In Guatemala wird ein Präsident gewählt

Kleineres Übel mit sozialem Touch

Am 25. Oktober findet in Guatemala die Stichwahl um die Präsidentschaft statt. Zwar sehen die Umfragen den konservativen Kandidaten vorn, aber seine sozial­demokratische Kontrahentin ist vor allem auf dem Land beliebt.

In Guatemala geht der Wahlkampf in die Endphase. Am Mittwoch voriger Woche saßen sich Jimmy Morales und Sandra Torres im Fernsehen gegenüber, um Werbung in eigener Sache zu machen. Morales hatte die erste Runde der Präsidentschaftswahlen am 6. September mit knapp 24 Prozent der Stimmen gewonnen, erreichte aber nicht die nötige absolute Mehrheit. Der als Komiker und Schauspieler bekannt gewordene Kan­didat der konservativen Front der Nationalen Annäherung (FCN) hatte in erster Linie davon profitiert, dass die Wählerinnen und Wähler den traditionellen Machthabern eine Absage erteilen wollten. »Ende der Korruption« lautete die Forderung, und da der politische Newcomer Morales als »sauber« gilt und sich auch so präsentierte, konnte er den ersten Wahlgang für sich entscheiden. Torres folgte mit knapp 20 Prozent.
Dass Morales auch die Stichwahl gewinnen wird, versuchte sie in der Fernsehdebatte nach Kräften zu verhindern. Politische Unerfahrenheit, aber auch Nähe zum Militär und Freundschaft mit Byron Lima, einem der einflussreichsten Gewalttäter des Landes, warf ihmdie Kandidatin der sozialdemokratischen Nationalen Union der Hoffnung (UNE) vor. Der ehemalige Armeehauptmann Lima ist einer von drei Militärangehörigen, die am 26. April 1998 den Bischof Juan Gerardi mit einer Betonplatte erschlugen. Er wurde verurteilt und kam ins Gefängnis, doch dort lebte er recht uneingeschränkt und baute ein kriminelles Netzwerk auf, das den ganzen Strafvollzug kontrollierte. Das haben die Ermittler der Internationalen Kommission gegen die Straffreiheit in Guatemala (CICIG) im September 2014 publik gemacht, die Empörung in Guatemala war groß.

Torres versuchte, diese für sich und die UNE zu nutzen. Zum FCN gehören auch Personen wie Édgar Justino Ovalle Maldonado, ein ehemaliger General, der zu Beginn der achtziger Jahre für mehrere Massaker im Siedlungsgebiet der Ixil-Maya verantwortlich war. Menschenrechtsanwälte überlegen derzeit, ob sie eine Klage gegen ihn einreichen. Das wäre ein weiterer Schlag gegen die traditionellen Machtstrukturen in Guatemala. Doch dass die Klage noch vor dem zweiten Wahlgang eingehen wird, ist zu bezweifeln. So scheint Torres die bessere Alternative zum politisch unerfahrenen Morales zu sein, der seine Popularität in Guatemala auch der Tatsache zu verdanken hat, dass er als Komiker Vorurteile gegen Minderheiten befeuerte und Stereotype bediente.
Das ist bei Torres nicht zu erwarten. Für die 59jährige Ex-Frau des ehemaligen Präsidenten ­Álvaro Colom spricht ihre politische Erfahrung, denn sie war es, die die Sozialprogramme während der Präsidentschaft ihres Mannes zwischen 2007 und 2011 aufgelegt hat. Zudem gibt es derzeit keine Indizien, dass ihr Team Kontakte zur Drogenmafia hat, und anders als Morales kann sie ein schlüssiges Wahlprogramm vorweisen.
Doch in der Hauptstadt Guatemala-Stadt ist Torres vor allem für die obere Mittelschicht nicht wählbar. Zu weit habe sie sich aus dem Fenster gelehnt, sei quasi für die politische Leitlinie der Regierung Colom verantwortlich gewesen, obwohl man für Colom gestimmt habe und nicht für Torres, klagen heute noch viele. Auf dem Land hingegen hat die Politikerin einen guten Ruf, gerade weil sie für die Sozialprogramme in der Regierung Coloms verantwortlich war. Diese brachten der armen Bevölkerungsmehrheit auf dem Land einige Vorteile.

In jener Zeit hat Torres Erfahrung in der Umsetzung politischer Reformen gewonnen und mit Bürgermeistern und lokalen Kaziken kooperiert. Das habe sie Jimmy Morales voraus, sagt Edgar Pérez, ein Menschenrechtsanwalt in Guatemala-Stadt. Zudem verfügt sie in großen Teilen des Landes über eine solide Parteistruktur, die der FCN von Morales nicht vorzuweisen hat. Darauf hat Torres die Wählerinnen und Wähler in der Fernsehdebatte aufmerksam gemacht, und für viele Linke ist sie damit eine deutlich besser kalkulierbare Größe als Morales, der als Marionette des Militärs gilt. Das ist eine Konstante in der Politik Guatemalas: Viele der ehemaligen Präsidenten haben einen militärischen Hintergrund, wie auch der letzte Präsident, Otto Pérez Molina, der derzeit in Untersuchungshaft auf seinen Prozess wartet.
Torres ist Unternehmerin und hat im Management mehrerer Betriebe aus dem Maquila-Sektor der für den Weltmarkt produzierenden Billigfabriken gearbeitet. Sie hat sich aber auch als Sozialpolitikerin und Feministin einen Namen gemacht. Als eine von wenigen Politikerinnen und Politikern hat sie eine der indigenen Sprachen gelernt, Ki’che, das vor allem im zentralen Hochland gesprochen wird. Auch das macht sie auf dem Land beliebt, wo die Wahl meist entschieden wird. Doch in die traditionellen Machtstrukturen und Seilschaften des Landes ist auch Torres eingebunden, wie das Online-Magazin Nómada aufdeckte. Es hatte die Finanziers ihres Wahlkampfs untersucht, darunter fanden sich Unternehmer aus dem Maquila-Sektor, aber auch Politiker wie Rubén Rolando Pérez Bethancourt, der einst bei der Patriotischen Partei anheuerte, dann unabhängig war, schließlich zur UNE wechselte und sich nun wieder unabhängig nennt. Viele halten ihn für den Prototypen eines politischen Unternehmers.
Genau dagegen, gegen Korruption und die traditionellen politischen Strukturen, sind Tausende in Guatemala in den vergangenen Monaten auf die Straße gegangen. Dass sich unter Morales’ oder Torres’ Präsidentschaft daran tatsächlich etwas ändern wird, ist unwahrscheinlich, doch letztere wäre wohl das kleinere Übel.