland?

Zoff mit dem IWF

Im Fall Griechenlands kritisiert IWF-Direktorin Christine Lagarde, was die Bundesregierung verschweigen will.

Monatelang wurde erbittert um neue Kredite für Griechenland gestritten, nun werden sie im Eiltempo bewilligt. Plötzlich sind die Kreditgeber voll des Lobes für die griechische Regierung. Sogar Finanzminister Wolfgang Schäuble, der noch vor kurzem energisch einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone vorangetrieben hatte, unterstützt das neue sogenannte Hilfspaket. Rund 86 Milliarden Euro soll das Land in den kommenden drei Jahren erhalten.
Möglich wurde der wundersame Wandel, weil Ministerpräsident Alexis Tsipras eine Kehrtwende vollzog und nun ein Programm vertritt, das genau das Gegenteil von dem beinhaltet, was er bei seinem Amtsantritt versprochen hat. Seine Kritiker werfen ihm deshalb vor, vor den Gläubigern kapituliert zu haben.
Paradoxerweise muss aber sein mächtigster Gegner, Wolfgang Schäuble, ebenfalls sein Credo ändern. Insbesondere Deutschland hatte seit Beginn der Schuldenkrise vehement auf eine Beteiligung des Internationalen Währungsfonds (IWF) gedrängt, um so die Kritiker in den eigenen Reihen zu überzeugen: Der Fonds, hinlänglich bekannt für sein rigoroses Auftreten, würde schon dafür sorgen, dass sämtliche Sparauflagen eingehalten werden.
Tatsächlich fordert der IWF derzeit, das Rentensystem zu beschneiden und die spärlichen Leistungen weiter zu kürzen. Doch IWF-Direktorin Christine Lagarde spricht auch aus, was die Bundesregierung bislang konsequent verweigert hat. Mit den neuen Krediten steigt die Schuldenquote Griechenlands auf 201 Prozent. Unter diesen Bedingungen es ist unmöglich, jemals ein sich selbst tragendes Wirtschaftswachstum zu erzeugen und quasi nebenbei auch noch Verbindlichkeiten zu bedienen. »Ich bin der Meinung, dass Griechenlands Schulden untragbar geworden sind«, sagt Lagarde in der Euro-Gruppe
Bislang weigerte sich Schäuble, über das Thema auch nur zu diskutieren, was fast zum Scheitern der Verhandlungen und beinahe zum Ausstieg Griechenlands aus der Währungsunion geführt hätte. Nun bleibt ihm fast nichts anderes übrig. Die Europäer könnten zwar den Fonds auszahlen und die Verhandlungen mit Griechenland in Eigenregie weiterführen. Dies aber wäre eine teure Alternative, die zudem nicht viel nützen würde: An der hoffnungslosen Überschuldung würde sich nichts ändern.
Im Herbst wird der Fonds voraussichtlich entscheiden, ob er sich an dem neuen Hilfspaket beteiligt. Ein möglicher Kompromiss könnte darin liegen, die Laufzeiten der Kredite zu verlängern. Ein solches Verfahren hätte für Schäuble den Vorteil, dass er auf einen einmaligen spektakulären Schuldenschnitt verzichten könnte. Sind die Kredite erst nach einigen Jahrzehnten fällig, wie der IWF nun vorschlägt, löst sich das Problem wegen der Inflation fast von selbst.
Die Bundesregierung wird von solchen Vorschlägen wenig begeistert sein. Kredite, die nicht mehr zurückgezahlt werden, waren bislang in ihrem »Rettungsprogramm« nicht vorgesehen. Eine Alternative hat sie jedoch nicht anzubieten. Auch sie weiß, dass jede weitere Verzögerung zum Kollaps der griechischen Wirtschaft führen kann. So dürften sich die europäischen Gläubiger in den nächsten Wochen still und leise mit dem IWF auf einen Schuldenschnitt verständigen – und damit akzeptieren, was Tsipras bereits vor einem halben Jahr gefordert hat. Er hätte damit einen späten Erfolg erzielt – um den Preis, dass seine eigene Regierung scheitert.