In Mali wurde gestreikt und erneut gekämpft

Zwischen Streiks und Sezession

In Mali wächst die Unzufriedenheit mit Präsident Ibrahim Boubacar Keïta. Im Süden häufen sich soziale Auseinandersetzungen. Im Norden ist der Waffenstillstand mit den Tuareg-Sezessionisten beendet worden.

Eine »Operation Tote Stadt« hatten einige für Donnerstag voriger Woche in Malis Hauptstadt Bamako angekündigt, andere hingegen befürchtet. Alle mit dem Personentransport Beschäftigten, insbesondere Taxifahrer sowie die Chauffeure der allgemein als »Sotrama« bezeichneten Kleinbusse, waren an diesem Tag zum Streik aufgerufen und es wurde mit Straßensperren und -blockaden gerechnet. Viele Menschen zogen es deswegen vor, zu Hause zu bleiben, so etwa Tania, die Frau eines Zollbeamten, die mit gewalttätigen Auseinandersetzungen rechnete. Andere gingen auf mitunter langen Wegen zu Fuß zur Arbeit.
Das Kürzel »Sotrama« leitet sich vom Namen Société des transports du Mali ab, es handelt sich dabei allerdings nicht um einen öffentlichen Verkehrsbetrieb. Einen solchen gibt es nicht in der rund 2,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Hauptstadt des Sahelzonenstaats Mali, einer quirligen Großstadt, die den größten Bevölkerungszuwachs in Afrika und den sechstgrößten weltweit aufweist. Im Jahr 1945 hatte die westafrikanische Partnerstadt von Bordeaux, Leipzig und São Paulo noch 37 000 Einwohner, bei der Unabhängigkeit des ehemaligen »französischen Sudan« im Jahr 1960 waren es rund 100 000. Ihr Verkehrsbetrieb setzt sich aus vielen kleinen unabhängigen Eigentümern zusammen, die jeweils ihren eigenen Kleinbus besitzen und in einem als syndicat (eigentlich »Gewerkschaft«) bezeichneten Berufsverband zusammengeschlossen sind. Sie lenken ihre Fahrzeuge entweder selbst oder stellen Fahrer dafür ein. An Bord kassiert ein als apprenti (»Lehrling«) bezeichneter Angestellter das Beförderungsentgelt, umgerechnet zwischen 20 und 40 Cent.
Am Dienstag vergangener Woche war zwischen Polizisten und einem dieser Fahrer ein Streit entbrannt: Die Wagenpapiere sollen nicht in Ordnung gewesen sein. Die Polizei versuchte, das Fahrzeug auf den Abstellplatz zu steuern und kostenpflichtig einzubehalten, der Fahrer protestierte heftig dagegen. Beim Streit um das Lenkrad kam es zum Unfall, mindestens ein Mensch kam ums Leben, mehrere wurden verletzt. Die Fahrerzunft protestierte daraufhin energisch gegen die »zahllosen polizeilichen Schikanen« und rief zu einem Ausstand für den Donnerstag auf. Bamako solle lahmgelegt werden. Die Aufrufenden nannten es einen »Generalstreik«, obwohl nur ein Sektor vom Aufruf zur Einstellung der Arbeit betroffen war.
In den meisten Stadtteilen ging das Leben dennoch ungestört weiter. Viele Taxis fuhren, trotz Gerüchten über Gewaltdrohungen gegen streikbrechende Fahrer. Aber viele der gelben Taxis standen am Straßenrand und blieben den Rest des Tages geparkt. Hingegen verkehrte kein einziger der grün angestrichene Sotrama-Kleinbusse. Anders stellte sich die Lage in Garantiguibougou da, einem Stadtteil im Südwesten der Hauptstadt, der weitgehend verbarrikadiert blieb. Dort hatte sich zwei Tage zuvor das Unglück ereignet. In der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch hatte die Nachricht davon dort heftige Unruhen ausgelöst. Junge Leute lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei, knickten Ampeln ab und verbrannten Mülltonnen auf dem Asphalt.

Solche Ereignisse sind symptomatisch für den hier und da aufflammenden sozialen Unmut in Mali. Sie häufen sich, sind aber in der Regel nicht klassische Streiks im Sinne einer Auseinandersetzung zwischen Kapital und Lohnarbeit, sondern mobilisieren etwa die Bevölkerung eines Stadtteils. Hauptgrund dafür ist, dass ein relevanter Teil der Bevölkerung in sogenannten informellen Beschäftigungsverhältnissen tätig ist. In Gewerkschaften organisiert sind eher die sozialen Gruppen mit formalisierten Arbeitsverträgen und gewissen Beschäftigungsgarantien; die Gewerkschaften sind im Dachverband CSTM zusammengeschlossen, verfügen aber oft nur über eine geringe Kampfkraft. Die bürokratischen Strukturen der CSTM sind mit der Staatsmacht verbunden und verfolgen oft eher die Interessen ihrer Mitglieder denn der Beschäftigten. Einzig relativ abgesicherte und gut organisierte Beschäftigtengruppen weisen deshalb eine reale Kampfkraft auf. So streikte am Mittwoch und Donnerstag das Personal des Flughafens von Bamako für Lohnforderungen, und ab dem 1. September streiken die Beschäftigten der Steuerverwaltung.
Die Zeitung La Sentinelle (Der Wachposten) schrieb am Montag von wachsenden Spannungen an der »sozialen Front«, ein »präzises Barometer« für die wachsende Unzufriedenheit mit dem amtierenden Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta. Die zweimal wöchentlich erscheinende Publikation fordert den Präsidenten auf: »Wach auf und beobachte!«
Anfänglich hatten viele Einwohner Malis Hoffnungen auf einen Neuanfang mit der Präsidentschaft von Keïta verknüpft. Im August 2013 wurde er mit über 77 Prozent der Stimmen gewählt, besonders wegen des Versprechens, die seit Anfang 2012 durch die Offensive von Tuareg-Rebellen und Jihadisten im Norden bestehende Spaltung des Landes zu überwinden. Seinem Amtsvorgänger Amadou Toumani Touré wurde oft Komplizenschaft mit diesen Rebellen vorgeworfen. Denn ein Teil der Oligarchie hatte gemeinsame Geschäftsinteressen mit den in der Wüste agierenden bewaffneten Verbänden. Dabei geht es insbesondere um Transportrouten für die Tonnen von Kokain, die aus Südamerika in den Häfen Westafrikas landen und von dort in Richtung Europa weitertransportiert werden. Mali ist ein wichtiges Etappenland für den Kokainschmuggel.
Aber in den vergangenen zwei Jahren haben sich die Hoffnungen vieler Malierinnen und Malier auf eine Verbesserung ihres Alltagslebens nicht erfüllt. Viele haben deswegen jegliche Hoffnung auf politische Veränderung verloren und setzen entweder auf individuelles Durchkommen oder eine Form von Religiosität. Das Agieren der ­Jihadisten wird jedoch von einer deutlichen Mehrheit abgelehnt.

Schlimmer noch wirkt sich aus, dass auch das Friedensabkommen mit den rebellischen Tuareg-Organisationen, das am 15. Mai in Algier ausgehandelt und am 20. Juni in Malis Hauptstadt Bamako feierlich unterzeichnet wurde, vorerst gescheitert ist. Dafür sind nicht nur die jihadistischen Kombattanten verantwortlich, die von Anfang an nichts mit der Vereinbarung zu tun haben wollten (Jungle World 33/15). Auch die rebellische Tuareg-Organisation »Koordination der Bewegungen von Azawad« (CMA), deren zentrale Organisation die »Nationale Bewegung für die Befreiung von Azawad« (MNLA) ist, fühlt sich nicht länger an die Vereinbarung und den Waffenstillstand gebunden.
In der vergangenen Woche waren erneut heftige Kämpfe im Nordosten Malis ausgebrochen, im Raum Kidal, wo die malische Armee nach wie vor keinen Fuß auf den Boden bekommt und Bewaffnete der CMA die Staatsmacht ersetzen. Die UN-Truppe zur Stabilisierung Malis (Minusma) trennte die Konfliktparteien, verkündete aber, ihre Rolle bestehe nicht darin, wie die Regierung fordert, die Souveränität der Zentralregierung über diesen Teil des Staatsterritoriums wiederherzustellen.
Eine »loyalistische«, also dem Zentralstaat positiv gegenüberstehende, doch nicht von der ­Regierung kontrollierte Miliz, die sich als »Selbstverteidigungsgruppe der Imghad-Tuareg und Verbündete« (GATIA) bezeichnet und sich mit einigen Alliierten zur sogenannten Plattform zusammengeschlossen hat, entschied nun, in die Offensive zu gehen. In Eigenregie vorrückend, griff sie die Tuareg-Sezessionisten der CMA an und vertrieb sie aus der Stadt Anefis. Infolge der Attacke kam es zu heftigen Kämpfen. In ihrer intensivsten Phase vom 15. bis 17. August kamen allein auf Seiten der Tuareg-Separatisten mindestens 20 Kombattanten ums Leben.
Daraufhin rief die Minusma eine »Schutzzone« rund um die Stadt Kidal aus. Das wird nun von allen Seiten, von Tuareg-Separatisten wie Loyalisten und der Zentralregierung, scharf kritisiert. Sie alle beschuldigen die UN-Truppe, die jeweils andere Seite in Schutz zu nehmen. Am Montag verließ die CMA den gemeinsamen Ausschuss der Vertragsparteien, in dem sie gemeinsam mit Regierungsvertretern über die Einhaltung des Abkommens wachen sollte.
Am Dienstag früh wurde bekannt, dass der stellvertretende Kommandant der UN-Truppe, Arnauld Akodjénou, ein Staatsbürger des westafrikanischen Benin, seinen Posten zum Monatsende zur Verfügung stellt, angeblich »aus persönlichen Gründen«. Im Kontext einer schwindenden Staatsautorität und unkontrolliert erscheinender Gewalt sind der Waffenstillstand und das Friedensabkommen zumindest vorläufig gescheitert.